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© Doris Spiekermann-Klaas

Drogen: Möhren statt Marihuana

Die Berliner Löwenstein-Schule im Bezirk Neukölln hat viel vor: Ein Gartenprojekt soll die Integration der Eltern fördern - und die Hasenheide-Dealer fernhalten.

Paul Kleinert hat einen Traum. Er träumt von einem ganz besonderen Garten. In der Mitte steht eine Art Pavillon. Drumherum sitzen Eltern, Kinder und Nachbarn, die miteinander reden, spielen und essen. Dazwischen stehen Blumen und weiter hinten Radieschen und Möhren. Es ist ein Garten, in dem keine Hanfpäckchen herumliegen. Ein Garten, der kein Rückzugsgebiet ist für Drogendealer. Darum braucht Kleinert einen hohen Zaun. Und Geld vom Quartiersmanagement. Kleinert ist Sozialpädagoge an der Neuköllner Kurt-Löwenstein-Hauptschule.

Necla Durna, Aysel Akbal und die anderen Mütter aus der Gartengruppe der Löwenstein-Schule haben auch Träume. Sie handeln davon, ein Ziel zu haben, wenn sie das Haus verlassen. Etwas Geld zu verdienen und in der Nähe ihrer Kinder zu sein. Sie sind dem Ziel etwas näher gekommen, seitdem Songül Aslan sie in die Gartengruppe geholt hat. Aslan ist Kleinerts Kollegin und hat den Frauen gezeigt, dass man auch dann etwas aus seinem Leben machen kann, wenn man sich fremd fühlt und keine Arbeit hat.

Sie alle – Aslan, Kleinert und die sechs Frauen der Gartenarbeitsgruppe – haben sich jetzt, da endlich wieder die Sonne scheint, hinter der Löwenstein-Schule versammelt. Hier, wo noch vor einem Jahr Wildwuchs herrschte, ist inzwischen alles hübsch ordentlich. Blumen und Gemüse wurden ausgesät, Stauden gepflanzt. Eigentlich könnte Kleinert zufrieden sein. Ist er aber nicht.

Denn der Garten ist zu klein für das, was er sich unter einem „Elternbegegnungsgarten“ vorstellt. Deshalb haben es Kleinert und Löwenstein-Rektor Detlef Pawollek auf eine verwilderte Fläche von 400 Quadratmetern abgesehen: Sie grenzt direkt an den kleinen Schulgarten und läuft an den Grundstücken zweier benachbarter Kitas, der Karlsgarten-Grundschule und der Werkstatt der Kulturen entlang. Alle fünf Einrichtungen ziehen jetzt an einem Strang und haben beim Quartiersmanagement Flughafenstraße Geld aus dem Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ beantragt. Die Vorentscheidung soll kommende Woche fallen. Jugendstadträtin Gabriele Vonnekold (Grüne) sowie der Migrations- und die EU-Beauftragte haben sich bereits hinter das Projekt gestellt.

Der Anspruch ist hoch. Kleinert und seine Mitstreiter wollen nicht nur die Hasenheide-Drogendealer vom direkten Umfeld der Kinder und Jugendlichen fernhalten. Sie hoffen auch, dass der neue große Garten eine echte Begegnungsstätte wird, an der die überwiegend deutschen Kita-Eltern mit den überwiegend nicht-deutschen Schul-Elternschaft zusammenkommen. Der rege Austausch, so der Gedanke, könnte die deutschen Anwohner davon abhalten, spätestens zur Einschulung der Kinder abzuwandern. „Zweck der Aktion ist letztlich, wieder eine besser Durchmischung zu erreichen“, heißt es in dem Antrag der Löwenstein-Schule. Denn ohne Durchmischung stünden die Chancen für den deutschen Spracherwerb schlecht und damit auch für die gesamte Integration.

Kleinert mag wissen, dass seine Erwartungen an die Wirkung des Gartens ziemlich hoch gesteckt sind. Aber er ist es auch leid, einfach nur zuzusehen. „40 Jahre verfehlte Migrationspolitik fallen uns auf die Füße“, beschreibt er das, was in Nord-Neukölln abläuft. An seiner Schule gehört jeder Fünfte zu den massiven Schwänzern, die man nur erreichen kann, wenn man das Elternhaus früh einschaltet und das Umfeld mitbeackert. Deshalb hat Kleinert ein Drei-Säulen-Modell entwickelt, das aus Sozialpädagogik, Elternarbeit und dem Engagement im Kiez besteht.

Erste Erfolge gibt es schon. Dank der Sozialarbeit und des engagierten Kollegiums ist die Schule bei Eltern beliebter als andere Hauptschulen in Problemkiezen; ihre Konzepte und die Elternarbeit finden auch in Fachkreisen Anerkennung.

Was das in der Praxis bedeutet, merkt man schnell im Gespräch mit den Frauen der Gartenarbeitsgruppe. „Wir vergessen hier unsere Probleme“, sagt etwa Necla Durna, 34, die bis vor kurzem kaum aus dem Haus ging. Sozialarbeiterin Songül Aslan hat es sogar geschafft, aus einem Fördertopf etwas Geld für die Gartenarbeit der Frauen zu bekommen. Durna hat sich davon eine Spülmaschine gekauft. Auch Akbal Aysel, 36, ist überglücklich „unter Menschen zu kommen, denn das tut der Seele gut“, sagt die Mutter zweier Söhne, die die Löwenstein-Schule besuchen. Jetzt möchte sie gern einen Kirschbaum pflanzen.

Ganz offen reden auch die anderen Frauen über die Gründe für ihre jahrelangen Depressionen und Mutlosigkeit. Zum Beispiel darüber, wie sie als 16-Jährige an den Cousin verheiratet wurden, darüber, wie es ist, sich allein zu fühlen und darüber, dass ihnen eingeredet wurde, Frauen müssten nichts lernen. Und wie sie dann die Ausbildung abbrachen, Mütter wurden und nicht einmal richtig Deutsch lernten.

Jetzt wollen sie einen Neuanfang versuchen. Und zu dem gehört der kleine Pavillon in einem hübschen Garten an der Schule ihrer Kinder. Ein Gefühl der „Beheimatung“, wie es Kleinert ausdrückt.

Und wie sieht das Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD)? Hält er den fünfstelligen Eurobetrag, den das Vorhaben kosten würde, für angebracht? „Ich befürworte das“, sagte er auf Anfrage. „Denn das ist ein Stück Identifikation für die Frauen.“

Weitere Infos: Kurt Löwenstein Schule.

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