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Mit dem ABC fängt es an: Erstklässler im Unterricht.

© dpa

Deutsch-englische Schulen: Wanted: Schulplatz

Staatliche deutsch-englische Grundschulen gibt es nur im Westen der Stadt. Dort aufgenommen zu werden, ist schwer.

Eine typische Szene am Abendbrottisch der Familie Tokaryk: „How was English today?“, fragt der Vater enthusiastisch. „Boring! Langweilig!“, schallt es von seinen Töchtern zrück. „Wir haben Körperteile aufgeschrieben.“ „Und dann berichtet das Kind vom deutschen Tag logischerweise auf Deutsch, sofern keiner eingreift“, sagt Jana Tokaryk, Mutter der neunjährigen Zwillinge Nathalie und Samantha.

Zuhause sprechen die beiden Deutsch mit der Mutter und Englisch mit dem Vater, der aus Kanada stammt. Die Eltern sprechen beide Sprachen fließend. In der Schule allerdings – und damit in einem Großteil ihres Alltags – ist Bilingualität kein Thema. „Ich will in Englisch mehr mit anderen Kindern machen, Geschichten schreiben oder so“, sagt Samantha. Nathalie hätte Lust, mehr auf Englisch zu lesen – hat sich jetzt aber Oliver Twist auf Deutsch aus der Schulbibliothek ausgeliehen.

„Die Kinder könnten auf Englisch viel mehr im Unterricht sagen, aber das würden die anderen nicht verstehen und deshalb können sie nie wirklich etwas leisten, verlieren das Interesse, die Sprache verkümmert“, sagt Jana Tokaryk. „Es wäre schön, meinen Töchtern einen an ihr Niveau angepassten Englischunterricht zu bieten. Aber auf eine Privatschule können und wollen wir sie aber nicht schicken.“

Aber eine bilinguale deutsch-englische staatliche Grundschule zu finden, die nicht aus allen Nähten platzt und nicht weit entfernt ist, ist in Berlin, das so gern eine internationale Metropole sein möchte, für viele Familien ein Problem. Vier solcher Grundschulen gibt es in Berlin – 16, 15, 14 und sechs Kilometer von der Wohnung der Tokaryks entfernt, alle im Südwesten der Stadt. Und bei all diesen Schulen gibt es regelmäßig etwa drei Mal so viele Bewerber für die ersten Klassen wie Plätze. Außerdem gibt es einige Grundschulen mit Angeboten wie einer zusätzliche Englischstunde oder Englischunterricht ab der ersten Klasse. Aber von bilingualem Alltag kann auch dort nicht wirklich die Rede sein.

Die noch am nächsten gelegene bilinguale Einrichtung für die Tokaryk-Mädchen ist die Nelson-Mandela-Schule in Wilmersdorf. Die Tokaryks gaben sie aber nur als Zweitwahl an. „Unsere Einzugsschule hatte damals einen sehr schlechten Ruf. Und man sagte uns, dass die Chancen, an der Nelson-Mandela in die erste Klasse aufgenommen zu werden, sehr klein seien“, sagt Jana Tokaryk. Ihre Erstwahl deshalb: eine nah gelegene Schule mit gutem Ruf, aber ohne speziellen Englischunterricht.

Wer beim Auswärtigen Amt arbeitet, ist im Vorteil

„Wir hatten damals bei der Nelson-Mandela nachgefragt und es hieß, es sei durchaus möglich, im Lauf der Grundschulzeit quer einzusteigen.“ Im vergangenen Jahr schickten sie eine Bewerbung für einen Quereinstieg. Sie bekamen nicht einmal eine Absage. Erst nach wiederholten Nachfragen habe man ihm gesagt, Kinder, die schon eine Schule in Berlin besuchten, würden grundsätzlich nicht an den Nelson-Mandela-Schule aufgenommen, sagt der Vater, Scott Tokaryk.

Auf der Webseite finden sie den genauen Grund: Nur Kinder, deren Familien nachweislich zu „hoch mobilen Personengruppen“ gehören, könnten sich ab Klasse zwei dort bewerben. Das heißt, die Eltern müssen im Auswärtigen Amt arbeiten, bei „anderen internationalen Einrichtungen des Bundes, diplomatischen Vertretungen, Universitäten“ oder in „international tätigen Unternehmen, Verbänden und Organisationen sowie Medienbereichen“. Scott Tokaryk arbeitet in einem Verlag, Jana Tokaryk als Lehrerin. „Staatlich finanzierte Schulen sollten für alle Kinder zugänglich sein – unabhängig davon, wer ihre Eltern sind oder was für einen Beruf ihre Eltern ausüben. Das hat für mich hat mit einer offenen Gesellschaft zu tun“, sagt Scott Tokaryk.

