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Profiradsport: „Die Tour de France macht keinen Spaß mehr“

Die Dopingmissbräuche der vergangenen Jahre haben das Ansehen des Profiradsports ruiniert. Die Liste gefälschter Siege reicht von Armstrong bis Ullrich. Die meisten Deutschen scheinen das Interesse an dem Sport weitgehend verloren zu haben – ganz anders die Franzosen.

Die Stimmung ist unglaublich, vergleichbar mit dem Fußballsommermärchen von 2006 in Deutschland. Eine riesige Werbekarawane fährt den Radprofis voraus und heizt die Stimmung der französischen Zuschauer ein. Bei ihrem Eintreffen in der Stadt Carmaux, dem Ziel der 10. Etappe der 98. Tour de France, werden die Radfahrer wie Helden gefeiert. In Berlin ist von der französischen Euphorie nichts zu spüren. Der Grund dafür ist traurig, doch in mancher Hinsicht leider wahr: „Die Tour de France macht keinen Spaß mehr“, sagt Ivan, 21, ehemaliger Radsportfan. „Als Teenager ging ich mit Freunden manchmal in eine Bar oder in eine Kneipe, um zusammen die Tour de France zu gucken. Das lohnt sich heute nicht mehr.“
Die Ursache dafür seien die in den letzten Jahren immer häufiger werdenden Dopingfälle und der darauf folgende Verlust an Glaubhaftigkeit dieses Wettrennens. Für die Deutschen war besonders der Dopingskandal „Fuentes“ im Jahr 2006 sehr enttäuschend, als eine spanische Behörde eine Liste mit 58 Dopingverdächtigen veröffentlichte. Denn unter ihnen befand sich auch der erste und bisher einzige deutsche Sieger der Tour de France, Jan Ullrich. Seine Karriere markiert bisher den Höhepunkt des deutschen Interesses am Radsport. Zwar wurden 2008 die Ermittlungen gegen Ullrich gegen Zahlung eingestellt, doch konnte die sichergestellte Blutprobe per DNA-Analyse sehr sicher dem Radprofi Jan Ullrich zugeordnet werden.
Auch die Dopingvorwürfe gegen den Amerikaner Lance Armstrong, der siebenmal in Folge als Sieger der Tour de France hervorging, erschütterten 2005 das Ansehen des Radsports. Armstrong wies jegliche Dopingvorwürfe zurück, doch beschuldigten ihn seine ehemaligen Teamkollegen von US Postal Floyd Landis und Tyler Hamilton in den Jahren 2010 und 2011 jahrelang gedopt zu haben – wie sie selbst. Dieses Jahr ist bisher nur die Dopingprobe des Russen Alexander Kolobnew positiv getestet worden. Den sieben besten des Jahres, Contador, den Brüdern Schleck, Evans, Basso, Sanchez und auch dem Träger des gelben Trikots Voeckler, konnte bisher kein Doping nachgewiesen werden.
Insgesamt ist das Wort „Dopingskandal“ wohl der am meisten mit der Tour de France verbundene Begriff. Kein Wunder, wenn man auf die letzten Jahre des Radrennsports zurückschaut und tatsächlich feststellen muss, dass seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stets Dopingaffären zu verzeichnen sind. Infolge dieser besonders die Sportwelt schockierenden Dopingvorfälle gingen 2007 die Maßnahmen der Fernsehsender ARD und ZDF sogar so weit,  Live-Übertragungen der Tour de France auf 30-60 Minuten am Tag zu reduzieren.
Viele Menschen in Berlin haben fast gänzlich das Interesse an der Tour der France verloren. Zwar weiß jeder etwas mit dem Begriff anzufangen, doch richtige Sympathie fehlt meist komplett. Früher war die Anteilnahme deutlich größer: „ Ich gucke die Tour de France seit den Dopingvorwürfen an Lance Armstrong nicht mehr, doch mein Mann schaut noch regelmäßig rein. Die Enttäuschung über unfaire Siegerleistungen ist einfach zu groß, um mich jetzt noch zu begeistern“, berichtet eine ältere Dame auf ihrem Weg nach Hause durch die Wilmersdorfer Straße.
Sogar die Mitarbeiter von Fahrradgeschäften interessieren sich kaum für das größte Fahrradrennen der Welt:
„Rennradsport ist sehr spezifisch, Rennradfahrer interessiert dieses Thema, den Rest der Welt weniger. Berlin ist rennradmäßig nicht ausgestattet“, meinen zwei junge Hilfskräfte des Fahrradladens Little John Bikes.
Auf Anfrage beim Rennradgeschäft Radkreuz in Kreuzberg kommt das erste positive Feedback des Tages. Das Interesse sei sowohl bei Geschäftsmitgliedern als auch bei Kunden so groß, dass beschlossen wurde, einen Fernseher im Laden aufzustellen, um rund um die Uhr über die Tour de France informiert zu bleiben.
Nicht nur die Profis bleiben optimistisch, auch die beiden 15-jährigen Schülerinnen Marie und Melanie meinen, dass die Tour de France eventuell mit mehr Werbung attraktiver für die Deutschen werden könnte.
Heutzutage geht es zwar in der Tat kaum noch um den Spaß, sondern eher um die Kommerzialisierung und Vermarktung des Fahrradsports, doch sollten wir uns etwas von der französischen Begeisterung  abschauen und eine über 100 Jahre alte Tradition angemessen zu würdigen lernen. Man sollte weiterhin an einen fairen Sportsgeists der Sportler glauben und diejenigen anspornen, denen es wirklich um den Spaß und Ehrgeiz beim Sport geht.

Dieser Text entstand im Rahmen der Tagesspiegel-Schülerakademie.

Mathilda Kropinski

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