zum Hauptinhalt
Buddy-Projekt

© Mike Wolff

Buddy-Projekt: Die kleinen Sheriffs vom Schulhof

Beim „Buddy-Projekt“ werden Grundschüler zu Helfern ausgebildet. Sie lernen, Gewalt zu verhindern und Verantwortung zu tragen.

Auf dem Schulhof kommen schon mal kleinere Katastrophen vor: Ein Junge liegt auf dem Boden, ein verirrter Ball hat ihn am Kopf getroffen. Louisa, Michelle und Fabio sind sofort zur Stelle. Die drei Fünftklässler mit der gelben Schärpe beugen sich fürsorglich über das Unfallopfer und helfen ihm auf die Füße. Nach dem ersten Schmerz geht es dem Jungen schon besser. Nein, er will nicht ins Sekretariat gebracht werden. Fabian läuft wieder zum Fußballplatz, Louisa und Michelle setzen sich auf eine Bank.

Es ist große Pause in der Sachsenwald-Schule in Steglitz, ein paar Tage vor den Ferien. Fabio, Louisa und Michelle sind drei von 22 „Pausenbuddys“ der Grundschule. Ihre Aufgabe besteht darin, kleine Konflikte zwischen den Mitschülern zu lösen. Dadurch sollen die Kinder lernen, soziale Verantwortung für sich und andere zu tragen. Vor einem Jahr wurde das Projekt mit Unterstützung der Bildungsverwaltung an allen Berliner Grundschulen eingeführt. Rund 800 Lehrer haben an speziellen Fortbildungen teilgenommen, damit sie die „Buddys“ ausbilden können. Das Projekt wurde von Pädagogen des überregionalen „Buddy-Vereins“ individuell auf jede Schule zugeschnitten. Die Organisation ist für Idee, Finanzierung und Umsetzung zuständig. Seit Beginn des Sommerhalbjahrs sind Louisa, Fabio und die anderen im Einsatz.

Fabio ist ziemlich forsch und sehr sportlich. Bevor er „Buddy“ wurde, habe er oft beim Fußballspielen die Regeln „sehr eigenwillig ausgelegt“, sagt Andreas Hänisch. Der Sportlehrer ist Ausbilder und Ansprechpartner der Buddys an der Sachsenwald-Grundschule. Er hat Fabio zum „Fußball-Buddy“ ernannt. Der blonde Junge sorgt jetzt dafür, dass die jüngeren Schüler in der Pause fair spielen. Dabei hat er im vergangenen halben Jahr selbst dazugelernt: „Wenn man das Band umlegt, verpflichtet man sich, sich gut zu benehmen. Auch wenn man es nicht trägt“, sagt er ernsthaft. „Ich bin jetzt nicht mehr so schnell stinkig, wenn mich jemand blöd anmacht.“ Er nimmt seine neue Rolle sehr ernst, manchmal ein bisschen zu ernst. „Geh da runter von der Torwand“, ruft er einem Jungen im orangefarbenen T-Shirt im Vorbeigehen zu. Und befiehlt im nächsten Moment anderen Kindern, ihre Stöcke wegzuschmeißen, sie tun es sofort.

„Da hat er sich noch nicht ganz richtig verhalten“, wird Sportlehrer Hänisch später sagen. In der Pause bleibt der Pädagoge im Hintergrund. „Es ist wichtig, dass sie nicht als Sheriffs, sondern als Helfer auftreten.“ Über so etwas wird bei den regelmäßigen „Buddytreffen“ gesprochen. Die Kinder dürfen dort von ihren Erfahrungen berichten und werden von Hänisch für richtiges Verhalten gelobt.

