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Nur das Beste für die Kinder. Aber was ist das? Einiges deutet darauf hin, dass rund 1000 Siebtklässler das Probejahr auf dem Gymnasium nicht schaffen werden.

© Doris S.-Klass

Nadelöhr Notenschnitt: Sollte ein Numerus Clausus für Gymnasien eingeführt werden?

Eltern überschätzen ihre Kinder, und die scheitern dann am Gymnasium. Sollte daher ein Numerus clausus eingeführt werden? Ein Pro & Contra.

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Noch sind es nur grobe Schätzungen, aber einiges deutet darauf hin, dass rund 1000 Siebtklässler das Probejahr auf dem Gymnasium nicht schaffen werden: Ihre Zwischenzeugnisse sind so miserabel ausgefallen, dass die Lehrer ihnen kaum noch eine Chance einräumen. Für die meisten der betroffenen Schüler bedeutet dies, dass sie das zweite Schulhalbjahr „absitzen“ werden, ohne zu wissen, an welcher Sekundarschule sie ab August unterkommen werden. Eltern und Schulleiter halten dies für ein Desaster – zumal in der schwierigen Lebensphase zu Beginn der Pubertät.

Angesichts dieser Ausgangslage ist die Diskussion um Zugangsbeschränkungen zum Gymnasium neu aufgeflammt, die gerade erst vor zwei Jahren geführt worden war. Damals hatte die Berliner Tradition gesiegt, die da lautet: Jeder darf es auf dem Gymnasium erst mal versuchen. Eine Änderung hatte es nur bei der Dauer der Probezeit auf dem Gymnasium gegeben: Sie war von einem halben auf ein Jahr verlängert worden.

Während der Landeselternausschuss am freien Zugang zum Gymnasium festhalten will, und auch die Bildungssenatorin von einer schärferen Regelung nichts wissen will, ist die Diskussion um eine Reform der Reform längst entbrannt. Überwiegend wird jetzt gefordert, den Grundschulnoten mehr Gewicht zu verleihen, was – etwas verkürzt – als „NC für Gymnasien“ diskutiert wird. Die CDU ist dafür und Teile der SPD auch.

Der Verband der Oberstudiendirektoren mit seinem Vorsitzenden Ralf Treptow schlägt vor, dass sich gute Schüler, die von der Grundschule eine glatte 2,0 mitbringen, ohne Weiteres einen Platz am Gymnasium sichern können. Alle anderen Schüler, die mindestens eine Durchschnittsnote von 2,7 erreicht haben, sollen „je nach der Verfügbarkeit und der pädagogischen Einzelentscheidung“ einen freien Gymnasialplatz bekommen können. Wenn die Erwartungen nicht erfüllt werden, soll das Kind nach einer Probezeit gehen müssen.

Die GEW-Schulleiter wollen die Probezeit abschaffen. Der Vorsitzende Paul Schuknecht plädiert aber – ähnlich wie Treptow – dafür, dass Schüler mit einer guten Zwei im Durchschnitt (1,9) automatisch an ein Gymnasium können. Alle anderen sollten einem möglichst objektiven Aufnahmetest unterzogen werden, den das Institut für Schulqualität entwickeln könnte.

Die Gymnasien betrachten die Diskussion unter sehr unterschiedlichen Voraussetzungen: Während die nachgefragten unter ihnen schon jetzt eigene – hohe – Zugangshürden aufstellen dürfen, nehmen weniger nachgefragte jeden Schüler auf. Und das hat zwei Gründe: Entweder verlangt der Bezirk, dass viel mehr Klassen aufgemacht werden, als von der Qualität her angeraten wäre, weil die Nachfrage so hoch ist. Oder die Schule nimmt freiwillig viele Ungeeignete auf, weil sie sonst mangels Schülern nicht überleben könnte. Eine hohe Eignungshürde könnte für diese Schulen das Aus bedeuten.

