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Und Action. Schüler der Klasse 5 b der Wald-Grundschule in Charlottenburg bei den Dreharbeiten ihres Kurzfilms „Ein Albtraum für alle“. Es geht um das Thema Kinderrechte. Die Schüler haben sowohl das Drehbuch geschrieben, als auch Regie geführt und Kamera und Ton bedient. Ein erfahrener Medienpädagoge hat die Schüler dabei beraten.

© Tilo Rückeis

Filmfestival in Berlin: Große Klappe für Kinderrechte

Sie machen alles selbst – Kamera, Schauspiel und Regie: Schüler drehen Kurzfilme für ein Festival, das seit dieser Woche in Berlin läuft.

Die Jungs quatschen, das ist schon mal das erste Problem. Das kann Holger* ja nun gar nicht leiden. Ist das hier eine Quasselbude oder ein ernsthafter Drehort? „Ich brauche Ruhe am Set“, sagt Noah also streng, während er ein Auge zusammenkneift. Noah ist zwar nicht der Regisseur, sondern bloß Kameramann, aber das ist gerade ziemlich egal.

Der Set ist ein Waldgrundstück mit mächtigen Bäumen, rotgefärbten Blättern, einem Baumstamm in der Mitte und einer Holzbank, auf der fünf Jungs vor Noahs Kamera stehen. Der Film, der hier entsteht, heißt „Ein Albtraum für alle“. „Alle“ bedeutet in diesem Fall: Lehrer, Eltern, Kinder. Es geht um die exzessive Nutzung von Handys bei Kindern und Jugendlichen, um Kettenbriefe an Jungs und Mädchen, in denen gedroht wird, dass deren Eltern ein paar Tage später sterben, wenn dieser Brief nicht weitergeleitet wird. Und über Kinder und Jugendliche, die zu Außenseitern mutieren, wenn sie nicht ein tolles oder, schlimmster Fall, überhaupt kein Handy besitzen.

Ein Medienpädagoge berät die Kinder

Der Set liegt auf dem Schulhof der Wald-Grundschule in Charlottenburg. Schauspieler, Kamera- und Tonleute, Regisseure, sie alle sind Schüler der Klasse 5b, zehn und elf Jahre alt. Aber jetzt gibt’s schon das nächste Problem. Nun sollen die Jungs auf der Bank zwar miteinander reden, so steht’s im Drehbuch, aber sie antworten zu schnell. Holger hat die Gesichter in Nahaufnahme herangezoomt, so flott wie sie reden, kann er seine Kamera nicht hin- und herschwenken. „Langsamer“, sagt er fast flehentlich. Sekunden später ertönt kehliges Lachen. Dann sagt eine tiefe Männerstimme: „Das ist der Klassiker. Große Köpfe mit Ping-Pong-Dialog, das ist immer schwer.“ Ralf Schlotter ist 46, Medienpädagoge, er hat mal Kameraführung studiert und ist der wichtigste Mann am Set. Er überwacht die Arbeit.

Kamera läuft. Profi Ralf Schlotter gibt einem Schüler Tipps.
Kamera läuft. Profi Ralf Schlotter gibt einem Schüler Tipps.

© Thilo Rückeis

Besser gesagt: Er überwacht das Projekt. Denn hier entsteht ein Kurzfilm für das 5. Kinderrechte-Filmfestival 2017, eine Aktion des Landesverbands Kinder- und Jugendfilm in Kooperation mit Berliner Schulen. Das Thema des Festivals, das am Donnerstag beginnt, lautet: „Kinder haben Rechte! Das weiß doch jeder.“

16 Schulklassen haben Kurzfilme gedreht

Weiß nicht jeder, deshalb ist so ein Festival auch bedeutsam. 16 Schulen in Berlin haben Kurzfilme erstellt, immer geht es um Kinderrechte. Vierte bis sechste Klassen in Berlin und Brandenburg konnten sich bewerben.

In der Nähe von Holger steht Regina Thiel am Set, fröstelnd, eine graue Kapuze auf dem Kopf. Es ist kalt an diesem Herbsttag. Die 53-Jährige ist die Klassenlehrerin der 5b, 19 Schüler sind in die Dreharbeiten eingebunden. Sie sagt zufrieden: „Das Projekt ist für die Klasse sehr förderlich.“

Ihre Schüler arbeiten sich ein in das Thema Kinderrechte, auf ihre Weise. Sie reden über Ausgrenzung, über soziales Verhalten, sie denken nach, wie man Außenseiter integrieren kann. Sie haben das Drehbuch geschrieben, jeder hatte eine Idee, die ins Gesamtmanuskript einfloss. Für das Basiswissen sorgten bei einem Workshop ein Kinderrechts-Experte und der Medienpädagoge Schlotter, der über Kameraführung, Einstellung und Drehablauf sprach. Außerdem wurden die Rollen festgelegt. Wer wird Schauspieler, wer führt Regie, wer wird Kameramann, wer ist verantwortlich für den Ton?

