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Nils Kutzer von der Firma Nordisch Aktiv auf Skirollen auf dem Tempelhofer Feld in Berlin.

© Mike Wolff

Erfahrungberichte: Wieder was gelernt

Eine neue Sprache, Sportart oder Fertigkeit: Auch Erwachsene lernen gern dazu. Unsere Autoren erzählen von ihrem neuen Können.

BODENTURNEN

Als Kind war ich im Turnverein, wo wir in Gymnastikschühchen und Polyesteranzügen Handstandüberschlag und Salto machten oder einhändig Radschlagen. Sonderlich gut war ich nicht, aber es hat Spaß gemacht, und so war ich gleich Feuer und Flamme, als sich die Gelegenheit ergab, im Erwachsenenalter noch mal einen Bodenturnkurs zu machen.

Noch beim Betreten der Halle war ich entzückt. Aber bei der ersten Rückwärtsrolle sollte sich das ändern. Ich stellte fest: Ich kann das nicht mehr. Schon das Rückwärts-hinten-runter blieb irgendwie stecken. Die Trainerin tauschte die dünne harte Matte durch eine dicke weiche aus. Ich warf mich rückwärts hinein, aber eine Rolle wurde daraus trotzdem nicht. Die anderen Turner machten mir vor, wie es geht. Sieht doch leicht aus!, dachte ich und versuchte es wieder. Aber die Vorstellung, über meine Wirbelsäule zu rollen, war zu entsetzlich. Wie man sich da verletzen könnte!

Bald standen fünf Turnathleten um mich herum und beobachteten verwundert mein Gebaren. Wie ich mich in die Matte warf und bestenfalls irgendwie schräg über die Schulter herumrollte. Dann reichte es mir. Frustriert machte ich eine Vorwärtsrolle. Die ging. Ich übte den Rest der Stunde Vorwärtsrolle und steigerte mich bis hin zur Flugrolle. Sehr lange blieb ich dem Bodenturnen aber nicht treu. Die Diskrepanz zwischen dem, was ich mal konnte, und dem, was davon übrig war, war einfach zu deprimierend. Ariane Bemmer

PORTUGIESISCH

Vor ein paar Jahren habe ich mich in Brasilien verliebt. Ein großartiges Land mit großartigen Menschen und einer großartig klingenden Sprache, von der ich leider so gut wie gar nichts verstand, trotz meiner spanischen Vorkenntnisse. Also habe ich im reifen Alter noch mal ganz von vorn angefangen, erst mit einer privaten Lehrerin in Berlin (sehr chaotisch!), später in einem Online-Kurs (überraschend hilfreich), aber nirgendwo lässt sich eine Sprache nachhaltiger lernen als dort, wo sie gesprochen wird.

Ich war jetzt anlässlich der Olympischen Spiele zum siebten Mal in den vergangenen fünf Jahren in Rio de Janeiro und habe bei allen Reisen jeden Busfahrer, Kellner, Sitznachbarn mit meinem Portugiesisch gequält. Das hat durchaus peinliche Momente gezeitigt (nein, keine Details!), auf die lange Strecke aber funktioniert. Neulich saß ich im Taxi vom Maracana nach Copacabana, der Chauffeur kam aus Bahia, wo sie ein ganz anderes Portugiesisch sprechen also in Rio. Ich erzählte ein bisschen von Olympia, der Taxifahrer von den Stränden in Salvador, und beim Aussteigen hat er gefragt: „Und du? Kommst du aus Rio?“ Na ja, wahrscheinlich wollte er bloß ein höheres Trinkgeld. Sven Goldmann

ROLLERSKI

Jahrelang habe ich Sportarten ausprobiert, die Rückenschmerz angeblich lindern – mit wenig Erfolg. Das Einzige, was wirklich half, war Skilanglauf. Doch wann liegt hier schon mal Schnee? In Norwegen entdeckte ich Rollerski. „Das wär’s“, dachte ich, aber der nette Verkäufer in Tromsö riet mir davon ab, mich einfach draufzustellen und loszufahren. Weil die Straßen in Tromsö doch ziemlich steil sind und Rollerski keine Bremsen haben, beherzigte ich seinen Rat.

Aber wo sollte ich es lernen? Im flachen Berlin, wer hätte das gedacht! Auf dem Tempelhofer Feld bietet eine Firma namens Nordisch Aktiv verschiedene Kurse an und so stand ich an einem Wochenende mit drei weiteren Kandidaten zum ersten Mal auf den Skiern. Zuvor mussten wir viele Gleichgewichtsübungen absolvieren, was auch angebracht war: Auf Rollen und Beton fühlt sich das Skifahren ganz anders an als auf (Kunststoff-)Brettern und Schnee. Man fällt auch härter, weswegen Helm und Knieschützer sinnvoll sind. Und man muss sich entscheiden zwischen Skating und klassischen Skiern. Da Skating die Kniegelenke belastet, fiel mir die Entscheidung leicht. Nach drei Stunden fühlte ich mich schon sicherer. Seither wird geübt, mindestens zweimal in der Woche. Der Boden muss glatt und die Körperspannung hoch sein. Meinem Rücken tut's gut. Und Spaß macht es auch. Besonders, wenn manche verdutzt schauen, wenn ich bei 30 Grad mit einem fröhlichen „Ski heil“ vorbeigleite. Sandra Dassler

So sieht es bei Profis aus: Porzellan auf einer Töpferscheibe.
So sieht es bei Profis aus: Porzellan auf einer Töpferscheibe.

