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Könner an der Platte. Max Kröber (re.) und sein Trainer Eric Duduc.

© Mike Wolff

Berliner Schüler mit Autismus: Ein Star auf seiner Insel

Max Kröber, 16, ist Autist und konnte nur mit Mühe das kleine Einmaleins. Dann entdeckte der Schüler Tischtennis für sich. Und seitdem ist alles anders.

„Technik“, sagt Eric Duduc. Dann noch mal „Technik“, immer wieder, im Abstand von drei Sekunden. Er flüstert fast, aber er redet hart, schnell, es klingt jedes Mal wie ein Befehl. Zu jedem dieser Befehle spielt er einen Ball zu Max Kröber. Der geht jedes Mal in die Knie, jedes Mal zieht er den Tischtennisschläger so, dass der Ball als Top Spin auf Duducs Seite landet. Ein Schlag mit der Vorhand. Dann redet Duduc noch schneller, noch gepresster. Noch mehr im Befehlston. „Schnell“, sagt er jetzt. Immer wieder „schnell“. Kröber muss jetzt nicht auf eine technisch gute Vorhand achten, er muss jetzt möglichst schnell schmettern. Und er schlägt, hart, schnell, zack, zack, zack. Fast jeder Ball sitzt. So lange bis Duduc, der Trainer, anzeigt: genug jetzt.

Max Kröber trägt ein schwarzes T-Shirt, das jetzt durchgeschwitzt ist, und als er zu seiner Tasche geht und ein Fruchtgel rauszieht, hat er ein rotes Handtuch um den Hals. In der Tube ist ein hochkonzentrierter Energiemix. Er braucht ihn jetzt. Außerdem ist die Luft ziemlich verbraucht in der kleinen Sporthalle auf dem Olympiagelände.

Vor ihm, auf einer Bank an der Hallenwand, sitzt seine Mutter. Sie beobachtet, wie er das Gel aus der Tube drückt, fast bewundernd erklärt Doreen Kröber dann: „Im Schnitt verbraucht man 500 bis 600 Kalorien pro Training. Jedenfalls wenn man auf dem Niveau von Max ist.“

Er spielt erst seit 2015 intensiv Tischtennis

Das Niveau von Max Kröber, 16 Jahre alt: Deutscher Vize-Jugendmeister, Teilnehmer an den Lehrgängen der Nationalmannschaft, nächstes Jahr C-Kader der Nationalmannschaft. Ach ja, noch etwas zum Niveau: Kröber spielt erst seit Januar 2015 konzentriert Tischtennis.

Max Kröber, das ist aber auch der Jugendliche, der nur mit Müh’ und Not das kleine Einmaleins kann, der erst sehr spät lesen und schreiben gelernt hat, der in die Carl-von-Linné-Schule für Körperbehinderte in Lichtenberg geht.

Max Kröber ist Autist.

Seine Regeln, seine Reihenfolgen

Er lebt in einer Welt, in der nur seine Regeln zählen. Er isst nur ganz bestimmte Nahrungsmittel in einer ganz bestimmten Reihenfolge mit einem ganz bestimmten Besteck. „Er benötigt immer jemanden, der darauf achtet, dass alles funktioniert“, sagt seine Mutter. Einen Friseurbesuch muss sie vier Wochen vorbereiten. Als er mal kurzfristig ins Krankenhaus eingeliefert werden musste, kümmerten sich zwei Krankenpfleger vergeblich um den rasenden Jungen. Erst als ein dritter Pfleger, mit der Statur eines Bodybuilders, eingriff, klappte der Krankentransport. An manchen Tagen redet Max Kröber kein Wort. Dann unterhalten sich seine Mutter und seine Schwester Paula über Whatsapp mit ihm.

Andererseits hat Max Kröber, nicht untypisch für Autisten, eine Inselbegabung. Ein Bereich, in dem er glänzend auftritt. Seine Insel heißt Tischtennis.

„Er beschäftigt sich Tag und Nacht damit“, sagt seine Mutter. „Hätte er früher begonnen, so intensiv zu trainieren wie jetzt, würde er nun bei den Paralympics starten“, sagt Eric Duduc, der Trainer. Er war mal französischer Nationalspieler.

Und Max Kröber? Der sagt: „Wenn mich meine Schulkameraden an der Platte sehen, denken sie, sie hätten einen anderen Max vor sich.“

Max startet auch an der Schule durch

Ein Gespräch mit Max Kröber, dem autistischen Jugendlichen, über Tischtennis ist eine unauffällig nette Plauderei. Nichts, wirklich nichts, deutet dann auf seine Behinderung. Er redet normal, er sucht Blickkontakt, er ist aufmerksam, er antwortet auf jede Frage, er lächelt sogar. Der Schüler sitzt in einem Café im Olympiagelände, mit Trainer, Mutter und Schwester, er erzählt über die Faszination Tischtennis wie ein Kind über die neuen Weihnachtsgeschenke. „Ich finde die Ballwechsel toll“, sagt er. „Diese Geschwindigkeit. Ich bin ein Speedjunkie.“ Er sagt das wirklich, „Speedjunkie“. Dann leuchten seine Augen, als hätte jemand einen Lichtschalter hochgedreht.

