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Judentum in Deutschland: Antisemitismus und Schule: Thema verfehlt

Der Nahostkonflikt wird in der Schule zu selten behandelt. Auch beim Umgang mit Antisemitismus gibt es Defizite.

Sprüche wie „Hitler war cool, weil er so viele Juden umgebracht hat“, das höre sie öfter von den Kindern, sagt eine Erzieherin an einer Grundschule in Schöneberg. Viele der Schüler dort kommen aus arabisch- oder türkischstämmigen Familien. Es wäre jedoch zu kurz gedacht, Antisemitismus vor allem als Problem der muslimischen Schüler zu betrachten. Vorurteile und Ressentiments gegen Juden kommen in allen Bevölkerungsschichten vor, wie der Expertenbericht zum Thema Antisemitismus, der im Januar im Bundestag vorgestellt wurde, deutlich macht. Danach stimmt jeder sechste Deutsche der Aussage „Juden haben in Deutschland zu viel Einfluss“ zu, mehr als 38 Prozent der Befragten äußern angesichts der „Politik, die Israel macht“, Verständnis dafür, „dass man etwas gegen Juden hat“. Unwissenheit über den Nahostkonflikt und eine Gleichsetzung von Israel mit dem Judentum sind weit verbreitet.

Auch viele Lehrer wissen nicht, wie sie mit dem Thema umgehen sollen. Während der Nationalsozialismus in aller Ausführlichkeit im Unterricht behandelt wird, findet das Thema Nahostkonflikt praktisch nicht statt. Im Lehrplan ist es bis zur zehnten Klasse nicht vorgeschrieben. „Bei aktuellen Ereignissen wird immer schnell gefordert, dass die Geschichtslehrer das besser vermitteln sollen“, sagt Anita Mächler, Vorsitzende des Geschichtslehrerverbandes Berlin. Das sei auch beim Fall der Mauer so gewesen. Man müsse jedoch bedenken, dass bis zur zehnten Klasse nur eine Wochenstunde Geschichte auf dem Plan stehe. Engagierte Lehrer würden aber ohnehin auf aktuelle Themen reagieren, meint Mächler. Die Rahmenlehrpläne seien absichtlich offen gehalten, damit Lehrkräfte die Inhalte selbstständig anpassen können.

Doch genau daran hapert es nach Ansicht vieler Experten. Denn an Angeboten und Unterrichtsmaterialien mangelt es wahrlich nicht. Viele davon sind speziell für muslimische Jugendliche oder Schüler mit Migrationshintergrund konzipiert (siehe Kasten). Doch ob sie auch genutzt werden, hängt vom Engagement einzelner Lehrer oder Schulleiter ab. „Ich würde mir wünschen, dass es verpflichtend im Lehrplan verankert wird“, sagt etwa Sandra Anusiewicz-Bär vom American Jewish Committee Berlin (AJC Berlin), das zusammen mit dem Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (Lisum) das Projekt „Aktiv gegen Antisemitismus“ entwickelt hat. Dabei werden Lehrkräfte zu Multiplikatoren ausgebildet, die dann in den Schulen Lehrer beim Entwickeln neuer Unterrichtskonzepte unterstützen. Denn bisher werde das Judentum fast nur im Kontext von Nationalsozialismus und Verfolgung behandelt. Das mag zwar gut gemeint sein, habe aber eher einen gegenteiligen Effekt, kritisiert der Expertenbericht. Wenn Juden im Geschichtsunterricht vor allem als Opfer dargestellt würden, könne das antisemitische Stereotypen verstärken. Jugendliche wollten sich von diesem Opferstatus abgrenzen. Zudem fühlten sich Schüler beim Thema Nationalsozialismus und Judenverfolgung teilweise unter einen moralischen Erwartungsdruck gesetzt. Manche Lehrer seien enttäuscht, wenn die Jugendlichen nicht betroffen genug reagierten. Dies könne eine Ablehnung des Themas hervorrufen.

Auch Sophia Oppermann vom Verein „Gesicht zeigen“ hat den Eindruck, dass viele Lehrer beim Umgang mit dem Thema Nahostkonflikt unsicher sind. „Es fehlt die Expertise, und viele wollen sich lieber nicht aufs Glatteis begeben.“ Der Verein bietet Workshops und Projekttage zum Thema Antisemitismus an. Einer davon richtet sich speziell an Jugendliche mit muslimischem Hintergrund. Ein ägyptischer Islamwissenschaftler und eine türkischstämmige Kollegin leiten das Projekt. „Sie werden von den Jugendlichen als Autorität anerkannt“, sagt Oppermann. Wenn sie erklären, dass Antisemitismus gar nichts mit dem Islam zu tun haben könne, weil dieser die Propheten der Vorgängerreligionen anerkenne, komme das bei den Schülern an. Oppermann wünscht sich eine weitergehende Unterstützung von politischer Seite. „Es ist zu wenig bekannt, welche Angebote es in der Stadt gibt und an wen sich Schulen wenden können“, sagt sie.Sylvia Vogt

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