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Schule: Mit Dampf durch alle Gassen

Mit der R 1200 ST hat BMW ein sportliches Gefährt auf die Beine gestellt

„Trenne nie ST“ besagte eine orthografische Regel vor Einführung der neuen Rechtschreibung. Trennen? BMW verbindet die beiden Konsonanten nun erst recht miteinander, in der R 1200 ST. Da steht „S“ für „Sport“, das „T“ für „Tourer“ – und die Neugierde ist groß, ob diese Mischung gelingt.

Schon beim Aufsitzen (die Sitzbankhöhe ist variabel: 810 oder 830 Millimeter) merkt man, dass das „S“ nicht nur alphabetisch vor dem „T“ kommt. Die Lage ist zwar noch nicht fötal. Aber (sich kräftig) vorbeugend sei erwähnt, dass die Körperhaltung des Fahrers der „S“-Form sehr nahe kommt – einem kleinen „s“, wohlgemerkt. Der Kniewinkel bleibt gerade noch erträglich und die Handgelenke müssen bauartspezifisch (das meint Mopped und Fahrer) einiges an Oberkörpermasse abfangen. So tourensportlich-bequem, wie es auf der RS zuging, kommt man hier nicht weg.

Dies als Vorgabe akzeptiert, wirkt die ST durchaus stimmig. Radstand (1502 Millimeter) und Reifen (120/70-ZR 17 vorn und 180/55-ZR 17 hinten) sind so bemessen, dass ein guter Geradeauslauf bei hohem Tempo (angegebene Höchstgeschwindigkeit 230 km/h) möglich ist, ohne an Wendigkeit einzubüßen. Man braucht die ST nicht in Kurven zu zwingen. Das Federbein des leicht veränderten Telelevers vorn tendiert programmgemäß ins Harte, hinten lassen sich Federvorspannung und Zugstufe des Dämpfers einstellen – für die Fahrt mit Sozius und Gepäck sind (wie bei allen großen BMW) nur wenige Justierungs-Handgriffe vonnöten.

110 PS bringt der Zweizylinder-Vierventilboxer bei 7500 Umdrehungen pro Minute. Wir erhielten von Torsten Althof (Firma Riller & Schnauck) ein nagelneues Gerät mit nur 42 Kilometern auf der Uhr, da hält man sich zurück. Das maximale Drehmoment von 115 Newtonmetern wird bei 6000/min erreicht, wir kamen beim Überholen versehentlich kurz auf 5000/min und stellten fest, dass schon dabei eine ausgezeichnete Durchzugskraft entsteht.

Der elektronisch geregelte Einspritzer (mit Doppelzündung und G-Kat) zieht ab 2000/min gleichmäßig und gutwillig heraus – bis auf die ganz leichten, durchaus erwünschten Flachtwin-Vibrationen fast schon so düsig wie ein Vierzylinder. 50 km/h lassen sich im dritten Gang mit 2400/min bummeln, 100 km/h im Sechsten bei 3000/min. Der Verbrauch verharrte bei ruhiger Fahrweise knapp unter 4,5 Liter pro 100 Kilometer, allerdings Superplus.

Das Getriebe wirkt geradezu untypisch für BMW – vorbei sind die Zeiten der Schaltkommentare von unten, des „Mit-der-Kupplung-Spielens“, damit der Erste an der Ampel tatsächlich hineinflutscht. A propos, Geräusche: Die Soundingenieure haben den richtigen Regler gefunden. Die ST klingt eigenwillig-knurrig, aber unaufdringlich leise.

Der Besuch auf der BMW-eigenen Wellnessfarm sorgte aber nicht nur für solche Verschönerungen, sondern auch fürs Abspecken. 225 Kilo bratfertig, das liegt im Trend der Neuen (GS und RT). Fürs Fahrpersonal bleiben ordentliche 235 Kilo bis zum erlaubten Maximum übrig.

Feine Ingenieursfinger spielten zudem an den Ankern. Die Bremskraftunterstützung muss nicht mehr jedes Mal beweisen, dass sie da ist, und an die Abregelgrenze des ABS gehen. Zartes Verzögern macht nämlich auch Spaß. Das BMW-Teilintegralsystem lässt beim Zug am Hebel rechts nicht nur die beiden vorderen Vierkolben-Festsattelzangen in die schwimmend gelagerten Scheiben beißen, auch die hintere Zweikolben-Schwimmsattelzange wird dabei automatisch mit 20 Prozent ihrer möglichen Negativbeschleunigung angesteuert.

Die Armaturen entsprechen gewohnt gutem Standard, beide Handhebel sind stufenlos auf die Fingerlänge einstellbar, die Kupplungskraft bleibt in angenehmen Grenzen. Die Spiegel wirken zunächst zwar sehr fipsig, sie gaben dann jedoch alles wieder, was im Rücken geschah. Haupt- und Seitenständer, Heizgriffe, Halterungen für die Normkoffer – alles dran, was wichtig ist.

Wobei Hauptständer, heiße Hände und ABS Teile des Zubehörpakets sind – das bestimmt in 999 Promille aller Bestellungen gleich mit geordert wird. Deshalb begnügen wir uns hier nicht mit der Angabe des Grundpreises von 12 500 Euro. Reisefertig mit Koffern und Topcase sind’s dann nämlich doch wieder knapp 15 000. Das ist viel Geld für zwei Räder – aber einem solchen Gesamtkunstwerk ist dieser Preis nicht unangemessen.

Gideon Heimann

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