Die Lehrerin hat viel über ihre Schüler erfahren

Dann entstand, in zweiwöchiger Arbeit, das Drehbuch. Das war die Zeit, in der auch Regina Thiel viel Neues über ihre Schüler lernte, die sie seit langer Zeit kennt. „Wir haben viel Zeit darauf verwandt, über die häusliche Situation zu sprechen. Man begegnet den Schülern auf einer Ebene, für die man sonst wenig Zeit hat.“ Regina Thiel hat zum Beispiel erfahren, welche verheerenden Folgen diese Kettenbriefe haben. „Solche Briefe sind durchaus üblich“, sagt sie. Naja, üblich für Schüler, die 53-Jährige wusste bis dahin so gut wie nichts davon. „Auch Eltern hatten davon wenig gehört.“

Aber jetzt, bei der Arbeit fürs Drehbuch, tauchten Erkenntnisse auf, die auch einem Erwachsenen Angst machen können. „Kinder haben Albträume, wenn sie so einen Brief gelesen haben. Sie haben zum Beispiel das Bild vor Augen, dass die Mutter ertrinkt“, sagt Regina Thiel. Maria gehört auch zum Team, eine Zehnjährige, die konzentriert ist, wenn sie ihren Text spricht, die aber am Set auch mal selbstvergessen die Haare ihrer Freundin flechtet, als die vor der Kamera ihren Einsatz hat. Eine Nahaufnahme, Marias Hände sind nicht zu sehen.

Eine halbe Stunde später sitzt die Zehnjährige in einem Klassenraum der Wald-Grundschule, neben vier anderen Kindern der  5 b, und sagt: „Wir haben im Klassenrat über diese Kettenbriefe gesprochen. Wir sind uns einig, dass wir diese Briefe nicht verschicken.“

Vieles im Drehbuch ist reine Fantasie, aber Ausgrenzung hatte auch mal den Alltag der Klasse 5 b bestimmt. „Es gab mal einen Jungen bei uns, mit dessen Namen Witze gerissen wurden“, sagt Maria. „Irgendwann wurde sein Fall im Klassenrat besprochen. Der Junge hatte dabei geweint. Und damit haben wir aufgehört, Witze zu reißen. Der Junge wird nicht mehr geärgert.“

Regina Thiel muss dazu etwas klarstellen, das liegt ihr am Herzen. „Vieles in der Geschichte des Films ist nicht bei uns passiert.“

Die Schüler setzen sich damit auseinander, was Kinderrechte bedeuten

Aber die Grenzen zwischen Fantasie und Realität sind bei solchen Themen ohnehin fließend. Eine wichtige Intention eines solchen Projekts ist ja auch, dass sich die Schüler grundsätzlich mit dem Thema Kinderrechte auseinandersetzen, egal, ob sie etwas selbst erlebt oder nur davon gehört haben. Den Schülern hat das Ganze gut gefallen.

Auch bei der Verteilung der Rollen gab’s letztlich keine Probleme. Ursprünglich wollten zwar alle Schüler vor der Kamera stehen, aber dann ließ Jens den anderen den Vortritt, weil er schon mal in einem Film über die Nationalgalerie als Schauspieler aufgetreten war. Und Helena schwenkte auf Regie um, weil sie einen Schreck bekam, als sie sah, wie viel Text sie hätte lernen müssen. Und Silke hatte nach kurzem Nachdenken einen ganz pragmatischen Grund gefunden, aus dem sie eine andere Aufgabe übernehmen wollte. „Ich ging zur Kamera, weil es cool ist, dass man da nicht vom Regisseur herumkommandiert werden kann.“

* Alle Schülernamen geändert.

Das Kinderrechte-Filmfestival 2017 beginnt am Donnerstag, 30. November. Die ersten Filme werden von 9 Uhr bis 17.30 Uhr im Filmtheater am Friedrichshain und im Jugendkulturzentrum Königstadt in Prenzlauer Berg gezeigt. Der Eintritt ist frei. Das Festival dauert bis zum 31. Januar, es sind auch Schulen aus Brandenburg beteiligt. Weitere Informationen unter www.kinderrechte-filmfestival.de

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