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Schule: Beim Hitzefrei ist Berlin Spitze

Bei 25 Grad ist Schluss mit dem Unterricht Andere Länder sind weniger empfindlich

Der schöne Mai hatte seine ersten warmen Tage und schon schlug sie zu – die Verordnung Numero 4 mit dem dramatischen Namen „Unterrichtsausfall bei übermäßiger Hitze“: Als gäbe es nicht schon genug Stundenausfall durch Krankheit, Prüfungen oder Wandertage, wurden im Mai die ersten Berliner Schulkinder nach Hause geschickt, weil es angeblich zu warm zum Lernen war. Wie? Was? Wo? Wenn es schon an der Spree im Mai zu warm ist – was sollen dann erst die armen Kinder in den südlichen Gefilden sagen, wo das Thermometer doch ständig über 30 Grad steigt, fragten sich viele Eltern und gucken auch jetzt wieder ängstlich auf den Wetterbericht, der für Donnerstag 29 Grad voraussagt.

Damit ein für alle Mal klar ist, ob die Berliner einfach nur Weicheier sind oder ob sie sich – national und international – mit ihrer Hitzefrei-Regelung in guter Gesellschaft befinden, haben wir unsere Korrespondenten gebeten, sich mal ein bisschen umzuhören.sve

DEUTSCHLAND

Berlin gehört bundesweit zu den Ländern mit der höchsten Temperaturempfindlichkeit. Für die Schulbehörden hört der Spaß auf, wenn es wärmer als 25 Grad ist. So „soll der Unterricht nicht über 12.30 Uhr ausgedehnt werden“, wenn um 11 Uhr innerhalb des Schulgebäudes 25 Grad erreicht werden, heißt es in der entsprechenden Berliner Verordnung. Wenn es schon um 10 Uhr 25 Grad warm ist, soll um 11.30 Uhr Schluss sein. Das Ganze gilt bis einschließlich Klasse 10. Das letzte Wort hat der Schulleiter.

Brandenburg
geht ähnlich vor. In den Verwaltungsvorschriften steht, dass der Unterricht um 12 Uhr enden soll, wenn „um 10 Uhr 25 Grad Celsius Außentemperatur im Schatten oder um 11 Uhr an einem für die Raumlufttemperatur innerhalb des Gebäudes repräsentativen Ort 25 Grad Celsius gemessen werden“. Bei absehbaren längeren Hitzeperioden soll eine „einseitige Beeinträchtigung der Fächer in Randstunden“ durch Umorganisation des Unterrichts vermieden werden. Klausuren und schriftliche Prüfungen sind, so will es das Potsdamer Ministerium, so zu legen, dass eine „Beeinträchtigung durch extreme Hitze vermieden wird“.

Hamburg lässt den Schulen mehr freie Hand. Für den Unterricht an heißen Tagen kann die Schulkonferenz „im Rahmen der Vorgaben besondere Regelungen beschließen“, heißt es in den Vorschriften. Grundsätzlich gilt: „Bei hohen Raumtemperaturen, die ein konzentriertes Arbeiten der Schüler erheblich einschränken, sind geeignete Orte aufzusuchen, an denen unterrichtliche Aktivitäten durchgeführt werden können, die den äußeren Bedingungen angemessen sind.“ Erst wenn die Außentemperatur 27 Grad im freien Schatten überschritten hat und die Temperaturen in den Schulräumen für die Schüler nicht mehr zumutbar erscheinen, kann der Unterricht der Klasse 1 bis 9 vorzeitig beendet werden, „jedoch frühestens um 11.30 Uhr“.

Bayern ist in Sachen Hitzefrei ebenfalls liberaler. Eine genaue Vorschrift gebe es dazu gar nicht, berichtet Sprecher Ludwig Unger. Bei 27 Grad könne man darüber nachdenken, aber auch das sei nur eine „Bezugsgröße und kein Dogma“. Letztlich entscheiden die Schulleiter.

Niedersachsen legt sich überhaupt nicht auf eine bestimmte Gradangabe fest. Für einzelne oder alle Klassen in den Jahrgängen 1 bis 10 könne Hitzefrei gegeben werden, wenn der Unterricht durch hohe Temperaturen in den Schulräumen „erheblich beeinträchtigt wird und andere Formen der Unterrichtsgestaltung nicht sinnvoll erscheinen“, heißt es in einem Erlass. Hierüber entscheide die Schulleitung „nach Anhörung des Schulpersonalrats und der Schülervertretung“. Wird kein Hitzefrei gegeben, so sei auf die verminderte Leistungsfähigkeit der Schüler Rücksicht zu nehmen.

