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Schule: Das fahrende Klassenzimmer

Zum Circus Krone gehört auch eine eigene Schule Im Schulwagen lernen zurzeit allerdings nur zwei Schülerinnen

Auf der Fahrt nach Berlin ist die große Tafel von der Wand gefallen. Eigentlich gar nicht so schlecht. Denn jetzt kann Friederike von Fisenne gleich aus ihrem Wohnzimmer in den Klassenraum gehen. Vorher blockierte die Tafel die Tür. Frederike von Fisenne ist Lehrerin an einer der kleinsten und ungewöhnlichsten Schulen Deutschlands – nämlich im Circus Krone, der gerade in Zehlendorf gastiert. Die Schule ist ein altmodisch-hübscher Zirkuswohnwagen – halb Wohnung der Lehrerin, halb Klassenraum.

Vier Tische mit acht Stühlen gibt es dort für ihre Schüler. Aber an diesem sonnigen Morgen lernen hier nur zwei Kinder. Eine von ihnen ist die zwölfjährige Zezi. Sie sitzt direkt vor dem Tisch der Lehrerin und übt Rechtschreibung: „Tasse“ wird mit „ss“ geschrieben, „fleißig“ aber mit „ß“. Die Wörter trägt sie in eine Tabelle ein. Seit neun Jahren geht Zezi im Circus Krone zur Schule. „Wir üben sehr viel Rechtschreibung“, sagt Friederike von Fisenne. Denn Zezi sei nicht so weit wie ihre Altersgenossen an normalen Schulen. Die Gymnasiallehrerin aus Hamburg ist erst seit einem Jahr bei Krone. Vorher hätten die Lehrer alle halbe Jahre gewechselt. Wie viele hat Zezi also schon gehabt? „Pfuh“, sagt sie und denkt nach. „So 15 bis 16. Die waren oft nicht so das Wahre.“

Neben der Tür hängen Bilder von mehreren anderen Kindern. Ein Junge guckt ernst vom Foto: „Er ist noch nicht lange weg“, sagt Friederike von Fisenne. „Im Sommer hatte ich zehn Schüler, da war der Wagen richtig überfüllt.“ Zwei haben gerade ihren Realschulabschluss geschafft, in Kooperation mit der Zirkusschule Düsseldorf. Die anderen Kinder sind in ihre Heimat zurückgekehrt. Denn die meisten der Mitarbeiter im Zirkus stammen aus osteuropäischen Ländern. Sie arbeiten nicht nur als Artisten, sondern auch als Zeltaufbauer, Tierpfleger und in allen möglichen anderen Berufen.

Ihre Kinder reisen in den Sommerferien mit durch Deutschland, im Herbst und Winter leben sie in ihrer Heimat und gehen dort zur Schule. Zezis Mutter arbeitet in der Zirkusküche, der Vater ist Zeltmeister. Die Familie bleibt immer bis zum Ende der Zirkussaison im November bei Krone. Dann fahren sie nach Bulgarien, um dort den Winter bei Verwandten zu verbringen. In die Schule geht Zezi da aber nicht. „Das habe ich zwar schon mal ausprobiert“, sagt sie. „Aber die Zirkusschule hat mir besser gefallen.“ Auch wenn sie hier keine Sommerferien und Wochenenden hat – dafür aber an Auf- und Abbautagen frei.

„Also ich bin fertig“, sagt plötzlich Saskia aus der zweiten Reihe. Saskia ist erst vier. Aber sie geht auch schon in die Zirkusschule und übt dort am liebsten ganz konzentriert schreiben: Das Wort „Lineal“ zum Beispiel und viele ordentliche Buchstaben. Manchmal übt Zezi auch mit ihrer kleinen Mitschülerin. Geschichte lernt sie aber allein, gerade bespricht Friederike von Fisenne mit ihr die Besatzungszeit und die Sektoren nach dem Zweiten Weltkrieg in Berlin. Sie bringt ihren Schülern immer etwas über die Städte bei, in denen sie gerade gastieren. Und wenn es dann in die nächste Stadt geht, wird Zezi helfen, alles im Wagen festzuzurren – beim nächsten mal auch die Tafel, damit sie nicht umherfliegt. Daniela Martens

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