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Heinz Buschkowsky will leeren Klassenzimmern mit Geldstrafen entgegenwirken.

© ddp

Leserdebatte: Schulschwänzern das Kindergeld streichen?

Frankreich streicht Familien von Schwänzern das Kindergeld. Das will auch Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky. Ein Pro & Contra.

Mit Nicolas Sarkozy möchte Heinz Buschkowsky nicht in einen Topf geworfen werden, aber in einer Frage sind französischer Präsident und Neuköllner Bezirksbürgermeister völlig d’accord: Eltern, deren Kinder notorisch die Schule schwänzen, sollte das Kindergeld gestrichen werden. Die französische Nationalversammlung hat aus dieser alten Forderung Buschkowskys jetzt ein Gesetz gemacht. Das bringt ein wenig Rückenwind für den SPD-Politiker, der in der Integrationsdebatte oft radikaler und konsequenter argumentiert als viele CDU-Leute und deshalb in seiner eigenen Partei einen schweren Stand hat.

In Berlin gibt es laut Senatsbildungsverwaltung rund 12 000 „schuldistanzierte Kinder“, die mindestens zehn Tage am Stück dem Unterricht fernblieben. Eine Arbeitsgruppe hat den Bezirken empfohlen, konsequent gegen Schulschwänzer vorzugehen, nach dem Vorbild Neuköllns. Dort werden Kinder von der Polizei in die Schule gefahren und Bußgelder verhängt. Das Polizeigeleit habe sich jedoch oft als kontraproduktiv erwiesen, sagt Bildungsstadträtin Franziska Giffey (SPD), weil die Jungs damit prahlen. Pro Jahr werden im Bezirk 700 Schulschwänzer angezeigt und 200 Bußgeldverfahren eingeleitet. „Das Geld treiben wir konsequent ein, zur Not wird gestundet“, sagt Giffey. Dennoch führe der Griff ins Portemonnaie – pro Fehltag werden zehn Euro fällig – nicht jedes Mal zum Erfolg. Buschkowsky dauert das Verfahren ohnehin zu lange. „Die Sanktion muss schnell und unbürokratisch kommen.“

Der Bezirksbürgermeister findet das französische Vorgehen „vernünftig“: „In bestimmten Milieus sind nur so Verhaltensänderungen zu erzwingen.“ Bestimmte Milieus – das sind vor allem arabische Großfamilien, für die das Kindergeld einen Großteil des Monatsbudgets ausmacht. „Wir können nicht gleich mit der großen Keule Sorgerechtsentzug kommen. Wir brauchen eine Sanktion unterhalb dieser Ebene.“

Felicitas Tesch, bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, erneuert ihre Absage an Buschkowsky. „Dafür bekommt er in der Fraktion keine Mehrheit.“ Auch die CDU-Opposition reagiert ablehnend. „Da ist null pädagogischer Ansatz“, sagt Bildungsexpertin Emine Demirbürken-Wegner. Sanktionen erhöhten nur den Druck auf die Kinder, ohne die Ursachen des Schwänzens zu ergründen. Es müssten mehr Sozialarbeiter und Psychologen an die Schulen, die jedem Einzelfall nachgehen. Dass man es in Neukölln mit besonders schwierigen, schlecht integrierten Familien zu tun habe, sei kein Hinderungsgrund. „Auch für arabische Familien gelten deutsche Gesetze.“ Mieke Senftleben von der FDP möchte, dass zunächst alle Bezirke das Bußgeldverfahren konsequent anwenden, bevor sie neue Sanktionsmöglichkeiten ausprobieren.

Die verstorbene Jugendrichterin Kirsten Heisig hat sich in ihrem Buch „Das Ende der Geduld“ für Kürzungen von Sozialleistungen ausgesprochen, um kriminelle Karrieren frühzeitig zu stoppen. Fast alle Mehrfachtäter hätten in der Schule oft gefehlt. Unter Verfassungsrechtlern ist umstritten, ob eine individuelle Kürzung des Kindergeldes möglich ist. In einem Gutachten für den Tagesspiegel kommt der Verwaltungsjurist Günter Witzsch zu dem Schluss, der Gesetzgeber könne einen Sanktionskatalog für Sozialleistungen wie das Kindergeld aufstellen. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages ist anderer Ansicht. Als Teil des Existenzminimums der Kinder dürfe das Kindergeld nicht gekürzt werden.

