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Auf der Suche nach der Lieblingsschule sind jetzt wieder Eltern und Kinder, bei denen die Entscheidung ansteht, wie es nach der Grundschule weitergehen soll.

© Kitty Kleist-Heinrich

Fünftklässler: Früher aufs Gymnasium

Viele Berliner Eltern möchten ihr Kind schon in der fünften Klasse auf eine Oberschule schicken. Um einen Platz zu bekommen, brauchen die Schüler besondere Begabungen, gute Noten – und soziale Reife.

In den meisten Bundesländern ist es die Regel, in Berlin die Ausnahme: Nur jedes zehnte Kind verlässt die Grundschule schon nach der vierten Klasse. Rund 35 öffentliche und neun private grundständige Oberschulen mit insgesamt 82 Klassenzügen stehen zur Auswahl. Die Anmeldungszeit beginnt am 27. Februar.

Meist gibt die Unzufriedenheit mit der Grundschulsituation den Ausschlag. So auch bei Anikka Bauer, deren Tochter Lotta in die fünfte Klasse des Albrecht-Dürer-Gymnasiums in Neukölln geht. „Sie hat sich in der Grundschule eigentlich nur noch gelangweilt.“ Das Mädchen hatte bereits eine Klasse übersprungen und war immer noch unterfordert. Jetzt ist es in einer Schnelllernerklasse und sehr zufrieden. Bei dem Konzept haben die Kinder fünf Stunden weniger Regelunterricht, sie können sich dafür je nach Neigung in andere Gebiete zusätzlich einarbeiten und beispielsweise Kurse zu Philosophie, Naturwissenschaften oder Musik belegen.

Nach Ansicht von Landeselternsprecher Günter Peiritsch versuchen viele Eltern auch deshalb, ihr Kind möglichst frühzeitig an einem guten Gymnasium unterzubringen, um sich und dem Kind die Ungewissheit zu ersparen, die das neue Anmeldeverfahren für die siebten Klassen der Oberschulen mit sich bringe.

Die Bewerberzahlen sprechen aber nicht unbedingt für einen solchen Trend. Nach Angaben der Bildungsverwaltung gibt es derzeit rund 1800 Fünftklässler an öffentlichen grundständigen Gymnasien sowie einer Sekundarschule und rund 500 an privaten. Die Nachfrage nach diesen Plätzen sei in den vergangenen Jahren relativ stabil gewesen, sagt Beate Stoffers, Sprecherin der Bildungsverwaltung. Eltern sollten sich bei der Entscheidung fragen, ob ihr Kind gern selbstständig und eigenverantwortlich lernt, sagt Schulpsychologe Klaus Seifried. „Die Kinder müssen dem Gymnasium aber auch in der sozialen Reife gewachsen sein“. Der Leistungsdruck ist am Gymnasium höher, es wird schneller und weniger kindgerecht gelernt. „Man sollte auch bedenken, dass nicht mehr so viel Zeit für Freizeitaktivitäten übrig bleibt“, sagt Stoffers.

Die Fünftklässler müssen ein Probejahr bestehen, wer das nicht schafft, geht wieder zurück auf die Grundschule. Durch das frühere Einschulungsalter sind manche der Neu-Gymnasiasten erst neun Jahre alt. Um einen der 2330 Plätze zu bekommen, müssen die Kinder besonders begabt sein oder bestimmte Fähigkeiten nachweisen. Kinder, die auf mathematisch-naturwissenschaftliche Schwerpunktklassen wechseln wollen, sowie hochbegabte Kinder in Schnelllernerklassen müssen zudem Auswahltests bestehen. „Ich hatte schon ein schlechtes Gewissen, ob ich meiner Neunjährigen da nicht zu viel zumute“, sagt Anikka Bauer.

Schulleiter: "Die Kinder sind gut integriert und lassen sich nicht einschüchtern"

Der berlinweit einheitliche Test für die Schnelllerner besteht aus zwei Teilen und dauert zweimal eine Stunde. Es ist ein Intelligenztest, geprüft wird logisches Denken und Auffassungsgabe. Nach Ansicht von Jörg Freese, dem Schulleiter des Dürer-Gymnasiums, kann man sich darauf nicht vorbereiten. „Ich rate den Eltern und Schülern, das Ganze sportlich zu nehmen.“ Bei den Tests für die mathematisch-naturwissenschaftlichen Züge wird mathematisches Wissen abgefragt, der Test dauert 50 Minuten. Die altsprachlichen grundständigen Gymnasien vergeben ihre Plätze vor allem nach den besten Noten, Grundlage ist die Förderprognose der Grundschule. Bilinguale, musik- oder sportbetonte Gymnasien haben eigene Auswahlkriterien, da muss das Kind dann etwa auf einem Instrument vorspielen oder die Teilnahme an Wettbewerben nachweisen. Alle grundständigen Schulen legen neben Tests und Aufnahmebedingungen Wert darauf, sich in einem persönlichen Gespräch einen Eindruck vom Kind zu verschaffen.

Das Anmeldeverfahren ähnelt dem für die siebten Klassen. Am Anfang steht ein Beratungsgespräch mit den Grundschullehrern. Es empfiehlt sich, frühzeitig mit der favorisierten Oberschule Kontakt aufzunehmen. Bei der Anmeldung selbst können die Eltern auf einem Formular drei Wunschschulen angeben und sich damit an der Erstschule anmelden. Es ist auch möglich, sich bei allen drei Schulen einzeln zu bewerben. Die Schulen müssen kein Platzkontingent für Losverfahren oder Härtefälle zurückhalten. Wenn an allen drei Schulen eine Aufnahme nicht möglich ist, bleibt das Kind in der Grundschule.

Zwei Gymnasien haben in diesem Jahr erstmals fünfte Klassen mit mathematisch-naturwissenschaftlichem Schwerpunkt eingerichtet. Eine davon ist die Andreas-Schule in Friedrichshain, die als Netzwerkschule mit der Humboldt-Universität zusammenarbeitet. Das Gymnasium stellt sich schon jetzt auf die Fünftklässler ein.

„Wir wollen versuchen, die Kleinen ein bisschen vor dem Trubel zu schützen“, sagt Sibylle Möller, die stellvertretende Schulleiterin. So bekommen sie einen eigenen Klassenraum – normalerweise herrscht an der Schule das Fachraumprinzip. Auch kleinere Tische und Stühle müssten angeschafft werden, zudem können die Schüler einen benachbarten Spielplatz nutzen. Die Lehrer, die in der fünften Klasse unterrichten, hätten zum großen Teil selbst Kinder oder Enkelkinder in dem Alter und freuten sich auf die Arbeit mit den jungen Schülern. In der fünften Klasse haben die Kinder noch genauso viele Mathematikstunden wie an Grundschulen, jedoch erwarten die Lehrer ein schnelleres Vorankommen, weil die Kinder leistungsfähiger seien.

Schulleiter Jörg Freese hat an seinem Gymnasium gute Erfahrungen mit den Fünftklässlern gemacht. Seit 1999 nimmt die Neuköllner Schule so junge Schüler auf. „Die Kleinen sind gut integriert und lassen sich nicht einschüchtern.“ Seiner Ansicht nach schätzen die Eltern der künftigen Fünftklässler die Fähigkeiten ihrer Kinder meist richtig ein, sie merkten, wenn diese an der Grundschule unterfordert seien. „Das klappt viel besser als bei den jetzigen Anmeldungen für die Siebtklässler, da wollen manche Eltern ihr Kind entgegen aller Empfehlungen unbedingt aufs Gymnasium bringen.“

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