© Thilo Rückeis

TÖPFERN

Die Hände taten mir weh, die Finger waren verschrumpelt und der feuchte Ton eierte immer noch über die Töpferscheibe. „Nicht zu langsam drehen“, mahnte die Lehrerin und zeigte mir noch mal, wie der Klumpen hoch- und wieder runtergedrückt werden muss, damit er schließlich genau in der Mitte sitzt. Und siehe da, es klappte.

Von meinem Keramikkurs war ich begeistert. Endlich was anderes als die ewige Schreibtischarbeit. Ich genoss die Atmosphäre im Atelier, lernte die Abfolge der Handgriffe beim Drehen, machte Schalen, Becher, Teekannen. An manchen Abenden aber gelang mir gar nichts. Dann schielte ich neidisch zur Nachbarin, bei der alles rund lief.

Wenn ich viel übte, wurde ich besser. Schwänzte ich den Kurs, rächte es sich sofort. „Ich tue das den ganzen Tag, ihr nur einmal die Woche“, tröstete die Fachfrau, wenn wir unsere Arbeiten seufzend mit ihren verglichen. Und munterte uns mit der medizinischen Erkenntnis auf, dass Töpfern schlau macht: Weil beide Hände unterschiedliche Bewegungen ausführen, werden die rechte und linke Gehirnhälfte verknüpft. Wenn schon kein neuer Teller, dann also wenigstens ein paar graue Zellen. Ich sollte dringend wieder anfangen! Silke Zorn

GEBÄRDENSPRACHE

Ich kann in sieben verschiedenen Sprachen Bier bestellen – auf mein Estnisch bin ich besonders stolz. Neulich habe ich angefangen einen Gebärdensprachkurs zu besuchen. Den ersten Fehler machte ich gleich bei der Begrüßung: Mein lautes „Hallo“ blieb unbeantwortet. Das Sprechverbotsschild habe ich erst nach einer Stunde bemerkt. Sich in dieser lautfreien Umgebung aufzuhalten, ist eine extreme Erfahrung. Ich habe das Glück, hinterher rausgehen und lautstark davon erzählen zu können, dass sich Gehörlose nicht für meinen Namen interessieren, sondern lieber wissen wollen, wer man ist und was man gerne macht. Fragen, die mir beim Smalltalk bisher niemand gestellt hat. Für meinen Sprachlehrer ist das Alltag. Seine Lebenswirklichkeit hat meine bis dahin nie berührt. Wer zum Gebärdensprachkurs geht, lernt deshalb sehr viel mehr als nur eine Sprache.

Noch beherrsche ich die Gesten nicht, aber irgendwann werde ich auch können. Ob mich der Wirt dann versteht, ist eine andere Frage. Katharina Langbehn

STEPPEN

Wie die meisten guten Dinge, begann alles mit einer Sektlaune. Obwohl, wenn man es genau nimmt, begann es mit „Singin’ in the Rain“ – diesem großartigen Musical-Film aus dem Jahr 1952, der nicht nur unglaublich komisch ist, sondern sich vor allem dadurch auszeichnet, dass alle immerzu Steppschuhe anhaben und diese situationsgemäß einzusetzen wissen. (Ich empfehle Youtube: „Moses supposes“ von Gene Kelly und Donald O’Connor!). Unglaublich cool, dachte ich, als ich den Film zum ersten von hundert Malen gesehen habe. Als also in besagter Laune die beste Freundin völlig zusammenhanglos sagte: „Stepptanz müsste man können“, rief ich, unvernünftig: „Genau!“ Zwei Wochen später standen wir in einem muffigen Ballettsaal am Ku’damm, und niemand wusste mehr genau, wie es soweit hatte kommen können. Drückende Schuhe, quälende Erkenntnis, dass das mit dem cool aussehen wohl nichts werden würde. Die gezahlte Kursgebühr zwang uns zum Durchhalten – zum Glück! Denn schon drei Monate später schafften wir unsere erste kleine Choreografie, die auf dem Amateur-Video auch gar nicht mehr so peinlich aussah wie zuvor im Spiegel. Gene Kelly schien plötzlich nicht mehr weit.

Ein Jahr später trauten wir uns tatsächlich auf eine öffentliche Bühne, auch wenn es nur die Weihnachtsfeier der Ballettschule war (allein der Name „Tappy Christmas“ zwang uns dazu). Die Schuhe drücken immer noch, doch inzwischen tanzen wir sogar ein Lied aus „Singin’ in the Rain“ – wenn auch noch nicht eines der ganz coolen. Anke Myrrhe

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