Deshalb will die Neuköllner Bundestagsabgeordnete Stefanie Vogelsang (CDU) das Problem Schulschwänzen über die Hartz-IV-Leistungen angehen. In Berlin seien 95 Prozent der betroffenen Familien Bezieher von Hartz IV. Denen könnten die Regelleistungen um 30 Prozent gekürzt werden. „Das ist verfassungskonform.“ Und laut Vogelsang wäre ein solches Vorgehen im Bundestag mehrheitsfähig. CDU-Fraktionschef Volker Kauder habe sich bei einem Besuch in Neukölln überzeugen lassen und das Thema auf die Agenda gesetzt. „Ich gehe davon aus, dass das in diesem Herbst geregelt ist.“

Lesen Sie auf der nächsten Seite das Pro & Contra

Pro

Die französische Nationalversammlung hat dieser Tage beschlossen, dauerhaftes Schulschwänzen durch Streichung des Kindergeldes als letztes Mittel zu sanktionieren. Auch die Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig, die wusste, wovon sie spricht, riet immer wieder, dieses Verhalten, das unbestritten als Einstiegsdroge zu Schlimmerem gilt, durch Einschnitte bei Kindergeld und anderen Sozialtransfers zu bestrafen.

In der Debatte in Deutschland hört man zwei Gegenargumente: 1., es treffe die Falschen, nämlich die Kinder, und 2., es sei verfassungsrechtlich nicht durchsetzbar. Gegen das erste Argument spricht, dass Kindergeld in aller Regel ein Bestandteil des Familieneinkommens ist und deshalb unmittelbar bei den Verantwortlichen, nämlich den Eltern, ansetzt. So soll es auch sein. Schwerer wiegt der zweite Einwand, der darauf hinausläuft, dass das Kindergeld das Existenzminimum der Kinder abdecke und mithin überhaupt nicht zur Disposition stehe.

Ob das die Gerichte im Streitfall auch so sehen, wäre auszuprobieren; eventuell führt der Weg über andere Transferleistungen, denn fast alle Eltern von Schulschwänzern leben von Hartz IV. So oder so ist aber klar, dass alle Eltern die Möglichkeit haben, diesen Schnitt zu verhindern, indem sie sich einfach um ihre Kinder kümmern. Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, dass allein die realistische, gesetzlich untermauerte Drohung ausreicht, um rasche Verbesserungen durchzusetzen. Bernd Matthies

Contra

In der Debatte um Sanktionen für Schulschwänzer ist es Zeit, eine Binsenweisheit in Erinnerung zu rufen, die man an jeder Baustelle auf den Betreten-Verboten-Schildern nachlesen kann: „Eltern haften für ihre Kinder“, steht dort. Und nicht etwa: „Kinder haften für ihre Eltern.“ In der jetzt wieder aufgeflammten Diskussion um Kindergeldkürzungen für Schwänzer hat man jedoch das Gefühl, dass hier die Kinder zumindest mittelbar dafür bestraft werden sollen, was ihre Eltern verbockt haben.

Wer danach ruft, Schulverweigerern das Kindergeld zu kürzen, täte damit nämlich nicht nur den Erziehungsberechtigten weh. Sondern auch ihrem Nachwuchs, für dessen Unterstützung das Kindergeld ja gedacht ist. Das trifft die Falschen. Denn wenn junge Menschen notorisch die Schule schwänzen, handelt es sich in den seltensten Fällen um voll für ihr Tun verantwortliche Übeltäter, die bestraft gehören. In der Regel ist Schulschwänzen ein Ausdruck von Hilflosigkeit und Not in der Familie. Schwänzer sind meist Menschen, die von ihren Eltern im Stich gelassen wurden.

Deswegen darf der Staat sich nicht an den Hilfen für Kinder vergreifen, um bei den Eltern die Schulmotivation zu erhöhen. Er muss mit Druck und mit Hilfsangeboten auf die Familien zugehen. Und bei harten Fällen, wenn Strafen wirklich die Ultima Ratio sind, muss es ausschließlich diejenigen treffen, die verantwortlich sind. Wer das ist? Das lesen sie an der nächsten Baustelle. Lars von Törne

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