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Chor: Den richtigen Ton getroffen

Ob im Chor, der Big Band oder im Blasorchester – für Tausende Kinder gehört Musik zum Schulalltag. Musikschulen sind überlaufen.

Können ganz normale Erstklässler Bach singen? Und damit in der Philharmonie auftreten? Können sie! Seit zwei Jahren beweist die Evangelische Schule Charlottenburg, dass sich alte Musik zu einem festen Bestandteil des Schullebens machen lässt: 70 Kinder der ersten bis vierten Klassen sind Mitglieder des schuleigenen Chores „Cantores minores“, der Karfreitag im Kammermusiksaal der Philharmonie die Matthäuspassion aufführen wird. (Kartenbestellung: Tel. 8090-8070). Längst ist der Chor zu einem Selbstläufer geworden – obwohl die Kinder vier Stunden zusätzlichen Unterricht verkraften müssen.

Was in Charlottenburg passiert, fügt sich ein in ein buntes Bild von musisch orientierten Schulen. Hunderte Orchester, Big Bands, Ensemblegruppen und Chöre gehören zum Schulalltag. Tausende Schüler bleiben ein- oder zweimal pro Woche länger in der Schule und schleppen ihre Instrumente mit sich herum, um zu proben, oder sie stehen morgens früher auf, weil – wie etwa am Britzer Albert-Einstein-Gymnasium – der Chor schon vor dem „normalen“ Unterricht zusammenkommt.

„Man kann Kindern alles Mögliche anbieten – ob Beatles oder Monteverdi: Man begeistert sie!“, ist die Erfahrung von Gerhard Oppelt, der das Ensemble Berlin Baroques leitet und mit drei Dozentinnen den Chor der Evangelischen Schule Charlottenburg betreut. Dabei sei es nicht einmal entscheidend, ob die Eltern bildungsorientiert oder musikbegeistert seien: „Manche Eltern wissen noch nicht mal, wo die Philharmonie ist“, hat Oppelt festgestellt. Trotzdem seien sie bereit, monatlich 30 Euro zu investieren, damit ihre Kinder den zusätzlichen Unterricht in Musiktheorie und Stimmbildung erhalten.

Dass Musik fast die ganze Schule erfassen kann, zeigt sich auch an der Clay-Gesamtschule in Neukölln. Durch ihre anerkannte Musikprofilbildung hat sie zusätzliche Musiklehrer. „Jeder Schüler kann sich bei uns musikalisch betätigen oder tanzen“, berichtet der stellvertretende Schulleiter Lothar Semmel. Neben dem Orchester gibt es diverse Ensemblegruppen und die beeindruckende Steelband. Zudem gehört die Clay-Schule mit dem Charlottenburger Heinz-Berggruen- und dem Britzer Einstein-Gymnasium zu den Schulen, die eine eigene Bläserklasse haben. All diese Schulen haben stets mehr Anmeldungen als Plätze. Sehr gefragt ist auch die musikbetonte Humboldthain-Grundschule in Mitte.

„Die Nachfrage ist sehr stark“, berichtet auch Ute Stäbe-Wegemund vom Dahlemer Arndt-Gymnasium. Zusammen mit dem Lichterfelder Goethe-Gymnasium veranstalten sie regelmäßig eine „Jazz-Night“. Es gibt ein Orchester und verschiedene Big Bands, die als „United Big Band“ auftreten. Sogar eine Elternband kann das Arndt-Gymnasium aufweisen. Wenn es zu alldem noch eine Steigerung gibt, dann wohl nur am Bach-Gymnasium in Mitte, das eine einzigartige Individualförderung betreibt und auch nur musikalisch hochbegabte Kinder aufnimmt.

Mit Unverständnis reagieren all diese Schulen darauf, dass die Sekundarschulen künftig nur noch eine Stunde Musik und Kunst zugestanden bekommen, die sie dann sogar zugunsten des jeweils anderen Faches ganz streichen können. Auch in sozialen Brennpunkten könne Musik ein erfolgreiches und beliebtes Fach sein – wenn der Unterricht gut gemacht werde, ist der Leiter der Evangelischen Schule Charlottenburg, Eckart Jendis, überzeugt. „Musik hilft in Brennpunkten und sie hilft bei den Kopffächern wie etwa Mathematik“, lautet Jendis’ Erfahrung. Deshalb sei es auch so wichtig, dass dem Musiklehrermangel begegnet werde, ergänzt Lothar Semmel. Denn neben dem regulären Musikunterricht müssen auch die vielen Musikprofile personell unterfüttert werden. Und die gibt es überall: In den musikbetonten Grundschulen berlinweit ebenso wie beispielsweise in der Mildred-Harnack-Schule in Lichtenberg, der Gutenberg-Schule in Hohenschönhausen, der Bettina-von-Arnim-Schule im Märkischen Viertel, der Kurt-Tucholsky-Schule in Pankow oder der Caspar-David-Friedrich-Schule in Hellersdorf.

Auch die Musikschulen der zwölf Bezirke sind vielfach überlaufen. Rund 41 000 Personen nehmen hier Unterricht; ein paar Tausend Kandidaten – meist Kinder – warten auf einen Platz. Doch mancherorts müssen sogar bestehende Verträge gekündigt und Lehrer entlassen werden, weil die Mittel fehlen.

Dass die Verantwortung für die Kultureinrichtungen in den Bezirken liegt, sei „Chance und Bedrohung zugleich“, sagt Chris Berghäuser. Er ist einer der drei Sprecher der Berliner Musikschulen und Leiter der Einrichtung in Pankow. Angesichts der desolaten Finanzlage stehen sie in manchen Bezirksparlamenten ganz oben, in anderen am Ende der Prioritätenliste. Etliche Bezirke müssen sparen, weil das Geld fehlt. Grundsätzlich begrüßt wird in den Bezirken aber die vorgesehene verstärkte Kooperation zwischen Musik- und allgemeinbildenden Schulen. Den klassischen Musikunterricht, den die künftigen Sekundarschulen in den Klassenstufen 7 bis 9 zugunsten von Kunstunterricht abwählen dürfen, kann das aber nicht ersetzen. Es könne sich nur um ergänzende Angebote handeln, sagt Amtsleiterin Gudrun Landau aus Tempelhof-Schöneberg. „Wir können und wollen den klassischen Musikunterricht nicht ersetzen“, so Musikschulleiter Udo Krzyzynski. Bildungsstadtrat Svend Simdorn aus Treptow-Köpenick hält die Reduzierung von musischen Fächern für „grundfalsch“. „Körper und Geist gehören zusammen“, sagt der Stadtrat. Den „gigantischen Verrohungstendenzen gerade in Berlin“ sollte durch musische Erziehung ein Gegengewicht gesetzt werden.

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