„Geil“, sagt er.

Sein Trainer beobachtet ihn mit viel Wärme. „Er ist ein biomechanisches Talent“, sagt er. Duduc redet immer noch mit französischem Akzent, er ist nicht leicht zu verstehen.

„Was für ein Talent?“, fragt die Mutter.

„Biomechanisch“, wiederholt Max sanft.

Aber auf dieses Gespräch, diese nette Plauderei, musste ihn die Mutter wochenlang vorbereiten.

Ein Zufall brachte ihn zum Tischtennis

Max Kröber ist eher durch Zufall zum Tischtennis gekommen. Seine Mutter hatte ihn zu einem Freizeitturnier mitgenommen, er trat an die Platte, und die Mutter hielt sich schnell die Hand vor den Mund. Sie spielt selber Tischtennis, jetzt war sie fassungslos. „,Um Gottes Willen’, dachte ich. Weil er so gut war.“ Auch ein Talentsucher sah Max, er erklärte der Mutter, dass ihr Sohn in einen Verein gehöre. So landete Max Kröber über ein paar Umwege beim Paralympischen Sportclub und beim TTC Eastside. Und bei Duduc, dem Berliner Landestrainer und Ko-Trainer der Behinderten-Nationalmannschaft. 15 Stunden in der Woche trainiert Max Kröber, wenn er im Schulalltag steckt. Jetzt, in den Ferien, „trainiert er jeden Tag“, sagt seine Mutter. Manchmal fährt er auch Fahrrad.

„Seit er Tischtennis spielt“, sagt Doreen Kröber, „startet er motorisch durch.“ Früher fiel er häufig hin, jetzt bewegt er sich katzenartig an der Tischtennisplatte.

Und er startet auch an seiner Schule durch, nicht ganz so rasant wie im Sport, aber deutlich genug. Seine Mutter richtet sich ein wenig auf, der Stolz ist spürbar. „Seit er Tischtennis spielt, hat er eine ganz andere Ausstrahlung. Er spricht deutlicher, er geht aufrechter, er hat sich sehr positiv entwickelt. Er kann sich besser konzentrieren.“

Max Kröber hat seiner Mutter interessiert zugehört. „So habe ich das gar nicht wahrgenommen“, wirft er ein. Ein lässiger Satz, kurz dahingeworfen. Der Autist ist bei diesem Satz in seiner Welt, die er beherrscht und die ihm Sicherheit gibt. Noch ist die Mutter bei jedem Training dabei. „Aber ich kann mir vorstellen, dass ich eines Tages auf sie verzichten kann.“

Gerüche, Geschrei, Gewusel, das bedeutet Reizüberflutung

Die Schule unterstützt die Entwicklung nach Kräften. Wenn Doreen Kröber um Freistellung bittet, weil ein Turnier oder ein Trainingslager ansteht, alles kein Problem. „Wir hatten noch nie Schwierigkeiten. Die Schule kommt uns sehr entgegen.“ Max Kröber braucht spezielle Auszeiten. Einen Tag vor einem Wettkampf, einen Tag danach, er braucht die freien Tage, um sich zu sammeln. Ansonsten wäre er überfordert.

Gerüche, Geschrei, Gewusel, für die allermeisten Sportler sind das die prickelnden Merkmale einer Turnier-Atmosphäre. Für Max Kröber ist diese Mixtur eine Reizüberflutung. Wird sie zu extrem, verlässt er geistig seine Insel und zieht sich innerlich zurück. Den guten Tischtennisspieler gibt es dann nicht mehr. Deshalb haben ihn seine Mutter und seine Schwester langsam an diese Atmosphäre herangeführt, immer mit Blick auf die ersten Warnsignale, auf Momente einer beginnenden Überforderung.

Ein weiteres Thema für die Familie ist die Doppelbelastung mit Schule und Sport. Max Kröber hat von acht bis 16 Uhr Schule, danach Training, es fehlen die Phasen der geistigen und körperlichen Regeneration. „Wenn er weiterkommen möchte, muss er 15 Stunden pro Woche trainieren, das ist normal“, sagt Eric Duduc. Diese Doppelbelastung hat grundsätzlich jeder Schüler einer Elite-Schule des Sports. Aber Max Kröber ist an einer normalen Schule, und er ist behindert. Für ihn gelten andere Maßstäbe. „Man gewöhnt sich an die Doppelbelastung“, sagt er zwar. Aber die Mutter überlegt, ob man diese Doppelbelastung reduzieren könnte. Irgendwie. Mithilfe der Schule.

Am 7. September beginnen in Rio die Paralympics. Max Kröber wird sie am Fernseher verfolgen. „Mein Ziel sind die Paralympics 2020“, sagt er. Es geht um Tischtennis, er ist in seiner Welt, deshalb analysiert er die Situation mit dem nüchternen Blick eines Realisten. „Rio 2016“, sagt er fast ungerührt, „kommt für mich zu früh.“

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