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Qualität. Mit einem Festpreis für die Caterer soll der Preiskampf auf Kosten der Qualität beendet werden.

© picture alliance/dpa

Berliner Schulen: Umstellung des Schulessens läuft nicht rund

Vor einem Jahr schockierte die Meldung über Magen-Darm-Infekte Berlin. Seitdem wurde viel über besseres und sicheres Schulessen diskutiert. Nun soll zum 1. Februar 2014 die Verpflegung in den Schulen umgestellt werden. Doch bis dahin gibt es noch eine ganze Reihe an Schwierigkeiten zu meistern.

Es soll der große Paradigmenwechsel werden: Ab dem 1. Februar 2014 soll das Essen in den Mensen der Grundschulen besser schmecken, denn künftig wird der Caterer nicht mehr nach dem günstigsten Preis, sondern nach der besten Qualität ausgewählt. Die Vorbereitungen für die Umstellung der Schulessenversorgung laufen derzeit – und nicht alles läuft dabei rund. „Der 1. Februar ist ein sportlicher Termin“, sagt ein Schulamtsvertreter aus Tempelhof-Schöneberg, „denn es gibt noch viele Baustellen“.

Die neuen Regeln: Qualität statt Preis

37 Euro statt 23 Euro zahlen Eltern von Grundschülern künftig pro Monat, wenn ihre Kinder am Schulmittagessen teilnehmen. Die Caterer bekommen einen Festpreis von 3,25 Euro pro Essen. Deshalb soll es keinen Preiskampf auf Kosten der Qualität mehr geben. Inzwischen haben die Bezirke europaweite Ausschreibungen für die neuen Verträge veröffentlicht. Anbieter können sich bis Ende September melden. Die neuen Verträge laufen bis Ende Juli 2017 und sind jeweils halbjährlich kündbar. Die Anbieter müssen sich unter anderem verpflichten, die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zur Schulverpflegung einzuhalten, täglich Rohkost und Obst zu liefern und keine Geschmacksverstärker und Konservierungsstoffe zu verwenden.

Auswahl der Caterer

Ausgewählt wird der Essensanbieter bei Probeverköstigungen. Daran sollen Essensausschüsse der Schulen und der Bezirke teilnehmen. Den Schulkommissionen gehören Eltern, Lehrer, Erzieher und Schüler an, letztere allerdings nur als beratende Mitglieder. Die Essensausschüsse sollen nicht nur bei der Auswahl mitreden, sondern sich das ganze Jahr mit dem Schulessen beschäftigen, die Qualitätsentwicklung beobachten und Verschlechterungen an die Bezirke melden. Derzeit sollen diese Ausschüsse an den Schulen gebildet werden.

Noch nicht ganz klar ist, wer letztendlich entscheidet, wenn sich Bezirks- und Schulvertreter bei der Auswahl nicht einig sind. Derzeit sieht es so aus, dass die Bezirke im Zweifelsfall ein größeres Stimmgewicht haben könnten. „Wir verhandeln darüber noch“, sagt Landeselternsprecherin Lieselotte Stockhausen-Döring. „Aber wir hoffen auf mehr Mitbestimmung.“ Im Oktober könnte es die ersten Probeessen geben. Das dürfte auch die Caterer vor logistische Probleme stellen, denn sie müssen im gleichen Zeitraum in zwölf Bezirken zu Probeverköstigungen antreten.

Soziale Härtefälle könnten zusätzlich belastet werden

Elternvertreter befürchten, dass durch die Verteuerung des Schulessens viele ärmere Familien ihre Kinder vom Essen abmelden. Für Eltern, deren Einkommen knapp über den Sozialtransfergrenzen liegt und die vielleicht mehrere Kinder im Grundschulalter haben, könnten die 17 Euro mehr pro Monat und Kind das Haushaltsbudget zu stark belasten. „Viele schämen sich und haben Angst vor Stigmatisierung“, sagt Elternvertretern Erika Takano-Forck. Die Antwort der Politik auf derartige Befürchtungen lautete stets: „Wir haben doch den Härtefallfonds“. Tatsächlich ist aber noch völlig unklar, wie dieser gehandhabt werden soll und unter welchen Bedingungen Familien davon profitieren sollen.

Fest steht, dass die Bezirke je 20 000 Euro pro Jahr für den Härtefallfonds zur Verfügung stellen, und dieser genutzt werden soll, um Familien in temporären Notlagen zu helfen. Sie würden dann ganz oder teilweise von der Zuzahlung befreit. Bis zu einem Jahr können die Kosten übernommen werden, heißt es aus der Senatsbildungsverwaltung. Das Problem dabei: Geringverdienende Familien haben oft dauerhaft, und nicht nur zeitweise, wenig Einkommen. Zudem wird die Verantwortung den Lehrern und Schulleitern auferlegt. Wenn sie merken, dass ein Kind beispielsweise oft ohne Frühstück zur Schule kommt oder wenn sie von anderen sozialen und finanziellen Schwierigkeiten der Familie wissen, sollen sie einen Antrag stellen. „Die Schulen werden damit überfordert. Sie werden in die Lage von Sozialhilfeträgern gebracht“, kritisiert ein Schulamtsmitarbeiter. Zudem sei Missbrauch und Willkür nicht auszuschließen. Um Familien mit mehreren Kindern zu entlasten, müsse es zumindest einen Geschwisterrabatt geben, fordern deshalb Elternvertreter.

