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Expressabitur: Neuer Streit um Hochbegabte

Der Linkspartei und Teilen der SPD sind sie schon lange ein Dorn im Auge – jetzt startet ein neuer Versuch, sie infrage zu stellen: Die Rede ist von den grundständigen Klassen für hochbegabte Kinder an 13 Berliner Gymnasien.

Kann diese Förderung nicht auch in normalen Klassen stattfinden?", fragte am Montag der bildungspolitische Sprecher der Linkspartei, Steffen Zillich. Und Felicitas Tesch von der SPD betonte, dass ihre Partei sowieso für das "längere gemeinsame Lernen" sei. Sie gehe davon aus, "dass man die Hochbegabten auch anders fördern kann".

Damit ist genau das Gegenteil von dem eingetreten, was die Gymnasien bezweckten, als sie sich am Donnerstag für eine Reform der Hochbegabtenförderung aussprachen. Wie berichtet, haben drei Gymnasien beantragt, dass die sogenannten Schnellläuferklassen ("Express-Abitur") künftig nicht mehr in elf, sondern in zwölf Jahren Abitur machen sollen. Die achte Klasse soll also nicht mehr übersprungen werden. Der Grund: Die Abiturienten sind andernfalls beim Abitur erst 15 oder 16 Jahre alt und haben somit Probleme, irgendwo im Bundesgebiet oder gar international selbstständig ein Studium aufzunehmen.

Den Gymnasien schwebt vor, den "Schnelllernern" anderweitig gerecht zu werden. Sie sollen zwar – genau wie alle anderen Gymnasiasten – zwölf Jahre bis zum Abitur Zeit haben, in dieser Zeit aber anders gefördert werden. Das Konzept, das Humboldt-, Rosa-Luxemburg- und Otto-Nagel-Gymnasium entwickelt haben, sieht vor, dass die Hochbegabten den normalen Lernstoff schneller durchlaufen ("Acceleration") und dafür zusätzliche Angebote erhalten ("Enrichment").

Bislang sah es so aus, als wenn dieses Konzept mehrheitsfähig wäre. Jedenfalls haben die anderen zehn Gymnasien, an denen es Expressklassen gibt, bereits per Willensbekundung klargemacht, dass auch sie dazu tendieren, den Schülern wieder zwölf Jahre Zeit zu geben. Zudem hat Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) Unterstützung signalisiert. Nun allerdings befürchten die Schulen, dass Zöllner von den rot-roten Bildungspolitikern im Abgeordnetenhaus zurückgepfiffen werden könnte.

Warnung vor psychischen Folgen

Steffen Zillich und Felicitas Tesch begrüßen zwar die Abkehr vom elfjährigen Weg, folgen den Schulen aber nicht bei ihrer Forderung nach einer Beibehaltung der Spezialklassen. "Erst mal sollte man den Schulversuch der Schnellläuferklassen evaluieren", schlägt Zillich vor. Vorher könne man nicht sagen, ob es Sinn mache, die Schüler schon nach der vierten Klasse aus den Grundschulen herauszunehmen. Grundsätzlich sei er jedenfalls gegen den frühen Übergang, betonte Zillich ebenso wie Tesch, die den Hochbegabten lieber das Überspringen einer Klasse erleichtern würde, anstatt sie ab Klasse 5 getrennt zu beschulen. Zillich kann sich vorstellen, dass man den Hochbegabten gerecht wird, wenn man ihnen individuelle Förderpläne anbietet und sie ansonsten in normalen Klassen belässt.

Der Leiter des Humboldt–Gymnasiums, Bernd Kokavecz, winkt ab. Um derart individuell zu fördern, brauche man doppelt so viele Lehrer, rechnet er vor. Er warnt vor den psychischen Folgen, wenn Hochbegabte dauerhaft unterfordert würden und verweist auf die Spitzenleistungen, die Schnellläufer im Abitur bringen. Es sei „unsinnig“, die Spezialklassen abzuschaffen, die sich seit 17 Jahren derart bewährt hätten.

Die Opposition ist geteilter Meinung. Während Sascha Steuer (CDU) und Mieke Senftleben (FDP) für die Beibehaltung der grundständigen Begabtenklassen sind, stellt Özcan Mutlu (Grüne) sie infrage. Allerdings gibt er zu, dass es „schwierig“ sei, Hochbegabten in Regelklassen gerecht zu werden. Dieses Problem treibt auch die Wissenschaft um. Selbst ein Befürworter der sechsjährigen Grundschule wie „Pisa-Papst“ Jürgen Baumert stellte 2008 in einer Veröffentlichung fest, dass leistungsstärkere Schüler durch eine frühere Differenzierung ab Klasse 4 „besser zu fördern“ seien.

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