Die Nelson-Mandela-Schule sei nun mal nicht für Berliner Kinder gedacht, sondern dazu gegründet worden, englischsprachigen Kindern, die aus dem Ausland nach Berlin kommen und wahrscheinlich bald wieder wegziehen, einen geeigneten Lernort zu bieten, sagt Schulleiter Christian Nitschke. „Berliner Kinder haben die gesamte Schullandschaft zur Auswahl.“ Früher habe es häufiger mal eine Chance für Berliner Kinder gegeben, doch aufgenommen zu werden. Im vergangenen Jahr hätten sich mehr als 200 Kinder auf insgesamt 64 Erstklässler-Plätze in vier Klassen beworben, nur 24 Plätze davon gingen an Kinder, die nicht als „hochmobil“ eingestuft wurden, aber die Sprachtests gut bestanden: Sechs Plätze gebe es in jeder ersten Klasse für Berliner Kinder, um auch eine „lokale Komponente“ dabei zu haben. Die Auswahl, wer als hochmobil gilt, treffe die Senatsverwaltung.

„Die Einschätzung ist nicht ganz einfach – außer bei den Diplomaten“, sagt Nitschke. Sprachtests gibt es aber auch für die Hochmobilen. „Ich finde es nicht in Ordnung, dass Kinder, die so einen Hintergrund nicht nachweisen können, weniger Chancen auf eine bilinguale Erziehung haben“, sagt Scott Tokaryk. „Der Bedarf an bilingualen Plätzen ist grundsätzlich gestiegen“, sagt Nitschke. „Einzelne Familien versuchen sogar auf unlautere Weise, ihr Kind in unsere Schule zu bringen.“

Der Bedarf ist gestiegen - durch die Globalisierung

„Durch die Globalisierung hat der Bedarf in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Wir testen jedes Jahr rund 150 Kinder auf ihre Englischkenntnisse – für 48 Plätze. Die meisten dieser Kinder sind tatsächlich bilingual. Es gibt für sie eindeutig zu wenig Alternativen“, sagt auch Angelika Kuntzsch, Leiterin der Quentin-Blake-Schule.

Diese ist – anders als die Nelson-Mandela-Schule und die John-F.-Kennedy-Schule, die als internationale Schulen einen Sonderstatus haben – eine von insgesamt 30 Europaschulen für acht Sprachen (siehe Kasten), von diesen gibt zwei englisch-deutsche Grundschulen in Berlin: Die Quentin-Blake-Schule liegt in Dahlem, die Charles-Dickens am Olympiastadion – 15 und 16 Kilometer von der Wohnung der Tokaryks entfernt – in beiden Fällen ein langer Schulweg, der für die Familie nicht infrage kam „So etwas halte ich für ungesund“, sagt Jana Tokaryk. Die John.-F.-Kennedy wäre 14 Kilometer entfernt.

Andere Familien nehmen solche Wege aber durchaus in Kauf, berichten beide Schulleiter. Die Schüler kämen aus dem gesamten Stadtgebiet. „Viele ziehen auch deswegen hierher“, sagt Kuntzsch. „Es gibt wenig Europaschüler, die direkt aus unserem Einzugsgebiet kommen“, sagt auch Frank Effenberger von der Charles-Dickens-Schule. „Bei uns gibt es eindeutig zu wenige Plätze, was den Bedarf bei Kindern angeht, die wir als Muttersprache Deutsch einordnen würden. Wir platzen aus allen Nähten“, sagt Effenberger. „Und die deutsch-englischen Europa-Schulen sind zu weit im Südwesten.“ Auch die John.-F.-Kennedy-Schule liegt in Zehlendorf. „Es müsste im Bereich Mitte ein weiteres Angebot geben.“, sagt Effenberger.

Dazu sagt die Senatsverwaltung: „Die beiden Grundschulstandorte der Staatlichen Europaschulen mit der Kombination Deutsch-Englisch sind in ihrer Aufnahmekapazität regelmäßig ausgelastet; es gibt eine deutlich höhere Nachfrage nach Plätzen.“ Daher werde „in mehreren Bezirken nach weiteren Schulstandorten gesucht“. Erschwert werde dies dadurch, dass die Schulen schon damit ausgelastet seien, zusätzliche reguläre Grundschulplätze einzurichten, um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden.