Auch bisher gab es schon einen Härtefallfonds, der jedoch in vielen Bezirken nach Einführung des Bildungs- und Teilhabepakets im Jahr 2011 kaum genutzt wurde. Familien, die Sozialleistungen, zum Beispiel Wohngeld oder Arbeitslosengeld II bekommen, zahlen danach nur einen Euro pro Tag und Essen. Das gilt auch weiterhin.

Fehlendes Geschirr, Spülmaschinen und Stromanschlüsse erhöhen Kosten

Ausstattung der Küchen

Ein weiteres Problem ist, dass die Küchen an den meisten Schulen nicht gut ausgestattet sind. „An einigen Schulen gibt es nicht einmal Spülmaschinen“, bestätigt die Pankower Schulstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD). Auch Stromanschlüsse fehlen teilweise. Besonders im Ostteil hinken viele Schulküchen in der Ausstattung hinterher. Das liegt daran, dass die Schulen bereits zu DDR-Zeiten Küchen hatten, während in Westberlin im Zuge des Ganztagsschulausbau neue Küchen eingebaut wurden. Dafür zur Verfügung gestellte Gelder flossen also vornehmlich in den Westen, mit der Folge, dass die Ostküchen mittlerweile veraltet und marode sind. Die schlechte Ausstattung vieler Küchen ist nicht nur ein hygienisches Problem, sondern läuft auch der Idee zuwider, dass möglichst frisch gekocht werden soll. Vielerorts ist das technisch gar nicht möglich. Hinzu kommt, dass jetzt die Bezirke für die Ausstattung der Küchen verantwortlich sind. Bisher brachten oft die Caterer Geschirr, Besteck und Mobiliar mit. Diese zusätzlichen Kosten könnten die Bezirke in finanzielle Schwierigkeiten bringen.

Und wer bezahlt's?

Bislang waren die Abgeordneten und die Bezirke davon ausgegangen, dass das Land den Bezirken die erhöhten Ausgaben für die bessere Essensqualität voll erstattet. Das hätte bedeutet, dass der Senat pro Schulessen Ausgaben von 3,30 Euro zugrundelegt – 3,25 Euro für die Caterer und 5 Cent für die Verwaltungsaufgaben. Inzwischen gibt es an dieser Version allerdings Zweifel. Einige Bezirke berichten, der Senat lege bei seinen Zuschüssen an die Bezirke einen Betrag von nur 3,11 Euro zugrunde, fordere aber, dass 3,30 Euro ausgegeben werden. Die Differenz müsse durch Einsparungen („pauschale Minderausgaben“) in anderen Bereichen erwirtschaftet werden. Dadurch würden neue Löcher gerissen, mahnt nun der bildungspolitische SPD-Sprecher Ilkin Özisik. Seine Fraktion werde das „auf keinen Fall hinnehmen“. Allein der Bezirk Mitte klage über eine Finanzierungslücke von 1,2 Million Euro, berichtet Özisik. Ähnliches ist aus Pankow zu hören. „Wir müssen jetzt bei den Sachmitteln für die Schulen kürzen“, kritisiert der grüne Fraktionsvorsitzende Cornelius Bechtler. Demnach gingen allein den Grundschulen 260 000 Euro verloren, um den Fehlbetrag beim Schulessen auszugleichen. Aus den Sachmitteln müssen alle Ausgaben vom Toilettenpapier bis hin zu Schulveranstaltungen finanziert werden.

Auch Reinickendorfs Bildungsstadträtin Katrin Schultze-Berndt (CDU), berichtet über eine Finanzierungslücke von über drei Millionen Euro als Folge der pauschalen Kürzungen. „Das bedeutet, dass wir für 1800 unserer 26 000 Schüler überhaupt keine Zuschüsse erhalten“, rechnet sie vor. „Die grüne Haushalts- und Schulexpertin Stefanie Remlinger fordert, die Bezirkszuschüsse so zu erhöhen, dass 3,30 Euro ausfinanziert sind.

Vor einem Jahr begann der Skandal

Elternbeschwerden waren lange Zeit der einzige Anhaltspunkt dafür, dass mit der Qualität des Berliner Schulessens etwas nicht stimmte. Im Mai 2012 kam Bewegung in die Debatte, als die größten Berliner Caterer eine Essensauschreibung boykottierten. Ihre Begründung lautete, dass es wirtschaftlich unmöglich sei, für den damals üblichen Preis zwischen 1,90 und 2,20 Euro ein qualitativ vertretbares Mittagessen anzubieten. Zunächst war unklar, ob alle Schulen in Friedrichshain-Kreuzberg nach den Sommerferien überhaupt eine Essensversorgung haben würden. Kleine Caterer sprangen in die Bresche.

Eine neue Studie

Im Auftrag der Bildungsverwaltung errechneten Hamburger Wissenschaftlerinnen, was eine Schulmahlzeit kosten müsste, damit die Qualität stimmt. Das Ergebnis lag Anfang September 2012 vor. Zentrale Botschaft: Unter 3 Euro ist gar nichts zu machen.

Der Fall Sodexo

Kurz vor den Herbstferien 2012 häuften sich bundesweit plötzlich die Meldungen über Magen-Darm-Infekte. Ende September stand fest, dass sich tausende Schul- und Kitakinder mit dem Norovirus infiziert hatten. Als Quelle wurden tiefgefrorene Himbeeren aus China ausgemacht, die der Großcaterer Sodexo verarbeitet hatte. Die Massenerkrankung gab der Qualitätsdebatte neuen Auftrieb. Die Hoffnung der Eltern allerdings, mittels neuer Ausschreibungen den Einsatz regionaler Produkte vorschreiben zu können, scheiterte an den Vorschriften für Ausschreibungen. Den Bio- und Fleischanteil hingegen kann man festlegen.

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