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© Uwe Steinert

Lehrermangel: Engagiert, beliebt – und jetzt in Wolfsburg

Elif B. stammt aus einer türkischen Familie. Berlin braucht Lehrer wie sie. Dennoch hatte sie hier keine Chance.

Irgendwann hatte Elif B. die Nase voll. Im Juni packte sie ihre Koffer und verließ ihr geliebtes Berlin. Sie zog nach Wolfsburg. Denn sie hatte keine Lust mehr, noch länger zu warten. Nach ihrem Staatsexamen in Mathe und Deutsch hatte sie sich auf vier Referendariatsplätze beworben – und bekam vier Absagen. Seitdem sind eineinhalb Jahre vergangen, in denen die junge Frau Aushilfsjobs an vielen Schulen in vielen Stadtteilen angenommen hat.

Die angehende Mathe- und Deutschlehrerin kam unter anderem an einem Gymnasium in Neukölln unter, wo fast alle Schüler im Klassenzimmer aus abischen oder türkischen Familien stammten. Sie hat mit ihnen Lessings „Emilia Galotti“ gelesen und über Ehrenmorde diskutiert. „Vor allem die Mädchen waren total verwundert, dass jemand wie sie selbst Lehrerin sein kann“, erzählt die 27-jährige Deutschtürkin. „Sie haben mich gefragt, wie ich das gemacht habe.“

Elif B. muss inzwischen bitter auflachen, wenn ihr zu Ohren kommt, dass Politiker wie Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) den „Anteil von Lehrern mit Migrationshintergrund in Berlin stark erhöhen“ wollen. „Das sind für mich nur leere Floskeln“, sagt sie. In ihrem Seminar in Wolfsburg habe sie einen türkischstämmigen Kollegen aus Kreuzberg getroffen, der Berlin aus dem gleichen Grund verlassen hat wie sie: Warum jahrelang in Berlin warten, wenn man in anderen Städten sofort eine Referendariatsstelle bekommt?

Für die Berliner Bildungspolitik ist der Weggang von Pädagogen mit türkischem oder arabischem Hintergrund ein Verlust. Denn die Zahl der Kinder aus Einwandererfamilien in den Klassenzimmern der Hauptstadt steigt, während in den Kollegien kaum Lehrkräfte anzutreffen sind, die ihre Muttersprache sprechen oder die anderen Kulturen aus eigener Erfahrung kennen. In Bezirken wie Kreuzberg, Neukölln und Mitte stammen inzwischen knapp zwei Drittel der jungen Bevölkerung aus Einwandererfamilien, wie das statistische Landesamt belegt.

Viele Schulen suchen verstärkt nach bikulturellen Lehrern. Der Senat hat längst eine Kampagne gestartet, um mehr Schüler aus Einwandererfamilien für den Beruf des Lehrers zu begeistern. Denn wie eine Studie der Stiftung Mercator vor kurzem ergeben hat, lernen Schüler aus Einwandererfamilien leichter, wenn sie von Lehrern mit gleicher ethnischer Herkunft unterrichtet werden.

Angesichts der Tatsache, dass der Bedarf an solchen Lehrern so hoch ist, versteht Elif B. nicht, warum sie jahrelang warten soll, bevor sie ihre Ausbildung beenden darf, und warum es so sehr auf die Noten in ihrem Zeugnis ankommt. Doch das Problem ist nicht neu: Die Zahl der Bewerber übersteigt die Zahl der Referendariatsplätze in Berlin jedes Jahr. 2009 bewarben sich über 1300 angehende Lehrer, nur etwa 400 starten Ende August ihre Ausbildung.

Die Plätze werden nach Eignung, Wartezeit und Fach vergeben. Je besser die Abschlussnote oder je gefragter das studierte Fach ist, desto schneller kommt man in die Referendariatsseminare. Eigene Kinder oder Behinderungen können als Härtefälle berücksichtigt werden. B. hat nur einen mittelmäßigen Notendurchschnitt, und sie hat Deutsch studiert. Mit diesen Voraussetzungen muss sie damit rechnen, in Berlin lange zu warten, bevor sie zum praktischen Teil ihrer Ausbildung zugelassen wird.

Für Bewerber mit ausländischem Pass gibt es eine Quote: Zwei Prozent der Referendare sind jedes Jahr Ausländer. Rund 50 Lehrer mit türkischem Pass arbeiten im Moment in Berlins Schulen. B. hat einen deutschen Pass.

Um den Mangel an Lehrern aus Einwandererfamilien schneller zu beheben, hatte die Bildungsverwaltung 2007 einen Gesetzentwurf vorgelegt, der eine Quote für Referendare mit Migrationshintergrund vorsah, zu der auch eingebürgerte Migranten wie B. zählen. „Das Gesetz konnte wegen verfassungsrechtlicher Bedenken nicht eingeführt werden“, sagte Peter Sinram, Pressesprecher der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW). Eingebürgerte und sozusagen urdeutsche Bewerber hätten mit dem Gesetz unterschiedlich bewertet werden müssen. Einige hätten sich dann einklagen können.

Eine befriedigende Lösung gebe es nicht, sagt Sinram. Erst wenn die Schulen Lehrer einstellen, nicht aber Referendare, können Schulen die Zahl der Mitarbeiter mit fremd klingenden Namen erhöhen. Bei der Lehrereinstellung können die Schulen zunehmend mitbestimmen, wen sie wollen und wen nicht. „Aber auch dann kommen nur die zum Zuge, die es durchs Nadelöhr der Ausbildung geschafft haben“, sagt Sinram.

Vor wenigen Tagen hat Elif B. einen Brief erhalten. Darin steht, dass sie per Nachrückverfahren eine Referendariatsstelle in Berlin erhalten habe. Sie hat abgelehnt. „Wenn ich die Stadt Berlin mit Wolfsburg vergleiche, ist Berlin um vieles besser“, sagt sie. Natürlich wäre sie gerne geblieben. Aber nun sei sie umgezogen, habe sich eingerichtet und die Ausbildung an einer guten Schule begonnen. Sie werde jetzt nicht alles wieder rückgängig machen. Zur ihrer Klasse aus Neukölln hat sie immer noch Kontakt. Bei ihrem letzten Besuch haben die Schüler B. gefragt, wann sie wieder bei ihnen unterrichten wird. „Es war wirklich nett mit ihnen. Aber das mit mir und Berlin hat einfach nicht sein sollen“, sagt die junge Frau, steht auf und geht.

Ferda Ataman

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