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Der ARD-Film "Zappelphilipp", der am Mittwoch läuft, beschäftigt sich mit dem Thema ADHS.

© BR/Kerstin Stelter

Aufmerksamkeitsdefizit: Überfordert mit dem Zappelphilipp

Rund fünf Prozent aller Schüler sind von Aufmerksamkeitsdefizit betroffen Viele Lehrer wissen nicht damit umzugehen. Dabei ist die Schule wichtig.

Fabian ist neu an der Schule. Im Unterricht hört er scheinbar nicht zu, reagiert impulsiv und hält es nur kurz aus ohne zu zappeln. Die anderen Kinder lehnen ihn bald ab, deren Eltern beschweren sich. Das Lehrerkollegium ist uneinig, was mit dem Kind mit Verdacht auf Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) zu tun ist. Andere Formen des Unterrichts, weniger Druck oder Medikamente? Die gegenseitigen Schuldzuweisungen beginnen. Diese Szenen aus dem Fernsehfilm „Zappelphilipp“ (Mittwoch, 20.15 Uhr, ARD) sind typisch für die Unsicherheit und teilweise Überforderung, die Lehrer und Eltern im Umgang mit betroffenen Kindern häufig erfahren.

Oft wird die Diskussion auf die Frage der Medikamente verkürzt. Doch auch die Schule spielt eine entscheidende Rolle. „Eltern, Schule, Arzt und Therapeut müssen an einem Tisch sitzen“, meint die in Lichtenberg arbeitende Kinderärztin und Psychotherapeutin Käte Niederkirchner. Oft werde von allen Seiten an dem Kind herumgezerrt. Niederkirchner beobachtet viel Frust in den Klassen. Lehrer fühlten sich vom Verhalten betroffener Kinder überfordert und persönlich angegriffen. Doch wenn die Lehrer-Schüler-Beziehung belastet sei, würden die Probleme noch größer, da diese Kinder soziale Reize stärker empfänden als andere. Sie bräuchten besonders viel Lob für ihr Bemühen und ihre positiven Eigenschaften.

Häufiges Lernen in wechselnden Gruppen und Jahrgangsübergreifendes Lernen gelten als besondere Belastung für ADHS-Kinder, da sie regelmäßige Abläufe und kontinuierliche Bezugspersonen brauchen. Manche Experten fordern, das Syndrom der Lese-/Rechtschreibstörung gleichzustellen. Mit der nötigen Unterstützung könnte ein ADHS-Kind den Schulabschluss schaffen, der seinem Potenzial entspricht, meint Tom Erdmann von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, der selbst als Klassenlehrer in Neukölln unterrichtet. In einer Klasse mit 25 Schülern und mehr stoße ein Lehrer schnell an seine Grenzen, wenn er etwa bei einer Einzelaufgabe neben dem betroffenen Kind sitzen sollte und gleichzeitig noch die übrigen betreuen müsse. ADHS sollte als sonderpädagogischer Förderstatus anerkannt werden, damit eine zusätzliche Lehrkraft den Schüler im Unterricht unterstützen könne, fordert Erdmann. Nach Auskunft von Beate Stoffers, der Sprecherin der Bildungsverwaltung, kann ein Förderbedarf anerkannt werden, unter der Bedingung, dass das Lern- und Sozialverhalten in der Schule stark beeinträchtigt ist. Die Schulpsychologischen Beratungszentren und Sonderpädagogen in den Schulen stünden demnach für eine Beratung zur Verfügung. In schweren Fällen brauche es eine intensive Elternberatung und Absprache von Erziehungsregeln sowie eine Supervision für die Lehrer, so Stoffers.

Das pädagogische Leitbild und die Unterstützung der Lehrer sind für Caroline Treier, die pädagogische Leiterin der Evangelischen Schule Berlin Zentrum, entscheidend. Ihr Ziel sei, dass jeder Lehrer an der Schule eine Basisqualifikation zum Thema Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom bekommt. Sie selbst sei im Studium nur theoretisch auf auffälliges Verhalten von Kindern vorbereitet worden. Dabei könne man im Unterricht einiges tun, um die Kinder zu unterstützen: Das Kind sollte zum Beispiel in der Nähe des Lehrers sitzen und nicht durch visuelle Reize abgelenkt werden. Wichtig sind die Strukturierung des Klassenzimmers, klare Lern- und Arbeitsprozesse und dass sich das Kind auch während des Unterrichts bewegen kann, etwa durch Bewegungsspiele oder kleine Aufgaben wie Kreide-Holen. Von vielen dieser Schritte profitieren alle Kinder in der Klasse, sagt Treier – von klaren Regeln und Ritualen, um den Schultag zu strukturieren oder von Entspannungsmethoden. Viel hänge davon ab, ob das Kind insgesamt als Störung wahrgenommen werde und wie man auf eine Störung im Unterricht reagiert. Wenn sich ein Kind mit ADHS während einer ruhigen Einzelarbeit sehr auffällig verhält, könne man direkt zu dem Kind hingehen, die Hand auf die Schulter legen und erklären, dass es so flüstern soll, dass es nur 20 Zentimeter weit zu hören ist. Wenn man hingegen laut „Stör nicht!“ durch die Klasse ruft, wird sich das betroffene Kind wahrscheinlich nicht angesprochen fühlen, im schlimmsten Fall hat der Lehrer damit die Arbeitsatmosphäre der übrigen Kinder gestört.

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