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Gymnasium in Spandau: Leere Klassen nach neuer Amokdrohung

Dieses Mal traf die Amokdrohung ein Gymnasium in Spandau, erneut blieben viele Schüler Zuhause. Die Polizei ist machtlos. Eltern und Schüler verzweifeln an einer anonymen Hassplattform im Netz.

Erneut hat eine Amokdrohung für Unruhe in Berlin gesorgt. Dieses Mal traf es das Hans-Carossa-Gymnasium in Kladow. Offenbar handelte es sich bei dem Eintrag auf der Webseite Isharegossip.com um einen besonders bösartigen Fall von Mobbing: Ein Kommentator schrieb, dass ein Mitschüler einen Amoklauf plane. Die Polizei suchte Donnerstagmorgen den betroffenen Jungen auf und stellte schnell fest, dass die Anschuldigungen frei erfunden waren. Trotzdem blieben an dem Tag viele Schüler zu Hause.

Für den Schulalltag wird Isharegossip allmählich zum ernsten Problem: Auf der Seite kann jeder nach Schulen sortiert unter Pseudonym schreiben, was er möchte. Wüste Beschimpfungen und Verleumdungen gegen Mitschüler und Lehrer bestimmen das Bild. Bereits Anfang der Woche hatte es zwei Amokdrohungen gegen ein Zehlendorfer Gymnasium gegeben. Jetzt traf es eine Spandauer Oberschule. „Am Mittwochabend gab es den Eintrag, dass ein bestimmter Schüler Amok laufen wolle und dass sein Vater ein Gewehr habe“, berichtet Schulleiterin Maria Meyer. Eine Stunde später folgte ein neuer Eintrag, in dem sinngemäß stand: „Ich werde Euch alle töten.“ Die Eltern des beschuldigten Neuntklässlers erwägen jetzt, Anzeige gegen unbekannt zu erstatten, sagt Meyer.

Die Drohungen sind nicht das einzige Unheil, dass Isharegossip an der Carossa-Schule angerichtet hat: Seit knapp zwei Wochen nehme auch das Mobbing mittels Internet dramatisch zu, sagt Meyer. Eine der verzweifelten Schülerinnen sei zu ihr gekommen, weil sie sich angesichts der menschenverachtenden Beleidigungen und falschen Behauptungen nicht mehr zu helfen wusste.

Inzwischen melden sich immer mehr betroffene Schüler und Eltern beim Tagesspiegel. Franz Betz (Name geändert) beispielsweise erkennt seine Tochter derzeit kaum wieder. „Noch nie habe ich sie so niedergeschlagen und fertig gesehen“, sagt Betz. Nachdem seine 15-jährige Tochter in ihrer alten Schule in Spandau notenmäßig abgerutscht war, wollte sie auf einer Privatschule einen neuen Anfang wagen. Doch die Einträge auf Isharegossip machten ihr einen bitteren Strich durch die Rechnung. „Sie ist voll hässlich. Ich hasse sie. Ich will nicht, dass sie auf unsere Schule kommt. Einfach nur ekelhaft.“ Zwei Tage später machte die Privatschule einen Rückzieher und nahm ihre Zusage wieder zurück. Als Grund wurden laut Betz „zu drastische Einträge im Internet genannt“. Mehr habe die Schulleitung nicht sagen wollen.

Ein Klassenkamerad habe seine arglose 15-jährige Tochter auf die Einträge auf der Mobbingseite aufmerksam gemacht. „Das sind Gleichaltrige, die sie kennen und nicht mögen, aber über ihre Zukunftspläne wissen und sie fertig machen wollten.“ Täglich kämen derzeit neue Einträge auf der Mobbingseite hinzu – inzwischen sind es 67. „Ich schaue sie mir inzwischen gar nicht mehr an“, sagt Betz. Er suche jetzt nach Eltern, die sich zusammenschließen wollen, weil er glaubt, dass das erst der Anfang einer schlimmen Mobbingwelle sei. Er fürchtet um die Zukunft der betroffenen Kinder. „Das Schlimmste ist, dass bei Google die Mobbingseite gleich auf Platz drei der Trefferliste unter ihrem Namen zu finden ist.“

Das Internet vergisst nicht. Das ist ein Grund dafür, warum Cybermobbing so viel folgenschwerer als die klassische Form des Mobbings ist, sagt Michael Retzlaff, Referatsleiter für Medienbildung am Landesinstitut für Schule und Medien (Lisum) Berlin-Brandenburg. Eingriffe ins Privatleben seien rund um die Uhr möglich, das Publikum unüberschaubar groß, die Täter könnten anonym agieren, die Inhalte verbreiteten sich extrem schnell weltweit und es gebe keinen Rückzugsraum für die Opfer. Isharegossip stellt dabei eine ganz, neue Dimension des Mobbings im Internet dar. Die garantierte Anonymität, die die Hemmschwelle der Täter noch mehr absinken lässt, und der gezielte Aufruf zur Diffamierungen bündelt auf einer Plattform das Bedürfnis, sich negativ bis menschenverachtend über andere Jugendliche auszulassen. Die Gehässigkeit kennt auf dieser Seite ohne Moralkodex keine Grenzen.

Die Polizei hat keine Chance, die Urheber strafbarer Kommentare zu belangen. Angemeldet ist Isharegossip über eine Firma in den USA, die ihren Kunden absolute Anonymität verspricht. Auf Isharegossip selbst wird wiederum als Verantwortlicher eine fiktive Person in Litauen genannt, der Server über den die Seite läuft, steht hingegen in Schweden. Der tatsächliche Betreiber sitzt in Deutschland. Er verspricht den Usern, dass die Nutzung absolut anonym sei. „Wenn du etwas postest oder einen Kommentar schreibst, so werden keinerlei Daten gespeichert, die einen Rückschluss auf deine Identität zulassen.“ Er behauptet, dass die IP-Adresse, über die ein Nutzer normalerweise zurückverfolgt werden kann, bei Isharegossip nicht gespeichert wird. So könnte die Polizei, selbst wenn sie den Server ausfindig machen sollte, nicht die Urheber strafbarer Kommentare identifizieren. „Das ist technisch durchaus möglich“, bestätigt Internetexperte Felix Juraschek von der Freien Universität. Ein technisch versierter Betreiber könne eine Webseite tatsächlich so einrichten, dass die IP der Besucher auf dem Webserver nicht gespeichert wird. Laut der Generalstaatsanwaltschaft Hessen liegen inzwischen mehr als 50 Anzeigen gegen die Seite vor. Seit Januar läuft dort ein Ermittlungsverfahren.

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