Nach Ansicht der Schulen führt also die übergroße Zahl überforderter Kinder dazu, dass auch potenziell geeignete Kinder das Probejahr kaum schaffen können. Denn die Mehrzahl der Gymnasien hat keine zusätzlichen Lehrer oder Sozialarbeiter, um eine Zusatzförderung organisieren zu können.

Ideal – darin sind sich alle einig – wäre es, wenn die Eltern von sich aus so einsichtig wären, schwächere Schüler gar nicht erst auf das Gymnasium zu geben. Dies hat sich allerdings im Laufe der Jahre als falsche Erwartung erwiesen, weshalb fast alle Bundesländer irgendeine Form der Zugangskontrolle eingebaut haben.

PRO

Wenn es darum geht, über die Zukunft der eigenen Kinder zu entscheiden, stehen die Eltern natürlich an erster Stelle. Das gilt auch für die schwierige Frage, welche schulische Karriere anzupeilen ist. Aber: Das Elternrecht, der freie Elternwille setzt voraus, dass Mutter und/oder Vater die hohe Verantwortung erkennen, die damit verbunden ist. Wer der Versuchung erliegt, unerfüllte Lebensträume auf die Tochter oder den Sohn zu projizieren oder die Meinung vertritt, dass nur das Gymnasium ein standesgemäßer Lernort ist, tut dem eigenen Sprössling keinen Gefallen. Denn zu versagen, ist auch für Kinder eine schlimme Erfahrung, die das Selbstbewusstsein und die Lebensfreude nachhaltig trübt. Das schulische Scheitern im Nachhinein zu reparieren, ist in jedem Fall schwieriger, als auf der Bildungskarriereleiter einen kleinen Schritt nach dem anderen zu machen. Spätestens seit das Abitur nach zwölf Jahren absolviert werden muss, sind die Gymnasien wenig beschauliche Leistungsmaschinen, die auf individuelle Schwächen von Schülern wenig Rücksicht nehmen. Die Idee, mit einer Art Numerus clausus oder anderen geeigneten Mitteln die Leistungsfähigkeit der Schüler realistisch abzuschätzen, hat deshalb mit Elitedenken nichts zu tun. Es ist kein Aussiebprogramm, sondern ein Schutzmechanismus. Ulrich Zawatka-Gerlach

CONTRA

Das Ziel ist klar: Jedes Kind soll auf die Schule gehen, auf der es seine Talente bestmöglich entfalten kann. Es soll gefordert, aber nicht überfordert werden. Doch wie ist dieses Ziel zu erreichen? Richtig ist sicher, dass Eltern bei der Beurteilung ihrer Kinder nicht objektiv sein können und dass ihre Einschätzung von deren Fähigkeiten zum Teil von Wunschdenken genährt wird. Da könnte ein Numerus clausus, der sich am Notendurchschnitt ausrichtet, etwas Objektivität hineinbringen. Andererseits sind auch Lehrer nicht objektiv. Es ist gut möglich, dass dasselbe Kind an einer anderen Grundschule einen ganz anderen Notenschnitt erreicht hätte. Und ebenso gut möglich ist es, dass ein Kind an einem Gymnasium scheitert, an einem anderen aber erfolgreich ist. Es spielen eben immer viele weiche Faktoren mit, vom Mobbing durch Mitschüler bis zum Verhältnis zum Lehrer. Auf dem Arbeitsmarkt hat man das längst erkannt; Firmen machen mittlerweile Eignungstests und erleben manche positive Überraschung mit Schülern, deren Zeugnisse nicht viel erwarten ließen. Zudem gibt es jetzt schon Gymnasien, die Zugangsbeschränkungen haben, da sie sehr stark nachgefragt sind, während andere jedes Kind nehmen, um nicht in ihrer Existenz als Schule bedroht zu sein. Ein NC für alle würde der Sache also nicht gerecht. Eine Patentlösung kann hier nicht angeboten werden – im NC liegt sie jedenfalls nicht. Fatina Keilani

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