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Zurück aus Erkner. Cathleen Henschke unterrichtet lieber in Tiergarten.

© Mike Wolff

Nach Schulstreik: Was junge Lehrer noch in Berlin hält

Hohe Arbeitsbelastung, niedriger Lohn: Wer will in Berlin eigentlich noch Lehrer werden? Junge Pädagogen erzählen, was sie hier hält.

„Es macht mich einfach wütend, wenn Politiker über mich entscheiden wollen“, ruft ein Schüler des Zwölfer-Politikkurses. Es geht um soziale Gerechtigkeit in dieser sechsten Stunde. „Sie sind heute aber ein echter Wüterich“, sagt Lehrerin Cathleen Henschke. „Moment, ich habe den Wutball dabei.“ Nach einem Griff in die Tasche wirft sie dem 17-Jährigen eine gelbe tennisballgroße Schaumstoffkugel zu. Der Schüler macht ein besonders grimmiges Gesicht und knautscht den Ball. Die Klasse lacht.

Nicht nur hier, im 5. Stock des Gymnasiums Tiergarten, wird heftig diskutiert, auch in Lehrerzimmern, auf Demos und in Senatssitzungen zur Bildungspolitik spielt das Thema Gerechtigkeit eine besondere Rolle. Nach Lachen ist den meisten Lehrern allerdings nicht zumute.

Obwohl Berlin seit 2004 Lehrer nicht mehr verbeamtet, stellte das Land bisher jährlich mehr als hundert Pädagogen mit Beamtenstatus ein. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) will dieser Praxis jetzt zwar einen Riegel vorschieben und, wie berichtet, ab 2014 nur noch dann verbeamtete Lehrer aus anderen Bundesländern einstellen, wenn diese schon mindestens seit fünf Jahren im Staatsdienst sind. Die Mehrklassengesellschaft in den Lehrerzimmern bleibt vorerst dennoch bestehen: Die einen sind Beamte mit langfristig mehr Gehalt und Sozialleistungen, die angestellten Lehrer dagegen fühlen sich benachteiligt.

Wer will eigentlich überhaupt noch Lehrer werden in Berlin? Die Nicht-Verbeamtung ist schließlich nicht das einzige Problem: Brennpunktschulen, die anstehende Inklusion, wachsende Schülerzahlen bei zunehmendem Lehrermangel, sanierungsbedürftige oder fehlende Schulgebäude: nicht gerade die besten Voraussetzungen, um hier als junger Pädagoge seine Laufbahn zu starten.

Cathleen Henschke wollte trotzdem. Die 31-jährige Berlinerin hat sich nach dem Referendariat im brandenburgischen Erkner wieder in ihrer Heimatstadt beworben – obwohl sie nach der zweijährigen Verbeamtung auf Zeit nun wieder angestellt ist. „In Erkner sind mir irgendwann die Füße eingeschlafen. Ich mag Berlin gerade wegen seiner Rauheit.“ Seit sie während ihres Germanistik-, Geschichts- und Politikstudiums an einer Kreuzberger Grundschule unterrichtet hat, schätzt sie die multikulturelle Schülerschaft. Die hat sie am Gymnasium Tiergarten. Dafür nimmt sie auch die Ungerechtigkeit in Kauf – zähneknirschend.

Auch Tobias Hoffmann ärgert sich über die Berliner Schulpolitik, der 27-jährige Lehramtsstudent für Sport und Geschichte will trotzdem bleiben. „Hier sind meine Freunde, meine Familie, hier bin ich zu Hause“, sagt der gebürtige Prenzlauer Berger. Mit dem Gedanken gespielt habe er schon, für das Referendariat nach Brandenburg zu gehen, nach Potsdam oder Blankenfelde könne man ja von Berlin aus pendeln. „Nach Baden-Württemberg würde ich aber nicht gehen!“ Auch wenn Berlin vielleicht mehr Problembezirke hat als eine süddeutsche Kleinstadt: „Dort würde ich nicht glücklich werden, trotz der sicherlich entspannteren Arbeitsverhältnisse.“

Genauso sieht das auch Barbara Deyerling. Sie kommt aus einer bayrischen Kleinstadt, hat im baden-württembergischen Freiburg Deutsch und Englisch studiert – und kam trotz sämtlicher Warnungen ihrer Freunde nach Berlin. Anders als Cathleen Henschke und Tobias Hoffmann ist die 27-jährige Referendarin am Weddinger Lessing-Gymnasium generell gegen die Verbeamtung. „Ich glaube, dass man dadurch schnell bequem wird.“ Den jetzigen Zustand hält aber auch sie für misslich: „Ungerechtigkeit schlägt aufs Klima unter den Lehrern. Darunter leiden in erster Linie die Schüler.“

Berlin: schlechtere Arbeitsbedingungen, aber begehrte Stadt

Cathleen Henschke bekam die Ungerechtigkeit am eigenen Leib zu spüren: Zeitgleich mit ihr wurde eine Hamburger Kollegin eingestellt, die mit Beamtenstatus übernommen wurde. „Der direkte Vergleich ist besonders bitter: Wir haben zusammen hier angefangen, machen genau die gleiche Arbeit – und werden doch unterschiedlich vergütet.“

Henschke unterrichtet sechs verschiedene Lerngruppen von der achten bis zur zwölften Stufe, ist Klassenlehrerin einer zehnten Klasse und für die Berufsorientierung zuständig. Nebenher schreibt sie ein Schulbuch mit Unterrichtsvorlagen. „Ich bin schon gut beschäftigt“, sagt sie, lacht und wird gleich wieder ernst: „Ich müsste eigentlich noch viel mehr für gerechtere Verhältnisse kämpfen, aber die Zeit habe ich einfach nicht.“ Am Montag streikte sie mit, obwohl sie dadurch mit Gehaltseinbußen rechnen muss, weil sie als Nicht-Gewerkschaftsmitglied kein Streikgeld bekommt.

Auch Lehramtsstudent Tobias Hoffmann und seine Kommilitonen diskutieren die Situation an Berliner Schulen. „Bisher wollte noch keiner aus Berlin weg – höchstens, wenn sie hier keinen Referendariatsplatz bekommen.“ Eine Bekannte müsse jetzt nach Wolfsburg, erzählt er mit leichtem Schaudern in der Stimme. Sie behalte ihr WG-Zimmer in Berlin und wolle so schnell wie möglich wieder zurück.

Andere Berliner Schulprobleme wie marode Gebäude und soziale Brennpunkte hält Barbara Deyerling aber für bundesweite Phänomene. „In der Großstadt Berlin treten solche strukturellen Probleme etwas potenzierter zutage als anderswo“, sagt sie.

Was die Inklusion, also die Miteinbeziehung von behinderten Kindern in den Unterricht betrifft, herrscht bei vielen jungen Lehrern Unsicherheit. „Solche Bestimmungen von oben sind ja toll gedacht, aber wie soll ein Lehrer, der allein vor seiner dreißigköpfigen Klasse steht, das leisten?“, fragt sich Deyerling.

Angst vor schwierigen Schülern hat Tobias Hoffmann nicht – im Gegenteil: „Ich war selber früher ein Problemkind“, erzählt er mit einem verschmitzten Grinsen. „Meinetwegen wurden sogar die Betragensnoten wieder eingeführt.“ Gerade weil er selbst früher Schwierigkeiten mit seinen Lehrern hatte, hat er sich für den Beruf entschieden – um es selbst einmal besser zu machen.

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