Rheinland-Pfalz will ebenfalls keine Höchsttemperatur festlegen. „Es gibt keine landesweite Regelung mehr“, berichtet der Sprecher der Kultusbehörde, denn „die Schulen regeln das selbst“. Es zeige sich, dass die Schulleiter „dazu neigen, den Unterricht durchzuziehen“. Über die berlin-brandenburgische 25- Grad-Regelung wird in der Heimat des Bildungssenators Jürgen Zöllner ebenso gelächelt wie in anderen Regionen zwischen Atlantik und Bosporus. Tsp

UNGARN

Auch wenn das Thermometer schon Anfang Juni über dreißig Grad im Schatten anzeigt, müssen die Kleinen zwischen Buda und Pest auf ihren Schulbänken verharren. Denn nicht nur in der großen Donaumetropole kennt man kein Hitzefrei. In ganz Ungarn büffeln Kinder und Lehrer einfach weiter. Klimaanlagen gibt es nur in den kürzlich erneuerten Budapester Straßenbahnlinien 6 und 4, die über die Touristenmeile der Margit-Brücke bis an den Fuß der Fischerbastei rattern. Ansonsten kennen die ungarischen Kids so etwas nur aus amerikanischen Filmen. Mathe in der 5. Stunde und Französisch in der 6. – wenn der Lehrer freundlich ist, dann erlaubt er den Schülern, an heißen Tagen während des Unterrichts zu trinken. Das ist aber auch schon alles. Ein Trost bleibt jedoch: die Schulferien sind wesentlich länger als in Deutschland. Vom 15. Juni bis Ende August geht es dann mit Mama und Papa an den Plattensee. Anat Kalman, Budapest

ISRAEL

„Hitzefrei? Was ist das?“ Die Studienrätin Maya Ben Yair kommt aus dem Staunen nicht heraus. „Jetzt, wo das Gesetz Aircondition in den Schulzimmern vorschreibt, wäre Hitzefrei absurd. Damals, als ich zur Schule ging, haben wir zwar im Sommer geschwitzt, aber viel schlimmer war die Kälte im Winter. In ungeheizten Klassenzimmer mit Handschuhen eine Prüfung zu schreiben, das war fürchterlich.“

Ja, ja, die alten Zeiten. Nicht alles war so gut und schön, wie man heute nostalgisch verklärt. Gäbe es Hitzefrei in Israel, so würde sich der Schulbetrieb, je nach Landesgegend, um weitere 25 bis 90 Prozent reduzieren, blieben die Kinder im Rotmeerressort Eilat wohl Analphabeten. In Tel Aviv zum Beispiel, das im Sommer einer Sauna gleicht mit vielfach 80 Prozent und mehr Luftfeuchtigkeit, blieb es in den letzten Tagen zwar gemäß den Meteorologen „kühl für diese Jahreszeit“, aber stets über der kritischen 25-Grad-Grenze am Tag. Im März wurde gar ein neuer Rekord für diesen Monat registriert: 40 Grad – und normaler Schulbetrieb. Die doppelte Antwort auf die alltägliche Hitze und die alljährlichen 50 Tage mit glühendem Wüstenwind und brodelnder Luft lautet: Klimaanlagen und lange Sommerferien.

Klimaanlagen in den Klassenzimmern sind seit über einem Jahrzehnt gesetzlich vorgeschrieben. Die hochverschuldeten Städte ließen die Eltern bluten, ärmere Gemeinden ignorierten das Gesetz, zum Teil bis heute. Dies gilt insbesondere für die arabische Minderheit und dort wiederum speziell ausgerechnet für die in der Negevwüste lebenden Beduinen.

Juli und August sind schulfrei: Vom 1. Juli bis 31. August sind aber nur die Grundschulen geschlossen, denn in der Mittelstufe und den Gymnasien hat es sich im Laufe der Jahre eingebürgert, dass man bereits zehn Tage früher Schluss macht, also am 21. Juni oder gar noch früher. Dann gehen die Schüler an den Mittelmeerstrand und lassen sich dort von der Sonne braten. Charles A. Landsmann, Tel Aviv

SPANIEN

In Spanien, im Land der ewigen Sonne, gibt es zwar kein Hitzefrei an sommerlichen Schultagen – dafür aber Hitzeferien. Denn die Sommerferien sind in Spanien deshalb mindestens zehn Wochen lang, weil in den heißen Monaten bei den üblichen Hochofentemperaturen ohnehin kein geregelter Unterricht möglich wäre. Von Mitte Juni bis Anfang September herrschen fast überall vom Mittelmeer bis zum Atlantik wenigstens 30 Grad im Schatten. Im südspanischen Andalusien sind auch 40 Grad oder mehr ganz normal.

An Lehren und Pauken ist da kaum zu denken, zumal die allermeisten Schulen im Gegensatz zu den Beamtenstuben und Betrieben keine Klimaanlagen haben. Temperaturen von 25 Grad, die in Berlin oder Brandenburg schon ausreichen, um in der Schule Hitzefrei zu bekommen, finden die in Sachen Hitze ziemlich abgebrühten Spanier entsprechend eher frühlingshaft. Und somit ganz normal, ja sogar angenehm. Schließlich können derartige nördliche Hitzefrei-Temperaturen südlich der Pyrenäen von Ostern bis zum Herbst herrschen – womit der Unterricht dann gleich ein halbes Jahr ausfallen müsste, wenn hier die deutschen Vorstellungen Geltung hätten.

