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Manche Eltern würden ihre Kinder am liebsten bis ins Klassenzimmer begleiten.

© dpa

Der erste Schultag: Manche Eltern sind zu fürsorglich

In der Schule sollen Kinder selbstständig werden. Manche Mütter und Väter sind aber übertrieben fürsorglich und würden am liebsten mit ins Klassenzimmer. Der Schulpsychologe rät, es nicht zu übertreiben.

Inzwischen geht Paul schon in die zweite Klasse – und noch immer eskortiert Mama ihn morgens bis an seinen Platz. Oder Papa drückt sich die Nase an der Fensterscheibe platt, um noch einmal ins Klassenzimmer zu schielen. Statt eines Ranzens nennt Paul ein rollbares Pilotenköfferchen sein Eigen („Damit der Junge nicht so schwer trägt!“). Turnbeutel schleppen, Jacke aufhängen, Brotdose zurechtlegen – all das gehört auch zum Rundumservice von Mama.

„In den aufregenden ersten Wochen der Schulzeit ist Begleitung natürlich wichtig, man darf es aber nicht übertreiben“, sagt Wolfgang Steininger vom Schulpsychologischen Beratungszentrum des Bezirks Lichtenberg. „Schließlich werden die Kinder eingeschult und nicht die Eltern.“ In der Schule solle der Nachwuchs ja gerade zur Selbstständigkeit erzogen werden. Und: Geht der Unterricht erst mal los, sind die Kleinen ohnehin auf sich allein gestellt, müssen sich zum Beispiel ohne Hilfe an- und ausziehen oder im Schulgebäude zurechtfinden.

Steininger empfiehlt, am Anfang erst einmal zu schauen, wie die jeweilige Schule den Start für die Jüngsten organisiert. „Oft stehen in den ersten Tagen oder Wochen die Klassenlehrer auf dem Hof und die Kinder können sich einfach dazustellen. Dann geht man gemeinsam zum Klassenraum.“ Je nachdem, wie mutig das Kind ist, können sich Eltern dann entweder gleich verabschieden oder in Sichtweite noch etwas warten, um dem Nachwuchs Sicherheit zu geben. Ängstlichen Kindern sollte man Stück für Stück immer ein wenig mehr zutrauen: Heute warte ich bei dir, morgen ein Stückchen weiter weg und bald schaffst du es bestimmt alleine!

Meist seien aber nicht die Kinder, sondern die Eltern das Problem, meint Wolfgang Steininger. Auch seine Frau, eine Grundschullehrerin, kann davon ein Lied singen. „Einmal drehte sie sich zur Klasse um und wollte mit dem Unterricht anfangen, da saß noch eine Mutter mit am Tisch“, erzählt der Psychologe. Durch solche Überfürsorglichkeit erziehe man den Nachwuchs aber nicht nur zur Unselbstständigkeit, sondern setze ihn auch den Hänseleien der Mitschüler aus. „Ein Erstklässler will sich schließlich groß fühlen – und nicht wie das Kindergartenkind, das er früher mal war.“

Auf dem Weg zur Schule brauchen Neulinge dagegen noch etwas länger Unterstützung. Wie lange, das ist von Kind zu Kind unterschiedlich, sagt Anja Hähnel, die beim Verkehrsclub Deutschland für den Bereich Mobilität zuständig ist. Wichtig sei es, den Schulweg mit dem Kind durchzusprechen und schon vor der Einschulung mehrmals abzulaufen. „Das Kind muss sicher sein, bevor es den Weg alleine bewältigt.“ Dabei helfe es, ihm nicht alle Entscheidungen abzunehmen und es zum Beispiel selbst entscheiden zu lassen, ob man jetzt sicher über die Straße gehen kann und nicht. Außerdem sei es sinnvoll, sich beim gemeinsamen Ablaufen Punkte auszusuchen, von denen der Nachwuchs einen guten Überblick über die Straße hat.

Wer Kinder zur Schule begleitet, dem sollten sie vertrauen können. Das gilt auch für neue „Patchwork-Väter oder -Mütter“: „Sie müssen sich mit der Person wohlfühlen“, meint Hähnel. Falls das mit dem neuen Partner von Mama oder Papa nicht klappe, müsse man offen darüber sprechen – und dann vielleicht lieber mit dem Nachbarskind laufen. „Das darf man nicht persönlich nehmen.“

Am besten wird der Schulweg zu Fuß zurückgelegt. Denn auf der Strecke bekommen die Kleinen ein Gefühl für ihre Umgebung, können Sauerstoff tanken und sich vor dem Sitzen im Unterricht noch ein wenig bewegen. Wissenschaftler der University at Buffalo (USA) haben in einer Studie außerdem nachgewiesen, dass der zu Fuß bewältigte Schulweg die Stressanfälligkeit von Kindern reduzieren kann.

Laut einer Umfrage der Techniker Krankenkasse marschiert auch tatsächlich die Hälfte aller deutschen Grundschüler zum Unterricht. Jeder Fünfte wird allerdings mit dem Auto gebracht. Mit dem Rad sollten Kinder nach Ansicht des ADAC erst dann zur Schule fahren, wenn dies im Unterricht geübt wurde. Kleine Kinder seien mit den vielen Aufgaben, die ein Radfahrer im Straßenverkehr zu bewältigen habe, überfordert. Gut üben muss man auch die Fahrt mit Bus und Bahn. „Viele Kinder haben Panik, dass sie die richtige Haltestelle verpassen“, sagt Anja Hähnel. Oder gerieten aus dem Konzept, wenn „ihre“ Station zum Beispiel wegen Bauarbeiten verlegt wurde.

Übrigens: Das Abholen nach Schulschluss finden die meisten Kinder prima, zumindest in der Grundschule. Später kann sich das wieder ändern – wie Wolfgang Steininger als dreifacher Vater aus Erfahrung weiß. „In der 7. Klasse hat mal eine meiner Töchter zu mir gesagt: Kannst du dich nicht hinterm Baum verstecken? Als sie dann in der 11. war, war es aber plötzlich wieder cool, von Papi abgeholt zu werden.“

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