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Für homosexuelle Jugendliche ist es oft schwierig, sich an ihrer Schule zu outen.

© Reuters

Homosexualität: Outings an der Schule sind selten

Nur wenige homosexuelle Lehrer outen sich in der Schule, wenn sie von Kollegen oder Schülern nach ihrem Privatleben gefragt werden. Auch nur wenige Jugendlichen haben den Mut dazu. Sie fürchten, gemobbt zu werden. Doch die eigene Sexualität auf Dauer zu leugnen, kann psychisch krank machen.

Um sich an seiner neuen Schule gleich am ersten Arbeitstag zu outen, musste Ulf Höpfner nicht viel tun. Nach einer kurzen Vorstellung in der Klasse fragte er einfach, ob es noch Fragen gibt. Sofort wollten die Schüler des Diesterweg-Gymnasiums in Wedding von ihrem neuen Mathe- und Physik-Lehrer wissen, ob er verheiratet sei, wie alt er sei und ob er Kinder habe. „Schüler haben ein Anrecht zu erfahren, wer ihre Lehrer sind“, sagt Höpfner, der sich in der Arbeitsgemeinschaft Schwule Lehrer der Bildungsgewerkschaft GEW engagiert, also antwortete er: 41 Jahre, nicht verheiratet, aber einen Partner. Nein, keine Kinder. Wer weitere Fragen habe, könne zu ihm kommen.

An vier Berliner Schulen hat Höpfner in den letzten 13 Jahren unterrichtet, vor Wedding war er in Steglitz, Neukölln und Friedrichshain. Immer sei es dasselbe gewesen, von circa 40 bis 100 Lehrern sei eine Handvoll schwul, bisexuell oder lesbisch, aber er sei der einzige, der gegenüber Kollegen, Schülern und Eltern geoutet war. Oft wusste es das private Umfeld, aber nur vereinzelte Kollegen, oder die Kollegen wussten es, aber die Schüler nicht. „Das ist Privatsache“ oder „das weiß eh jeder“, hörte er als Begründung. „Bei Homosexualität liegt die Betonung immer noch auf der Sexualität“, nicht auf all den anderen Lebensbereichen, sagt Höpfner, das schrecke gerade Pädagogen von einem Outing ab.

Die Ergebnisse einer Studie zur Akzeptanz sexueller Vielfalt an Berliner Schulen im Auftrag der Senatsverwaltung legen nahe, dass Homosexualität immer noch ein Tabu ist, sobald es um die eigenen Schüler und Lehrer geht. Nur fünf Prozent der befragten Sechstklässlerinnen gaben an, eine lesbische oder bisexuelle Lehrerin zu kennen. Sieben Prozent wussten von einem schwulen oder bisexuellen Lehrer an ihrer Schule. Bei Neunt- und Zehntklässlern waren es 14 beziehungsweise 28 Prozent. Die große Mehrheit der befragten Lehrer kannte keine homosexuellen Schüler oder war sich sogar sicher, keine homosexuellen Schüler zu haben. Schätzungen zufolge sind fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung homosexuell, das entspricht mindestens einem Kind pro Klasse. Man habe ja kein Problem mit Homosexualität, hat auch Höpfner schon öfter von Schulleitern und Lehrern gehört, aber an der eigenen Schule gäbe es eben niemanden, deswegen brauche man nicht darüber zu reden. Wo allerdings nicht geredet wird, werden sich auch nur wenige bekennen.

Furcht vor einem Outing

Nicht offen leben zu können, führt für Schüler und Lehrer zu einer großen psychischen Belastung und zu ständiger Vorsicht, nichts Falsches oder zu viel zu erzählen. Es bedeutet falsche Annahmen über die eigene Person, die von heterosexuellen Mann-Frau-Beziehungen ausgehen, nicht richtigzustellen. Es kann heißen, die erste Liebe oder die langjährige Partnerin zu verleugnen. Schüler, Lehrer, Schulleiter fürchten, sich angreifbar zu machen, wenn sie in der Schule oder breiteren Öffentlichkeit mit Homosexualität in Verbindung gebracht werden. Das hängt häufig auch mit dem sozialen Status im Kollegium zusammen. Ein junger Lehrer erzählt, manche wollten „möglichst unauffällig“ ihr Referendariat durchstehen und sich erst outen, wenn sie sich an der Schule sicherer fühlen. Gerade weniger beliebte Lehrer und Schüler fürchten zusätzliche Konflikte oder Ausgrenzung durch ein Outing.

Die Mehrheit der Jugendlichen erlebe nach einem Outing homophobe Beschimpfungen oder körperlicher Gewalt, sagt Yan Feuge von der Bildungsinitiative Queerformat, die Schulen zu Themen geschlechtlicher und sexueller Vielfalt weiterbildet. Diese Jugendlichen seien stärker suizidgefährdet und anfälliger für Schulverweigerung und Drogenabhängigkeit. Ihre Probleme würden aber häufig übersehen. „Ich rede auch nicht über mein Privatleben“, hört sie oft in ihren Fortbildungen für Lehrer. Heterosexuelle würden oft übersehen, wie selbstverständlich sie sich durch kleine Bemerkungen als heterosexuell zu erkennen geben. Sie erzählen zum Beispiel, wie sie ihre Freizeit und Feiertage verbringen. „Berufs- und Privatleben lassen sich nicht gänzlich trennen“, sagt Feuge, immer schwingen die eigenen Lebensentwürfe und Wertvorstellungen mit. Eine offen homosexuelle Lehrerin könne zeigen, „dass dieser Lebensentwurf lebbar, dass man nicht ein Leben lang unglücklich ist.“ Dazu brauche es das entsprechende Schulklima.

Für alle Fragen offen

Ulf Höpfner unterrichtet mittlerweile seit fünf Jahren am Diesterweg-Gymnasium. Das Outing gegenüber seinen Schülern praktiziert er weiterhin, indem er signalisiert, dass er offen für Fragen ist. Wenn er eine Klasse neu übernimmt, würden ihn die Schüler innerhalb weniger Wochen auf seinen Partner ansprechen oder andere Fragen stellen. „Das müssen wir nicht so groß besprechen“, sagt er, wenn die Fragen ihm zu privat werden, „allgemeine Fragen kann ich aber gerne beantworten“.

Dass nicht alle Lehrer wie er permanent Aufklärungsarbeit leisten wollen oder können, kann er verstehen. Er will seinen Schülern aber auch nicht vermitteln, dass es ein Tabu sei zu fragen. „Und wie ist das eigentlich mit Herrn …?“ ist eine Frage, die auch immer wieder komme. Er antworte darauf, dass die Schüler den Kollegen schon selbst fragen müssen, und schlucke, wenn die Schüler dann sagen, das gehe doch nicht.

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