Übrigens – unter dem Strich haben spanische Kinder auch nicht mehr frei als Altersgenossen in Nordeuropa. Es gibt keine Herbstferien, nach den langen Sommerferien kommen erst im Winter wieder zwei Wochen Weihnachtsferien. Und zwischen Winter und Sommer gibt es dann für die Kids nur eine magere Woche Erholung über Ostern – Neid der Nordlichter auf zehn Wochen Sommer-Hitzeferien ist also nicht angebracht. Ralph Schulze, Madrid

TÜRKEI

In der Türkei können die rund 15 Millionen Schüler nicht auf Hitzefrei hoffen – ein vorzeitiges Schulende wegen hoher Temperaturen gibt es einfach nicht. Allerdings werden die Schüler, die in staatlichen Schulen bis kurz nach Mittag büffeln müssen, mit für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich langen Sommerferien entschädigt: Sie dauern in der Regel von Mitte Juni bis Mitte September, so dass in der heißesten Zeit des Jahres die Schulen ohnehin geschlossen sind.

Hitzefrei ist für die Türkei auch deshalb ein Fremdwort, weil das Land im Bildungssektor ganz andere Probleme hat. Besonders in den Dörfern im armen Ostanatolien können Kinder und Behörden froh sein, wenn es überhaupt genügend Schulen und Lehrer gibt.

Erst vor kurzem lehnte Bildungsminister Hüseyin Celik auf entsprechende Fragen von Journalisten jeden Gedanken an Hitzefrei ab. In diesem Jahr dürfen nur die Schüler der obersten Gymnasialstufe eine Woche früher in die Ferien. Celik ordnete dies aber nicht an, um die Teenager vor hohen Temperaturen zu schützen, sondern um ihnen mehr Zeit zur Vorbereitung auf die landesweite Aufnahmeprüfung für die Universitäten zu geben. Wer ab Herbst studieren will, muss am 17. Juni beim Aufnahmetest ÖSS schwitzen – Hitze hin oder her.

Thomas Seibert, Istanbul

ÖSTERREICH

In Österreich gibt es so etwas wie Hitzefrei nicht. Selbst bei Temperaturen deutlich über der 30-Grad-Grenze müssen Schüler aller Altersstufen ihrer Schulpflicht nachkommen, anderslautende Bestimmungen wurden bereits in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts aus dem Schulgesetz getilgt. Und nach allgemeiner Auffassung, sowohl im zuständigen Ministerium als auch in den Schulen selbst, wäre ein amtlich verordneter Ruhetag bei höheren Temperaturen auch gar nicht notwendig.

Grundschüler haben in Österreich nur am Vormittag Unterricht, und selbst an den höheren Schulen werden in Österreich am Nachmittag keine klassischen Lernfächer unterrichtet, sondern lediglich leichtere Kost von Turnen bis Bildnerische Erziehung. Ganztagesschulen gibt es in Österreich hingegen nur wenige, die meisten davon werden von privaten Trägern geführt, und diese haben dann ihre eigenen Bestimmungen. Schulfrei aufgrund der klimatischen Bedingungen wird in Österreich nur im Winter gegeben: Bei besonders kalten Temperaturen oder überraschenden Schneefällen. Markus Huber, Wien

FRANKREICH

Hitzefrei? Dass der Unterricht an Frankreichs Schulen ausfiele, wenn das Thermometer auf sommerliche Rekordmarken zustrebt, wäre undenkbar. Das hat einen einfachen Grund. In unserem zentralistisch regierten Nachbarland ist der vom Pariser Erziehungsministerium vorgegebene Stundenplan für alle Schulen zwischen Calais und Marseille verbindlich. Das heißt, er gilt bis zum letzten Schultag vor den Sommerferien, die am 1. Juli beginnen und Anfang September enden. Auch hitzefreie Nachmittage gibt es nicht, sollte es schon vor dem Aufbruch in die großen Ferien zu einer Hitzewelle kommen. Der Unterrichtsplan erzwingt es, und nicht zuletzt sollen sich die Eltern französischer Schüler darauf verlassen können, dass ihre Kinder auch bei großer Hitze ganztags schulisch betreut sind. Hans-Hagen Bremer, Paris

PS: Wir hätten gern auch etwas zum Thema aus Großbritannien berichtet. Unser Korrespondent Markus Hesselmann teilte allerdings mit, dass es dort zu kalt sei für jede Form von Hitzefrei. Immerhin gewann er aber Christopher Young, den Dekan für Germanistik in Cambridge, dafür, das schöne deutsche Wort „Hitzefrei“ ins Englische zu übersetzen. Und das klingt dann so: „School closure due to very high temperatures.“

Anat Kalman[Budapest]

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