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© Doris Spiekermann-Klaas

Hauptschule: Sisyphus im Brennpunktkiez

An der Neuköllner Kurt-Löwenstein-Hauptschule kann man erleben, wie selbst die engagierteste Sozialarbeit an ihre Grenzen stößt.

Sie spielt gerne mit den Vorurteilen, die sie auslöst. Dann kann sie lachen und ein wenig Mut schöpfen. Seyhan, 37, ist ganz in Schwarz gehüllt, nur ihr Gesicht ist unbedeckt. Die Haut wirkt blass durch den harten Kontrast.

Seyhan ist ins Elterncafé der Kurt-Löwenstein-Schule gekommen, um über ihre Probleme zu reden. Sie lebt allein und hat zwei Söhne, die oft die Schule schwänzen. Sich anderen anzuvertrauen, kostete sie große Überwindung. Sozialarbeiterin Songül Aslan, die das Elterncafé betreut, kennt die Mentalität der türkischen Frauen, vor allem auch die ihrer Männer.

Das türkische Elterncafé ist das jüngste Projekt der Kurt-Löwenstein-Schule, einer Hauptschule mitten im sozialen Brennpunktkiez Nord-Neukölln. Über 90 Prozent der Schüler haben Eltern nicht-deutscher Herkunft, vor allem aus der Türkei, Palästina, dem Libanon und dem ehemaligen Jugoslawien. Einen regelmäßigen Tagesablauf kennen die wenigsten Kinder. Ihr Hauptproblem sei die „seelische Verwahrlosung“, sagt Paul Kleinert, der Sozialpädagoge der Schule. Das äußert sich vor allem in einer hohen Zahl von Schulschwänzern. Rund 50 Prozent der rund 300 Schüler gelten als „schuldistant“, fehlen also an mindestens zehn Tagen im Halbjahr unentschuldigt. Oft sind es auch viele Wochen.

Im Jahr 2003 wurde das Ruder an der Kurt-Löwenstein-Schule herumgerissen. Neben klaren Regeln in der Schule sollte vor allem auf das Umfeld eingewirkt werden: Was können die Schüler nach dem Unterricht tun? Und was passiert in den Elternhäusern? Die Eltern an die Schule zu binden, war das Schwierigste – wegen der traditionellen Mentalität der patriarchalisch organisierten Familien. Danach ist Erziehung allein Sache der Lehrer und Bildung eher ein unbedeutendes Nebenprodukt, besonders, wenn es um Mädchen geht.

Im vorletzten Sommer begann ein ungewöhnliches Projekt: Zusammen mit der benachbarten Grundschule wurde der Schulgarten von türkischen Müttern neu bepflanzt (wir berichteten). Dafür bekamen die Frauen ein kleines Honorar. Ein Teil von ihnen soll jetzt helfen, das Elterncafé der Schule aufzubauen. Eine Liste mit etwa 200 Telefonnummern müssen sie abarbeiten, erzählt Seher. Das sind die Einladungen zum nächsten Elternfrühstück einmal im Monat. Wohl 20 bis 25 Frauen kommen dann. Auch bei den Elternabenden hat sich die Teilnehmerzahl deutlich erhöht.

Regelmäßig ins Elterncafé kommen aber nur sieben Frauen. Zwei von ihnen machen einen Deutschkurs der Volkshochschule. „Es ist erst der Anfang“, sagt Kleinert, und seine Mitstreiterin Aslan stöhnt schon mal, wenn sie daran denkt, wie viele vergebliche Gespräche sie schon geführt hat. Die meisten enden etwa so: „Mein Mann möchte das nicht.“

Selbst Hausbesuche ändern an der starren Haltung traditionell denkender Väter wenig. Sie werde als Vertreterin der Schule zwar mit Respekt empfangen, erzählt Aslan, das Familienoberhaupt zeige sich oft sogar einsichtig und liberal, aber anschließend schüttelt die Ehefrau dann den Kopf und erklärt, sie habe sich anders entschieden.

Seyhan braucht keinen Deutschunterricht. Sie ist in Berlin geboren und zur Schule gegangen, bis zur zehnten Klasse. Mehr war nicht drin, weil sie auf ihre kleine Schwester aufpassen musste. Auch die anderen Mütter haben ihre Schulzeit eher als Enttäuschung in Erinnerung. Necla, Mutter von drei Kindern, ging fünf Jahre auf eine Dorfschule in der Türkei. Dann fing sie an zu arbeiten. „Viele Eltern denken, ihre Kinder seien schon groß und brauchen sie nicht mehr“, sagt Necla.

Mit den Müttern ins Gespräch zu kommen, ist nur ein Baustein, mit dem Sozialpädagoge Kleinert die Schulschwänzerquote herabsenken möchte. Es gibt einen „Trainingsraum“, in dem sich zwei Lehrer mit störenden Schülern befassen, die aus dem Unterricht geflogen sind. Es gibt „Polizeitage“ mit echten Polizisten und einer simulierten Eignungsprüfung, die fast niemand besteht. Das soll ihnen ein Gefühl für Leistung vermitteln. Polizist ist der mit Abstand beliebteste Berufswunsch im Kiez.

Und es gibt Hausbesuche bei den notorischen Schulschwänzern. Wird nicht aufgemacht, was öfters vorkommt, holt Kleinert das Jugendamt mit ins Boot. Eine „mühselige Arbeit“, sagt Kleinert, aber notwendig, um Kinder aus dem Kreislauf von Arbeitslosigkeit, Verwahrlosung und Gewalt herauszuholen. Dass die Schule irgendwann so etwas wie Normalität erreicht, glaubt der Sozialpädagoge allerdings nicht. „Es gibt viele Zuzüge von Familien mit 12 oder 14 Kindern“, das sind dann oft die sogenannten Multiproblemfamilien.

Und für die arabischen und bosnischen Mütter gibt es an der Kurt-Löwenstein-Schule übrigens noch kein Elterncafé. Das türkische Café bindet vorerst alle Kräfte.

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