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Privatschulen: Bildung Marke Eigenbau

Rund 50 Schulen in Deutschland wurden von Firmen gegründet – die so ihren Standort stärken wollen.

In bunten Stricksocken stolziert die 15-jährige Esra lässig über den Flur. Wenn sie morgens um acht Uhr in die Schule kommt, zieht sie als Erstes ihre Schuhe aus. „Am Anfang kam mir das schon komisch vor“, sagt sie. Doch sie habe sich schnell daran gewöhnt. Schließlich soll man sich an der Freien Schule Anne-Sophie in Berlin-Zehlendorf wie zu Hause fühlen. Dabei hilft nicht nur das kleine Ankommritual.

Auch im Unterricht geht es eher familiär zu. Die Lehrer sind Lernbegleiter, die an Themen heranführen und Impulse geben. Klassenzimmer gibt es nicht. Dafür ein geräumiges Lernatelier mit Arbeitsplätzen, iPads und einer Bibliothek. Oder offene Lernlounges und Leseecken, wohin sich die Schüler zurückziehen und in gemütlicher Atmosphäre selbst den Stoff durchgehen. Denn sie sind eigentlich Lernpartner, die in kleinen altersgemischten Lernfamilien zusammen üben und sich gegenseitig unterstützen. „Das schweißt uns zusammen“, sagt Esra.

Dass hinter so viel Familiensinn ein großer Konzern steckt, ahnt man erst beim Blick auf die Ausstattung. Die Freie Schule Anne-Sophie wird von der WürthGruppe finanziert, die weltweit mit Montage- und Befestigungstechnik handelt. Träger ist die gemeinnützige Stiftung Würth. 100 bis 900 Euro pro Monat müssen Eltern je nach Einkommen an Schulgeld zahlen. Für etwa fünf Prozent der Schüler werden Stipendien zur Verfügung gestellt; die Kosten übernimmt die Stiftung. Voraussetzung ist ein Hartz-IV- Bescheid.

Bereits 2006 gründete Bettina Würth, die Tochter des Schraubenunternehmers Reinhold Würth, die erste Schule in Künzelsau, dem Firmensitz in Baden-Württemberg. Die Initiative geht auf einen Verkehrsunfall zurück, bei dem 1998 ihre damals neunjährige Tochter Anne-Sophie tödlich verunglückte. „Mit der neuen Schule sollte ein Ort entstehen, an dem kein Kind übersehen wird“, erklärt Stefan Großöhmigen, Vorstand der Würth-Stiftung.

Das Leuchtturmprojekt in Künzelsau habe so großen Zuspruch gefunden, dass man über einen weiteren Standort in der Hauptstadt nachdachte. Als sich dann Eltern einer Berliner Privatschule an die Stiftung wandten, war die Entscheidung endgültig gefallen. 2011 gab es den Startschuss, zunächst für die achte und neunte Klasse. Seit August 2012 läuft die Ganztagsschule nun im Vollbetrieb und bietet einen durchgängigen Bildungsweg von der Grundstufe über das Gymnasium bis zum Abitur an.

Die Würth-Gruppe ist nicht das einzige Unternehmen in Deutschland, das Privatschulen gründet. „Bundesweit sind etwa 50 Schulen von Firmen oder ihren Stiftungen initiiert worden“, schätzt Florian Becker, Sprecher des Verbands Deutscher Privatschulverbände (VDP). 2009 schenkte Volkswagen der Stadt Wolfsburg eine neue Ganztagsschule, die mit Internationalität und einem Technikschwerpunkt wirbt. In Dreieich bei Frankfurt am Main hat Hans Strothoff, Chef der Musterhaus-Küchen, seine Strothoff International School gebaut. Der Anspruch: Sie soll die beste im Land sein.

Und im September wird der Maschinenbauer Groz-Beckert die firmeneigene Grundschule mit bis zu 100 Plätzen in Albstadt einweihen. Damit will er seine Mitarbeiter stärker binden und neue Fachkräfte an den Standort locken. Den Schulbetrieb hat die Klett Gruppe übernommen. „Groz-Beckert ist ein Partner, der unsere pädagogischen Überzeugungen teilt. Das Schulgebäude ist großzügig. Die besten Voraussetzungen, um eine wirklich gute Schule zu machen“, sagt Philipp Haußmann, Vorstandssprecher der Ernst Klett AG.

Der Buchverlag baut sich seit einigen Jahren ein weiteres Standbein im privaten Schulsektor auf. In Stuttgart ist Klett im Schuljahr 2012/ 2013 mit der GalileoGrundschule gestartet, einem ganztägigen Angebot mit integrierter Kindertagesstätte. In Berlin gründete die Firma Anfang des Jahres gemeinsam mit dem Bildungsträger Klax die gemeinnützige Gesellschaft „Lebendig Lernen“. Diese ist jetzt Träger der beiden Klax-Schulen.

Die Gründe, warum Konzerne in den Bildungswettbewerb einsteigen und Millionenbeträge investieren, sind so unterschiedlich wie die Firmen selbst. Eines steht aber fest: „Eine Schule einzurichten, ist für ein Unternehmen ein gewaltiges Unterfangen“, sagt Haußmann. Dabei gehe es nicht allein ums Geld. „Die Unternehmen übernehmen die Verantwortung für Kinder und Jugendliche und begeben sich damit auf ein Feld, das ihnen fremd ist.“

Gerade dieser Aspekt sorgt neuerdings für Diskussionen. Die Organisation Lobbycontrol etwa kritisiert einen zunehmenden Einfluss von Unternehmen und Verbänden auf Schulen. Es gehe nicht um Bildung und Erkenntnis, sondern um Meinungsmache und Manipulation, heißt es. „Kinder und Jugendliche als Wähler und Konsumenten von morgen werden zum Ziel einer langfristigen und umfassenden Lobbystrategie“, sagt Felix Kamella von Lobbycontrol. In einem offenen Brief fordert die Organisation deshalb mehr Sensibilität im Umgang mit externen Materialien und Angeboten.

Trotz kritischer Stimmen vermutet Haußmann, dass immer mehr Unternehmen private und staatliche Schulen unterstützen werden, um die Bildungsqualität an ihrem Standort zu befördern. „Gerade bilinguale Schulen sind in Hinblick auf Mitarbeiter, die nur einige Jahre in Deutschland sind und deren Muttersprache nicht Deutsch ist, sehr attraktiv“, meint er. Mit dem Vorwurf der Einflussnahme kann Stefan Großöhmigen wenig anfangen. „Wir verfolgen keine Rekrutierungsabsichten.“ Die Schule sei kein operatives Geschäft von Würth. Im Vordergrund stehe das gemeinnützige Interesse.

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