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Schule: Die Talentsucher

Die Neuköllner Bürgerstiftung fördert Kinder aus sozial schwachen Familien – mit der Unterstützung von engagierten Paten

Die beste Idee aller Zeiten wurde an einem Neuköllner Wohnzimmertisch entwickelt. So nennen der 14 Jahre alte Oguzhan und sein Pate Philipp Stepp eine selbst gebaute Maschine aus Holz, Metall und Draht. An der Maschine hängt ein Flugzeug, das dem echten Rosinenbomber am Technikmuseum nachgebildet ist. „Aber unseres ist besser“, sagt Oguzhan, „weil man es mit einem kleinen Motor hoch und runter bewegen kann.“

Oguzhan und Philipp Stepp haben sich im Projekt „Neuköllner Talente“ der Bürgerstiftung Neukölln kennengelernt. Die bringt unter dem Motto „Kein Talent darf verloren gehen“ seit zwei Jahren ehrenamtliche Paten und Neuköllner Kinder zusammen. „Bei uns geht es darum, Kindern aus sozial schwachen Familien Möglichkeiten zu eröffnen“, sagt Projektleiterin Idil Efe. Dabei würden jedoch nicht hochbegabte Kinder im Vordergrund stehen – im Gegenteil. „Jedes Kind hat Interessen oder Wünsche, die entdeckt und gefördert werden sollten“, sagt Efe.

Im Fall von Oguzhan musste sein Talent nicht erst entdeckt werden: Er beschäftigt sich eben gern mit Technik, „das mochte ich schon immer“, sagt er. Der älteste von vier Geschwistern war mit Hilfe des Projekts „Neuköllner Talente“ schon einige Wochen auf der Suche nach einem Paten – aber so richtig passte es nie. Bis er an einem der Spielenachmittage, bei denen sich mögliche Paten und Patenkinder kennenlernen können, Philipp Stepp traf.

Stepp, gelernter Flugzeugmechaniker, passte von den Interessen her perfekt. Und beide verstanden sich von Anfang an. Der 39-jährige Stepp lernte Oguzhans Familie kennen, auch die war einverstanden mit dem neuen Paten. Die erste gemeinsame Unternehmung der beiden war ein Besuch im Technikmuseum. Daraus wiederum entstanden die Bastelnachmittage, zu denen sich die beiden nun seit fast einem Jahr wöchentlich treffen.

Zwischen ihnen habe sich eine Freundschaft entwickelt, sagt Philipp Stepp, „die beide Blickfelder erweitert“. Oguzhan genieße es, dass da jemand sei, der sich nur für ihn Zeit nehme, Schaltpläne mit ihm zeichne und kleine Lämpchen an die „beste Idee aller Zeiten“ montiere. „Und ich selbst schnuppere in eine andere Kultur hinein“, sagt Stepp. Kürzlich etwa war er mit seiner Frau zum Opferfest bei Oguzahns Familie eingeladen.

„Die Patenschaften machen etwas mit den Menschen“, sagt Projektleiterin Idil Efe. Die Erwachsenen erlebten den Austausch zumeist als große Bereicherung. Und die Kinder, die meisten sind zwischen acht und zwölf Jahre alt, lernen Neues kennen und können davon erzählen – in ihrer Familie und in der Schule.

Sie finden heraus, ob ein Hobby etwas für sie ist oder nicht: Ein Junge, der gerne Klavier spielen wollte, hat schon am Wettbewerb „Jugend musiziert“ teilgenommen. Ein Mädchen, das vom Reiten träumte, stellte hingegen fest, dass ihr reale Pferde doch zu groß sind. „Auch das ist wichtig“, sagt Idil Efe: „Erst wenn die Kinder wissen, dass ein Hobby nichts für sie ist, können sie sich neu orientieren.“

Dem zehn Jahre alte Neuköllner Yazel ermöglichten die „Neuköllner Talente“ Geigenunterricht. Seine Eltern, erzählt Idil Efe, hätten erst nicht gewusst, woher Yazels Wunsch kam. Bis sie schließlich herausfanden, dass Yazels Oma ihrem Enkel mal eine Plastikgeige geschenkt hatte. Mittlerweile bekommt Yazel unentgeltlich Unterricht von einem langjährigen Hobbygeiger, der sich in der Bürgerstiftung engagiert. Und eine Patin hat er noch dazu: Vera Gaserow, die Yazel auch jenseits der Musik zu fördern versucht.

So hat Yazel jetzt einen Ausweis für die Stadtbibliothek, er kennt die Mauer und den Reichstag. Und manchmal muss er kleine Aufgaben lösen, um zum jeweiligen Ziel zu kommen: Um das Verkehrsnetz kennenzulernen, führt er seine Patin schon mal wie ein Stadtführer durch den S- und U-Bahn-Dschungel bis zum Fernsehturm. „Yazel ist viel selbständiger geworden, seit er mit Vera unterwegs ist“, sagt seine Mutter Beyhan Isitan.

Auch Vera Gaserow und Yazel sind Freunde geworden. Sie engagiere sich aber auch aus einem anderen Grund, sagt die 60-Jährige, die als Autorin arbeitet: Sie sehe immer wieder Kinder und Jugendliche im Bezirk, die sich langweilten und nichts mit sich anzufangen wüssten. „Aber wenn wir alle in Neukölln leben wollen“, sagt Gaserow, „müssen wir auch dazu beitragen, dass es für alle lebenswert bleibt.“ Yazel ist schon ganz aufgeregt, sagt er: Bald nämlich steht zusammen mit seiner Patin der Besuch des „Nussknackers“ in der Philharmonie an – natürlich auch, um die Geiger zu hören.

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