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Für die Schüler der Kreuzberger Lenau-Grundschule gehört Lesen zum Alltag.

© Kitty Kleist-Heinrich

Sprachförderung: Berliner Schulen mangelt es an Bibliotheken

Nur etwa jede dritte Berliner Schule hat eine eigene Bibliothek, in der die Kinder lesen und entspannen können. Das hat vor allem finanzielle Gründe. Dabei wären sie vor allem für Kinder aus Migrantenfamilien wichtig.

Mitten in der Bibliothek der Lenau-Grundschule in Kreuzberg steht ein Schiff. Die Kinder sind schon an Bord: Der zehnjährige Karim hängt über der Reling, ein Buch in der Hand. Schaimaa und Kevin haben es sich auf dem flauschigen Teppich bequem gemacht und lesen. „Das Schiff ist so gemütlich“, sagt Karim, „hier lese ich am liebsten.“

Seit 1989 steht das Schiff in der Schule – doch erst 2002 wurde die bis dahin vor sich hin staubende Schulbibliothek zum Leben erweckt und damit auch das Schiff auf Vordermann gebracht. Damals nahm die Grundschule den Schwerpunkt „Lesekultur“ in ihr Schulprogramm auf, die Kinder nahmen die Bibliothek begeistert an. Stolz trägt etwa Schaimaa ein T-Shirt, das sie als Bibliotheksassistentin ausweist: Sie und viele andere Kinder helfen bei der Ausleihe.

An einer Brennpunktschule wie der Lenau-Schule, an der mehr als 70 Prozent der Kinder nicht-deutscher Herkunft sind und viele aus bildungsfernen Familien kommen, ist Lese- und Sprachförderung besonders wichtig: Lesen zu können sei der „Schlüssel zur Bildung“, sagt Lehrerin Sibylle Recke, die den Schwerpunkt Lesekultur mit aufgebaut hat. Denn Lernen basiere darauf, Texte zu lesen und zu verstehen. „Und Schulbibliotheken helfen bei der Leseförderung.“

Ihr liegt aber noch etwas anderes am Herzen: das Lesevergnügen. „Beim Lesen von Geschichten kann man in andere Leben hineinschnuppern“, sagt sie. Das macht Freude – und Studien hätten zudem gezeigt, dass Jugendliche, die lesen, empathischer sind.

An der Lenau-Schule wird viel getan, um Lesekultur auch zu den Kindern nach Hause zu tragen. Die Schüler können Bücher und Hörspiele mitnehmen, viele haben Lesepaten. Zweimal im Monat öffnet ein mehrsprachiges Müttercafé, bei dem Mütter zusammen mit ihren Kindern lesen. Auch das Bilderbuchkino, bei dem zum Vorlesen Bilder aus Kinderbüchern an die Wand projiziert werden, ist bei Eltern und Kindern beliebt. „Bilder funktionieren sprachübergreifend“, sagt Recke.

Damit die Kinder von der Schulbibliothek auch wirklich profitieren können, brauche es Zeit, Kontinuität – und verlässliche Ansprechpartner, sagt Recke. Die finanziellen Mittel dafür sind allerdings rar: Ohne Spenden, Stiftungen und viel ehrenamtliche Arbeit wäre es nicht möglich, zwei Mitarbeiterinnen zu finanzieren, die die Bibliothek am Laufen halten.

Für Schulbibliotheken gibt es im Berliner System keinen Etat. Die Senatsbildungsverwaltung verweist zwar auf Gelder für Vertretungslehrer, die auch für das Personal von Schulbibliotheken verwendet werden können, sofern die Unterrichtsversorgung gesichert ist. Dies ist aber häufig nicht der Fall. Ansonsten liege die Verantwortung für die Schulbibliotheken bei den Bezirken und den Schulämtern, sagt die Sprecherin der Bildungsverwaltung, Beate Stoffers.

Bei den Bezirken wiederum herrscht ohnehin finanzieller Mangel. „Ich kann mir vieles vorstellen, was ich gerne fördern würde, auch Schulbibliotheken“, sagt etwa die Steglitz-Zehlendorfer Bezirksstadträtin Anke Otto (Grüne). „Aber wichtiger ist mir im Moment, dass der Unterricht nicht so oft ausfällt und die Baumängel beseitigt werden.“

Laut Bildungsverwaltung sollen die Schulen mit den Stadtbibliotheken zusammenarbeiten. Da sei aber die Hemmschwelle für viele Kinder zu hoch, sagt Lehrerin Sibylle Recke. Eine Bibliothek mit vertrautem und hilfsbereitem Personal an einem Lebensmittelpunkt der Kinder – der Schule – sei gerade für Kinder aus bildungsfernen Familien ein Weg, mit Büchern überhaupt in Kontakt zu kommen.

In den meisten Fällen hängt die Existenz einer Schulbibliothek vom Engagement Einzelner ab. Es gibt noch nicht einmal genaue Zahlen, wie viele Schulen in Berlin überhaupt Bibliotheken haben. Ein Wissenschaftler der Humboldt-Universität geht in einer Studie von rund 30 Prozent aus – dafür wurde jedoch nur ausgewertet, ob auf den Websites der Schulen eine Bibliothek erwähnt wurde.

Um sich besser positionieren zu können, wurde vor einem Jahr die AG „Schulbibliotheken Berlin-Brandenburg“ gegründet, 55 Schulbibliotheken haben sich dort zusammengetan. Viktor Wolter, Lehrer am Marzahner Victor-Klemperer-Kolleg und in der AG engagiert, berichtet von vielen Schulen, an denen Bibliotheken ein trauriges Dasein fristen.

An seiner Schule etwa hat bisher ein Rentner die Bibliothek betreut, für drei Euro die Stunde. Der Förderverein, der die Stelle finanziert, könne sich das aber auf Dauer nicht leisten und habe deshalb gerade die Stundenzahl halbiert, sagt Wolter. Jetzt wollen die Schüler für den Erhalt der Bibliothek Spenden sammeln.

An der Thomas-Mann-Grundschule in Prenzlauer Berg wurde die Bibliothek bei der Schulsanierung in den Keller verlegt. Ob sie nun überhaupt mehr als sporadisch geöffnet werden kann, ist fraglich. Auch an der Grundschule am Tempelhofer Feld hat die Bibliothek wegen Personalmangels nur einmal wöchentlich zwei Stunden auf.

Dabei könnte man mit Schulbibliotheken so viel erreichen – Viktor Wolter gerät ins Schwärmen. Zu Mediatheken etwa könnten sie werden, ausgestattet mit Computern und Büchern und damit bestens geeignet, um den Schülern Medienkompetenz zu vermitteln.

Um Worte wie Medienkompetenz kümmern sich die Kinder in der Bibliothek der Lenau-Grundschule nicht: Sie wollen einfach spannende Geschichten lesen.

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