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Camping am Kotti: Anwohner protestieren gegen steigende Mieten

Am Kottbusser Tor wird Wohnen immer teurer – jetzt haben Anwohner ein Protestcamp errichtet. Die Situation in Kreuzberg ist beispielhaft für die angespannte Wohnlage in immer mehr Bezirken Berlins.

Vom 23. bis zum 27. Juli waren Schüler und Schülerinnen aus verschiedenen Berliner Gymnasien beim Tagesspiegel, um in einem Sommerkurs mehr über Journalismus zu erfahren. Die 16- bis 18-Jährigen erlebten Redakteure bei der Arbeit, nahmen an Schreibworkshops teil und recherchierten und verfassten eigene Artikel zu Themen, die sie sich selbst ausgesucht haben. Hier lesen Sie die Ergebnisse.

Die Anwohnerin bekommt große Augen. „415?“. Die Zahl, über die sie staunt, ist die Höhe der neuen Miete für die Nachbarwohnung. 1-Zimmer mit Bad und Küche, 39 Quadratmeter insgesamt. „Die Wohnung hat vorher 270 Euro warm gekostet“, sagt sie und schüttelt den Kopf. Seitdem das Haus einer privaten Hausverwaltung gehört sind derartige Preisanstiege bei Neuvermietungen nicht ungewöhnlich. Die bestehenden Mieten der Bewohner, die teilweise seit mehreren Jahrzehnten in dem Wohnobjekt leben, darf die Verwaltung zwar nicht erhöhen. „Es wird aber Vieles versucht, um uns zum Auszug zu bewegen“, sagt die etwa Fünfzigjährige. Das häufigste Druckmittel sind hohe Nachzahlungsaufforderungen für Betriebskosten. Eine Staffelmiete für zehn Jahre ist außerdem Bestandteil des Mietvertrages, begründet wird diese mit der notwendigen Anpassung der Miete an die aktuelle Entwicklung der Umgebung und der Lage des Wohnungsmarktes.  2022 soll die kleine Wohnung im Berliner Stadtteil Kreuzberg 36 über 500 Euro kosten, mehr, als eine Drei-Zimmer-Wohnung in Marzahn-Hellersdorf. „Da bleibt nur Randbezirk“, heißt es bei denen, die bei solchen Preisanstiegen die Mieten nicht bezahlen können. Und das sind nicht gerade Wenige.

Die Lage in Berlin ist angespannt. Viele Anwohner der Innenstadt hat es schon nach Spandau und Co verschlagen. Die  problematische Wohnsituation mit steigenden Mieten, Aufwertung und Wohnungsknappheit zieht sich in unterschiedlichen Entwicklungsstadien mittlerweile durch beinahe alle Bezirke, von Kreuzberg und Friedrichshain über Neukölln bis Prenzlauer Berg und weiter. Auch im Ortsteil Wedding sind Neuvermietungen zu Preisen ab 7 Euro pro Quadratmeter immer häufiger und selbst in Reinickendorf wird Wohnen teurer. Viele Anwohner haben Sorge, die stetig ansteigenden Mieten bald nicht mehr tragen zu können und umziehen zu müssen. Doch genau so präsent wie die von vielen unter dem Begriff Gentrifizierung zusammengefasste Entwicklung ist der Protest der Anwohner. In beinahe jedem Bezirk gibt es mittlerweile Kiezinitiativen, die verschiedene Aktionen von Informationsveranstaltungen über Kundgebungen und Konzerte bis hin zu Demonstrationen organisieren. Es wird sich ausgetauscht, informiert und beraten, denn kaum jemand möchte einfach so seine Wohnung wechseln. Selbst in Pankow, einem Bezirk, der eher als gehobene Wohngegend gilt, gibt es eine Postkartenaktion gegen steigende Mieten.

Der Mieterprotest der Kreuzberger Anwohner ist von allen stattfindenen Aktionen wohl die Spektakulärste: Seit dem 26.5. hat die Mieterinitiative Kotti und Co ein Protestcamp am Kottbusser Tor eingerichtet. Am Mittwochnachmittag halten sich hier etwa zehn Anwohner auf. Pinsel und Farbeimer liegen herum, man ist mit dem Bemalen eines großen Transparentes beschäftigt. Zwei junge Männer spielen Gitarre, die Stimmung ist entspannt. Doch die Protestler machen keinen Camping-Urlaub: Jeden Samstag gibt es sogenannte Lärmdemonstrationen; ohne Redebeiträge, dafür mit viel Krach, unter der Woche finden Kundgebungen statt. Was die Anwohner wollen, ist Aufmerksamkeit. Von den Medien, der Politik, den Hausverwaltungen. Vieles haben sie schon versucht: Vergangenen November überreichten Vertreter der Initiative der neuen berliner Regierungskoalition ihre Forderungen, Kontakt zum Berliner Mieterverein, Stadtentwicklungssenator Müller und der Mietergemeinschaft wurden aufgenommen. Die Hausverwaltungen GSW und Hermes, denen die knapp 1000 Sozialwohnung am Kottbusser Tor gehören, wurden ebenso zum Gespräch eingeladen wie der Kreuzberger Bürgermeister Franz Schulz. Gesprächsbereitschaft hatte niemand. Viele Anwohner müssen mittlerweile 40-50 Prozent ihres Gesamteinkommens für die Miete aufwenden. Die Wohnungen in der als „problematische Großraumsiedlung“ der Kategorie 1 eingestuften Gegend werden stetig teurer, seitdem die Kappungsgrenze von 5,35 Euro pro Quadratmeter aufgehoben und der Wohnraum privat verwaltet wird. „Was ist noch sozial am sozialen Wohnungsbau?“, heißt es auf der Internetpräsenz der Initiative. Rund um die Uhr sind die Anwohner im Camp, sie wechseln sich in 4-stündigen Schichten ab. Abbauen wollen sie ihre Zelte erst, wenn ihre Forderungen erfüllt werden. Dazu zählen eine Wiedereinführung der Kappungsgrenze bei 4 Euro/ qm und Gesprächs- und Handlungsbereitschaft von Hausverwaltungen und Politik. „GSW und Hermes müssen ihrer Verpflichtung, bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen, für die sie seit Jahrzehnten subventioniert werden, nachkommen“, heißt es.

Der junge Student aus Frankfurt am Main, der für sein Studium in Berlin eine Wohnung sucht, findet die Mieten dagegen relativ niedrig. „Ist doch richtig günstig hier. In Frankfurt sind 15 Euro pro Quadratmeter völlig normal.“ Für die alteingesessenen Berliner und einkommensschwächeren Anwohner ist das ein schwacher Trost.

Im vergangenen  Jahr fand am 3. September eine berlinweite Demonstration gegen steigende Mieten statt, etwa 6000 Menschen nahmen daran teil. Geändert hat sich seitdem offenbar wenig. Wenn die Demonstration kommenden September wiederholt wird, werden wohl kaum weniger Menschen teilnehmen.

Sarah Bekker

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