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Schule: „Jetzt wirklich mal voll in die Bremse knallen“

Ein Fahrsicherheitstraining zeigt, wie ABS in der Praxis funktioniert, und lehrt Respekt vor Geschwindigkeit. Notizen aus einem Kurs speziell für Frauen

Nun schwingt doch ein wenig Beklommenheit im Raum. Denn gleich nach der Begrüßung hat Elke Koenitz gesagt: „Wir wollen uns hier überwiegend in Gefahrensituationen begeben.“ Die Frau ist Trainerin im Fahrsicherheitszentrum des ADAC und soll uns beibringen, wie wir unser Auto im Notfall gut beherrschen können. Acht Teilnehmerinnen sind zu dem Frauenkurs gekommen, aus ganz unterschiedlicher Motivation. „Ich habe mich mit dem Auto noch nie gedreht und Angst vor so einem Fall“, sagt eine. Eine andere will ihren Wagen besser kennen lernen. „Er ist so groß und unübersichtlich“, klagt sie und schiebt grollend hinterher: „Den hat mein Mann ausgesucht.“ Und eine dritte fürchtet, dass während der Fahrt mal ein Reifen platzen könnte. „Wie verhalte ich mich dann?“

Und warum ein Frauenkurs und keine gemischte Gruppe? „Ach“, sagt eine Teilnehmerin, „Männer spielen sich doch immer in den Vordergrund und wissen alles besser. Darauf kann ich verzichten.“

Wir installieren – für Elke Koenitz’ Anweisungen – Funkgeräte in unseren Wagen und fahren zum ersten Übungsparcours. Sechs rot-weiße Hütchen sind da aufgestellt, die wir flott umkurven sollen. Die Hälfte der Gruppe ist in Aktion, die andere guckt vom gläsernen Container aus zu. „Der Punto kann jetzt losfahren“, tönt es durchs Funkgerät. „Der Punto“ – das bin ich. Also erster Gang, zweiter Gang, und schon geht’s rechts, links, rechts an den Hütchen vorbei. 43,3 Km/h weist die Anzeigentafel aus. „Beim nächsten Mal auch in den dritten schalten, schneller fahren und näher an die Pylone ran“, sagt Elke Koenitz. Das macht von Mal zu Mal mehr Spaß. Dass ich später im Übermut eins der Hütchen umsäbele, geschenkt.

Als die nächsten Teilnehmerinnen dran sind, werden wir im Container zu Punktrichterinnen. „Achten Sie auf Lenkbewegungen und Sitzhaltung der Fahrerinnen“, sagt Elke Koenitz. „Gut sitzen ist das A und O“, lehrt sie – und ruhig lenken natürlich auch. Je mehr wir üben, umso entspannter fahren wir. Die Anweisung der Trainerin haben wir sowieso im Ohr: „Lächeln nicht vergessen.“

Es ist ein strahlender Wintertag, kein Wölkchen in Sicht, aber der Boden vor uns ist pitschenass. Per Knopfdruck hat Elke Koenitz die Fläche bewässert. Hier sollen wir nun aus zügiger Fahrt heraus eine Vollbremsung machen. Keine hat wirklich Erfahrungen damit, und so schummeln wir beim ersten Mal ein bisschen. „Das war vorher schon angebremst“, rügt die Trainerin, und eine nach der anderen muss „jetzt wirklich mal voll in die Bremse knallen“. Ich hole tief Luft, „Entschuldigung, Puntolino“ und trete ganz fest zu. „Drauf bleiben, nicht nachlassen“, mahnt Elke Koenitz. „Tock, tock, tock, tock“, macht es. Aha, das ist also ABS. Der vierzehnjährige Opel Corsa einer jungen Frau hat dieses System zur Freude von Elke Koenitz nicht. „Da sehen Sie sehr schön, wie die Räder vorn blockieren und sich hinten weiterdrehen.“

Nach der Mittagspause steht ein kleiner Pannenkurs auf dem Programm. Der fällt in gemischten Kursen flach, als ob alle Männer wüssten, wie man Sicherungen wechselt. Wir können das hinterher aus dem Effeff, wissen welche Flüssigkeit in welches Behältnis gehört, wie man Starthilfekabel richtig verbindet und vieles mehr. „Die Bedienungsanleitungen Ihrer Autos sollten Sie wirklich durchlesen“, sagt der Pannenexperte eindringlich. Wir nicken einsichtig. Nur Katharina seufzt, weil sie aus dem Handschuhfach ihres kleinen Honda Jazz eine geholt hat, die dick wie eine Bibel ist.

Theorie beiseite, Praxis her. Wir kommen zu den Hindernissen. Zu diesem Zweck betätigt Elke Koenitz am Schaltpult des Containers ein paar Knöpfe und schon schießen Wasserfontänen aus dem Boden. Dass sie dort vorn kommen werden, wissen wir, aber wo genau? Mal rechts, mal links, dann in der Mitte. Und: Wir sollen unser Auto nicht duschen, sondern schön dran vorbeilenken. Leichter gesagt als getan, wenn man 50 km/h schnell ist. „Voll in die Bremse gehen“ können wir ja jetzt und merken, dass wir währenddessen auch noch lenken können. „Mit ABS ist das möglich“, sagt Elke Koenitz, und die Frau mit dem alten Corsa hat jetzt wirklich das Nachsehen.

Aber im Grunde werden wir alle kleinlaut während dieser Übung. Wie wäre es denn in der Realität, wenn das Hindernis, ein Reh vielleicht, ganz und gar unvermutet auftauchen würde und wir auch noch auf Gegenverkehr achten müssten? Bei 50 km/h Geschwindigkeit liegt der Bremsweg bei knapp unter zehn Meter, bei 70 km/h sind es schon über 18 Meter.

Es kommt noch tückischer. Der Nissan Primera fährt forsch los und dann, Himmel, dreht er sich einmal um eigene Achse. Kein Wunder, im Boden ist eine Dynamikplatte eingelassen, die dem Wagen auf Befehl von Elke Koenitz einen Schubs gibt. So könnte es sein, bei einer Kollision. Es ist ein ekliges Gefühl. Ich bremse mit aller Kraft und sitze danach nicht mehr im Auto, sondern im Karussell. Danach versuchen wir, das Auto ohne zu bremsen durch blitzschnelle Lenkbewegungen in die Spur zu zwingen. Bis es nur halbwegs gelingt, müssten wir wohl viele dutzend Male üben.

Das alles lehrt uns Respekt. Sind Männer durch solch ein Training auch zu beeindrucken? Beschleunigen die nicht gleich auf 70, wenn sie erst mal nur 40 fahren sollen? „Wenn sie merken, was ihnen schon bei geringem Tempo passiert, vergessen sie solche Anwandlungen ganz schnell“, sagt Elke Koenitz. Und deshalb hält sich eben auch der Porschefahrer aus der „gemischten“ Parallelgruppe dort hinten exakt an die Anweisungen – und kommt wie die anderen ins Trudeln.

„Mein Mann meint immer, ich fahre zu vorsichtig. Der sollte selbst mal so ein Training mitmachen“, sagt eine Kursteilnehmerin beim Abschlussgespräch. Und alle, die auf der Autobahn mit viel zu hoher Geschwindigkeit viel zu dicht auffahren, denke ich bei der Rückfahrt nach Berlin. Alles prima Kandidaten für ein Sicherheitstraining …

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