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Schule

© Doris S.-Klaas

Lehrermangel in Berlin: Schüler unterrichten sich selbst

Am Paulsen-Gymnasium in Steglitz fiel wochenlang der Unterricht aus. Nun springen Zehnt- und Elftklässler für die Pädagogen ein.

Klack. Klackklack. Marianna Höfer schlägt mit ihren langen manikürten Fingernägeln an die Tafel. Direkt auf die lange Gleichung, in der jede Menge Brüche vorkommen, gleich viermal der Faktor X – einmal sogar zum Quadrat. „Alle wollen den Hauptnenner haben“, sagt sie. „Das ist der beste Freund von allen Zahlen.“ Sie malt mit roter Kreide ein Herz um die Abkürzung HN. „Könnt ihr wieder ein bisschen leiser sein, bitte?“, sagt Marianna Höfer. Sie ist zwar erst in der elften Klasse, strahlt aber trotzdem mit ihrer dunklen, durchdringenden Stimme Autorität aus. Das Gemurmel von 30 Achtklässlern verstummt. Neben ihr steht Vivien Franck, ebenfalls Elftklässlerin und sagt: „Habt ihr verstanden, dass man aus der Summe nicht kürzen darf?“

Montagvormittag im Paulsen-Gymnasium in Steglitz: Matheunterricht in der 8a. Alles wie immer? Nein, die beiden „Lehrerinnen“ hätten eigentlich gerade Sport – mit den anderen Elftklässlern. Stattdessen unterrichten die Schülerinnen zum zweiten Mal in ihrem Leben Mathematik. Vergangenen Donnerstag haben sie zum ersten Mal einen Lehrer vertreten. Der Unterricht wäre sonst ganz ausgefallen. Eine Woche lang spielen fünf ältere Schüler Vertretungslehrer für die Jüngeren, ein inoffizielles Projekt. Und zugleich ein Protest. Denn in den vergangenen Wochen musste an manchen Tagen für jede vierte Stunde ein Vertretungslehrer gefunden werden. Viele Lehrer sind oft krank. Das Kollegium ist im Schnitt älter als 50. „Viele von uns gehen auf dem Zahnfleisch, gerade weil sie so viele zusätzliche Stunden übernehmen mussten“, sagt der stellvertretende Schulleiter Bernd Linke. Nach den Sommerferien wird es noch einmal fünf Lehrer weniger geben. Stellen werden nicht neu besetzt oder befristete Verträge nicht verlängert.

Also beschloss die Schülerversammlung, die Sache in die Hand zu nehmen: „Das Unterrichtsprojekt ist unsere konstruktive Alternative zum Schulstreik“, sagt Felix Bethmann, Zehntklässler, Schulsprecher und SPD-Mitglied. Die Schulleitung war einverstanden. Und auch die Eltern protestierten nicht gegen die Idee.

Felix Bethmann bat seinen Parteigenossen, Bildungssenator Jürgen Zöllner in einem Brief, „die Lehrerversorgung unserer Schule auf einen Optimalwert zu erweitern. Lassen Sie uns nicht alle engagierten, jungen Lehrkräfte an andere Bundesländer verlieren“. Felix Bethmanns Stellvertreterin Marianna hat den Brief ebenfalls unterschrieben. Außerdem die beiden anderen vom „harten Kern“ der „Vertretungslehrer“. Vivien Franck ist erst später dazu gestoßen, weil sie so gut rechnen kann. Denn vor den Mathestunden hatten die anderen vier dann doch ein bisschen Bammel. Morgen wollen sie im Schülerausschuss einen neuen Brief formulieren – und auch nach den Ferien jede Woche, solange, bis sie eine Antwort des Bildungssenators haben. Eine indirekte Antwort gab Zöllner schon, allerdings nur einer Zeitung gegenüber. Die Senatsverwaltung wolle sich um die Probleme an der Schule kümmern. Im nächsten Schuljahr soll eine „hundertprozentige Unterrichtsversorgung“ gewährleistet werden.

Mariannas und Viviens Schüler dürfen jetzt in die Pause. Und die beiden Lehrerinnen müssen zum Vertretungsplan: Nachsehen, wer in der elften Klasse Englisch gibt – ihre Lehrerin ist seit vergangener Woche im Mutterschutz. Zur Not müssen sie die eben auch noch vertreten. Mal sehen, ob Mariannas Autorität auch für Gleichaltrige reicht.

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