Louisa ist ganz bestimmt kein Sheriff-Typ. Sie ist etwas blass, trägt eine Brille, unter der Schärpe ein Minni-Mouse-T-Shirt und wirkt ziemlich schüchtern – aber lange nicht mehr so zurückhaltend wie zu Beginn des Projekts: „Beim Buddy-Training habe ich gelernt, ganz laut Stopp zu rufen“, sagt die Fünftklässlerin stolz. Gerade die jüngeren Schüler ließen sich gern von ihr trösten, wenn sie geärgert worden sind, erzählt sie. Neulich habe sie dafür gesorgt, dass ein Junge an der Torwand mitspielen darf, sagt ihre Mitschülerin Sarah anerkennend. Vorher hatten ihn die anderen immer ausgeschlossen. Und da ist noch die Mitschülerin mit dem Herzschrittmacher: Andreas Hänisch hat den anderen aufgetragen, besonders auf sie zu achten.

Louisa, Michelle, Sarah und die meisten anderen haben zweimal pro Woche „Dienst“. Fabio und Erek, die beiden „Fußball-Buddys“, jeden Tag, es sei denn, sie haben keine Lust. An der Pinnwand in der Pausenhalle hängen die „Dienstpläne“ der Buddys und Fotos, auf denen sie sehr aufrecht und stolz mit ihrer Schärpe posieren. Daneben ein Zettel mit Tipps zum richtigen Verhalten – falls sie, wie Fabio, mal kurz vergessen, wie es geht: „Aufmunterndes Lächeln“ sei wichtig, steht dort.

Dass die Pinnwand ordentlich aussieht, darauf achten die „Pinnwand-Buddies“. Bei Wandertagen begleiten „Ausflugsbuddys“ die jüngeren Schüler. Nach den Sommerferien will Buddy-Ausbilder Hänisch „Medienbuddys“ einführen, die sich um die Fernsehapparate in der Schule kümmern. An anderen Schulen gibt es auch Buddys, die Tanzen unterrichten, Hausaufgaben betreuen oder beim Lesen helfen.

„Durch das Projekt gestalten die Schüler den Schulalltag mit“, sagt Sportlehrer Hänisch. Und das erfolgreich. Vielen Schülern falle es erst einmal leichter, auf dem Schulhof zu den „Buddys“ zu gehen, die sowieso immer da sind, als zu den Konfliktlotsen, die sich um schwerwiegendere Fälle kümmern. „Kommt ein Schüler mit dem Messer ins Klassenzimmer, hilft Prävention nicht mehr“, sagt Hänisch. An der Schule gebe es zwei sehr verhaltensauffällige Schüler, für die das Projekt zu spät komme.

Das Ziel ist, den Schülern bewusst zu machen, dass sie selbst etwas bewirken können. „Dann greifen Kinder nicht so schnell zu Drogen und Gewalt“, sagt Hänisch. Außerdem bekommen sie soziale Anerkennung. Das ist für schüchterne Schüler wichtig wie auch für Unruhestifter wie Fabio und Erek. „Es ist insgesamt viel ruhiger und entspannter auf dem Pausenhof geworden“, sagt Hänisch. „Oft konzentriert sich alles auf die Problemschüler, hierbei werden alle integriert.“ Sogar die Lehrer. „Wir sind nicht mehr nur Wissensvermittler, sondern auch Coach.“ Beim Lehrertraining hat Hänisch gelernt, „sich zurückzunehmen, Verantwortung abzugeben und den Kindern mehr soziale Kompetenz zuzutrauen“. Der Lernprozess war nicht ganz einfach: „Ich muss mir immer wieder klarmachen, dass ich ihnen die Verantwortung nicht wieder wegnehmen darf, indem ich bei Streitereien eingreife.“

„Oft bleibt nach einem guten Start nicht viel von Antigewaltprojekten übrig“, sagt Frauke Gönner vom Buddy-Verein. Dadurch dass die Lehrer regelmäßig weitergebildet werden und sich regelmäßig mit ihr treffen, soll dies beim Buddy-Projekt verhindert werden.

Hänisch kann sich so gar nicht für das Wort „Buddy“, englisch für Kumpel oder Freund, begeistern. Den Schülern gefällt es. Und viele sind so stolz, mitmachen zu dürfen, dass sie ihre Schärpe auch tragen, wenn sie nicht „im Einsatz“ sind.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false