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Rektorin Cordula Heckmann leitet die Neuköllner Rütli-Schule, an der kaum noch etwas an früher erinnert.

© Kitty Kleist-Heinrich

Neukölln: Rütli-Schule: Wie neu erfunden

Vor vier Jahren berichtete der Tagesspiegel erstmals über den Brandbrief des Kollegiums der Rütli-Schule. Seither hat sich viel getan.

Es gibt sie noch, die preußischen Relikte in den Räumen der Rütli-Schule: „Amtszimmer“ steht da etwa weiß auf schwarz. Auch das Klingelschild der früheren Heinrich-Heine-Oberschule hat überlebt. Cordula Heckmann, die Leiterin der Rütli-Schule, wundert sich darüber — und gleichzeitig amüsiert sie sich. Gemeinschaftsschule sind sie jetzt, künftig werden sie zum „Rütli-Campus“ gehören. Die Zeit rast – da kommt das alte Schulgebäude mit seinen 100 Jahren nicht ganz so schnell mit.

Am 30. März 2006 berichtete der Tagesspiegel zum ersten Mal über den „Brandbrief“ des Rütli-Kollegiums. „Türen werden eingetreten, Papierkörbe als Fußbälle missbraucht, Knallkörper gezündet und Bilderrahmen von den Flurwänden gerissen“, hieß es da etwa. Das Kollegium kapitulierte und bat um die Abschaffung der Hauptschule „zugunsten einer neuen Schulform mit gänzlich neuer Zusammensetzung“.

Die neue Schulform ist jetzt da. Die Schüler aber sind die alten: Es kommen vor allem Kinder aus arabischen und türkischen Elternhäusern der Umgebung. Bei der vorgezogenen Anmeldung für die Gemeinschaftsschule hatten von 61 Schülern nur fünf eine Gymnasialempfehlung – der Name Rütli hat bei vielen noch einen unangenehmen Beigeschmack. Dass Rütli inzwischen für eine Schule im Aufbruch steht, mit neuen Räumen, neuen Lehrern, der Schirmherrin Christina Rau und einer großen öffentlichen Aufmerksamkeit, hat sich bei vielen Einwandererfamilien noch nicht herumgesprochen.

„Ich will keine anderen Schüler“, sagt Cordula Heckmann, die mit ihrer offenen, selbstbewussten Art den neuen Rütli-Geist verkörpert. Sie ärgert sich ein wenig über den Eindruck, Rütli werde von allen Seiten zu einer privilegierten Bildungsanstalt hochgepäppelt: „Wir haben keine Lehrerstunde mehr als jede andere Schule auch.“

Allerdings gibt es mehr Projekte, die von außen kommen. Der Gebäudedienstleister Gegenbauer bietet Sommercamps für benachteiligte Schüler an, mit dem Maxim-Gorki-Theater wird zusammengearbeitet. Vier Schüler sind gerade auf London-Besuch, der vom British Council organisiert wurde. Eine Künstlerin baut mit Schülern „Cameras Obscuras“ als kreative Alternative zum Filmen mit den Handys, viele Wissenschaftler begleiten das Campus-Projekt. Es gibt das Projekt „Rütli Wear“ mit neuen Kollektionen. Aus der alten Hausmeisterwohnung wurde eine Bibliothek mit Lesecafé, in dem sich türkische Mütter zum Frühstück treffen. Senat und Bezirk spendierten Geld zum Renovieren des Gebäudes und zur Ausstattung mit Fachräumen.

Auch der Chemieraum wurde modernisiert – die Versorgungstechnik kommt nun aus der Decke. Der naturwissenschaftliche Unterricht ist für Mädchen und Jungen getrennt, auch das ist modern. Allerdings haben die 15-jährige Nada, die aus dem Libanon stammt, und die gleichaltrige Didem mit türkische Wurzeln eher konventionelle Berufsvorstellungen. Nada will Erzieherin werden, Didem Friseurin. Mit dem Unterricht an der Rütli-Schule sind beide ganz zufrieden.

82 Prozent der Schüler haben zuletzt den mittleren Schulabschluss bestanden, etwa die Hälfte bekam die Empfehlung für die gymnasiale Oberstufe. „Das war vorher deutlich schlechter“, sagt Heckmann. Pädagogikstudenten haben schwache Schüler auf den MSA-Test vorbereitet.

Die Rütli-Klassen haben durchschnittlich 25 Schüler, in den Kernfächern sind zwei Lehrer zugleich im Einsatz. Die ersten, zweiten, siebten und achten Klassen gehören bereits zur Gemeinschaftsschule, die anderen werden noch getrennt als Grund-, Haupt- oder Realschulklassen unterrichtet.

Von lernbehindert bis gymnasialempfohlen – die Rütli-Schule nimmt alle Kinder auf. 680 Schüler sind es zurzeit, aber die Zahl soll steigen. Das neue Gemeinschaftsschulkollegium umfasst 90 Lehrer, Erzieher und Sozialpädagogen. Weil mehr als 90 Prozent der Schüler nichtdeutscher Herkunft sind, versucht Heckmann, auch das Kollegium multikulturell aufzustellen. Kollegen aus der Ukraine, Slowenien, der Türkei und England sind schon dabei. Eric Denton etwa, Deutsch- und Englischlehrer, kommt aus den USA und freut sich über die gestalterische Freiheit, die er an der Rütli-Schule genießt. „Das hatte ich als College-Professor in den USA nicht“, sagt er.

In der alten Gymnastikhalle ist jetzt die Mensa mit zwei Kletterwänden untergebracht. Nach dem Essen können Schüler hier den Aufstieg proben – gesichert von der Sportlehrerein und einem Sozialpädagogen. Oben unterm Dach üben währenddessen die Rütli-Drummer. Musik gehört zum Profil der neuen Schule. Der 13-jährige Mohamad sagt, er sei stolz, hier mitzutrommeln. Einmal im Jahr steht sogar eine „Trommelfahrt“ nach Rheinsberg auf dem Programm.

Die Schüler, die auf den Gängen unterwegs sind, wirken gelassen und freundlich. Sie grüßen ihre Lehrer ganz selbstverständlich, Türen werden aufgehalten: „dankeschön“ – „gerne“. Eine Lehrerin, in Rütli-Diensten schon lange vor dem Brandbrief, kommt vorbei. Sie findet, der Umgang mit den Schülern sei schon immer ganz in Ordnung gewesen. Das Rütli-Beben vor vier Jahren habe jedoch eine mediale Eigendynamik erfahren, ein gewisses Abgleiten ins Unwirkliche. Die reale Wirkung – den modernen RütliCampus – kann sie nur gutheißen.

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