„Bilinguale Erziehung in Deutsch-Englisch an einer staatlichen Grundschule – das ist in Berlin nur im Westen möglich“, sagt Anna von Berg: „Wenn man im Ostteil der Stadt wohnt, hat man keine Chance und das ist schade.“ Anna von Berg ist selbst als Diplomatenkind zweisprachig im Ausland aufgewachsen und spricht mit ihrem Bruder englisch: „Mir war es wichtig, dass Leonore meine zweite Sprache auch lernt.“ Um ihrer heute siebenjährigen Tochter das zu ermöglichen, haben die von Bergs einen schulischen Umweg und einen Umzug hinter sich: „Als Leonore in die Schule kam, haben wir in Prenzlauer Berg gewohnt. Die einzige Schule, die halbwegs in der Nähe lag und ein passendes Profil hatte, war eine Privatschule in Mitte.“

Die Lehrerin war Kanadierin - aber in Mathe ahnungslos

Aber die Familie war mit der Situation nicht glücklich. Die Lehrerin an der Privatschule war zwar Muttersprachlerin aus Kanada, habe aber wenig Ahnung von Mathematik gehabt. Alle Fächer wurden auf Englisch unterrichtet, so dass das Deutsche zu kurz kam. Die Mitschüler hingegen kamen nicht wie erhofft aus internationalen Familien, sondern nur aus deutschen. Auf dem Schulhof wurde nur deutsch gesprochen. Und es habe auch keine soziale Durchmischung gegeben. Schließlich zog die alleinerziehende Schauspielerin mit ihrer Tochter um – von Prenzlauer Berg im Nordosten der Stadt nach Friedenau im Südwesten.

Kurz vor den Sommerferien im vergangenen Jahr bekam sie im letzten Moment die Zusage von der Quentin-Blake-Schule, für die zweite Klasse. Sie hatte auch eine Bewerbung abgegeben, um die erste Klasse zu wiederholen. „Den Platz haben wir nicht gekriegt.“ Und auch an der Nelson Mandela hatten sie sich beworben: „Als Schauspielerin hätte ich da vielleicht was drehen können, um als hochmobil zu gelten. Doch dann haben wir das nicht weiter verfolgt.“ Mit der neuen Schule ist von Berg sehr zufrieden: „Leonore spricht heute mehr englisch, obwohl sie weniger Unterricht auf englisch hat.“ Nur vier Fächer seien dort in der jeweiligen Partnersprache, dafür sprechen die Kinder auch untereinander in der Pause englisch.

Bei den weiterführenden Schulen gibt es mehr Angebote

Vielleicht werde Leonore einige ihrer früheren Mitschüler von der Privatschule in ein paar Jahren wieder treffen, meint von Berg: „Viele aus der Privatschule, auf der wir waren, schicken ihre Kinder zur fünften Klasse an die Quentin Blake, weil das einzige Europa-Gymnasium in der Stadt, das Schillergymnasium, fast nur Schüler von Quentin Blake und Charles Dickens aufnimmt. Das ist total krass für eine Hauptstadt.

Ganz so schlecht, wie es bei von Berg klingt, sieht das Angebot bei weiterführenden Schulen aber nicht aus: Es gibt noch eine Sekundarschule mit deutsch-englischem Europaprofil, auch dort werden die Schüler der beiden Europa-Grundschulen bevorzugt aufgenommen.  Aber auch andere, reguläre Sekundarschulen und Gymnasien haben bilinguale Züge in ihr Programm aufgenommen. In der siebten und achten Klasse werden dann zum Beispiel mehrere Stunden zusätzlicher Englischunterricht angeboten, ab der neunten gibt es Unterricht in einigen Fächern auf Englisch.

Jana Tokaryk hat dennoch Sorge, dass sie für ihre Töchter, „den Zug verpasst“ haben, der sie auf eine englisch-deutsche bilinguale weiterführende Schule gebracht hätte: „Wie die tatsächliche Chance für Zwillinge auf Aufnahme in Klasse sieben steht, mag ich mir nicht ausrechnen.“

An der Nelson-Mandela-Schule können Hochmobile und wenige ausgewählte Berliner Kinder bis zum Abitur bleiben. Es gebe theoretisch in nächster Zeit ab und zu die Möglichkeit zu einem Quereinstieg an der Nelson-Mandela, sagt Schulleiter Nitschke. Demnächst würden neue, zusätzliche siebte Klassen in Wilmersdorf eingerichtet, dann gebe es wieder sechs Plätze in jeder Klasse für Berliner Kinder. Und es sei ein neuer Standort mit gleichem Konzept aber unter anderem Namen in Moabit in Planung – von der Grundschule an. Die Mehrzahl der Plätze sei aber wieder nur für „Hochmobile“. Ob es im Allgemeinen genug Plätze für die Nachfrage gebe, sei eine Frage, die sich die Bezirke stellen müssten, sagt Nitschke:  Sein Fazit: „Es wird nicht für jeden jederzeit das passende Angebot geben.“

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