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Schule: Ross-Kur

Bei den Motorrädern der Saison 2005 setzen die Hersteller vor allem auf Leistung – und High-Tech

Kräftiger, leichter, schneller, bisweilen auch „intelligenter“ – wer nach aktuellen Trends auf dem Motorradmarkt sucht, gerät schnell in einen immensen Leistungssog. Die PS-Sammelwut deutlich jenseits der 150er Marke, die schon 1998 mit Hondas 1100 XX und im Jahr darauf mit Suzukis 1200er Hayabusa begonnen hat, greift weiter um sich. Werden 190 Pferde gewünscht? Bitte sehr: Kawasakis Ninja ZX-12 R bringt sie in der Serie. Die kleine Schwester ZX-6 R holt aus 600 Kubikzentimeter Hubraum 130 PS. Selbst BMW spannt jetzt viele Rösser ein, 167 sind es in der neuen K 1200 S.

Es ist ein Kampf der Giganten. Hier möchte sich jeder Hersteller gern präsentieren, schon um zu beweisen, dass auch er die Technik beherrscht. Wen interessiert es da noch, dass der Normalfahrer beim Beschleunigen selbst unter optimalen Bedingungen allenfalls 70 bis 80 Pferde auf die Straße bringen kann? Die riesige Leistung spielt daher fast nur in der erreichbaren Endgeschwindigkeit eine Rolle.

Der Wettbewerb an der Leistungsspitze zeigt vor allem eines: Der Motorradmarkt ist hart umkämpft. Wachstumsraten wie in den 90er Jahren sind vorbei, in Zeiten schrumpfender Nachfrage werden kaum noch Einsteiger aufs Zweirad geholt, da muss man mehr Kunden von Konkurrenten abwerben. Und das geht eben nicht so einfach über den Preis.

Um sich von den anderen abzuheben, muss man also mehr tun. Und das ist schwer in einer Zeit, da fast alle Hersteller alle Bautypen anbieten – vom Supersportler über die Tourer zu den Groß- und Kleinenduros bis hin zu Choppern und Cruisern. Die Leistungssteigerung bei den sportlichen Modellen ist ein Weg, ein anderer besteht im Abspecken des Gewichts. Beides erhöht nicht nur das mögliche Spitzentempo, eine geschickte Gewichtsreduzierung kann auch das Handling und dadurch das Image verbessern.

Eine solche Wandlung versucht BMW gerade. Solide, aber behäbig, das war gestern, kraftvoll, leichter und flockig soll’s nun sein. Als Erste verlor die im Vorjahr eingeführte R 1200 GS rund 30 Kilo, jetzt sind – mit der R 1200 RT beginnend – die anderen Baureihen dran. So ein Schwenk stellt eine schwere Gratwanderung dar, denn man will ja die Stammkundschaft nicht verlieren, der die schiere Masse egal ist und knapp 100 PS auch ausreichen, solange die Solidität stimmt. Das Abnehmen darf also keinesfalls zur Anfälligkeit für Reparaturen führen.

Nun besaß BMW eine gewisse Vorrangposition in Sachen Technik. Das elektronische Motormanagement samt Kennfeldzündung, Einspritzung und G-Katalysator gab es bei diesem Hersteller früh in allen Mehrzylinder-Baureihen. Dieser Vorsprung schrumpft inzwischen deutlich. Denn die Zahl der Motorräder, die damit ausgestattet werden, wächst beständig. Anlass dafür sind zum

einen die etwas schärferen Umweltauflagen in vielen Ländern. Aber den Konstrukteuren kommt dieser (durchaus ja noch recht sanfte) Druck insgesamt gut zupass. Schließlich wollen sie aus den Motoren mehr Leistung zaubern, und das geht nur mit einer besseren Steuerung der Verbrennungsabläufe in den Zylindern.

Davon hat übrigens auch der „Normalfahrer“ etwas, dem die PS-Hatz ansonsten ziemlich egal ist. Denn die Elektronik wählt stets das aktuell erreichbare Verbrennungsoptimum – in der dünnen Luft einer Hochalpenstraße ebenso wie bei 35 Grad Schwüle im Tal dahinter. Sind Klopfsensoren eingebaut (wie jetzt bei den Weißblauen), schadet im Notfall noch nicht einmal der Umstieg auf miesen Sprit, nur dass eben ein paar Pferde zwischenzeitlich auf die Ruhekoppel ziehen.

Auch das Antiblockiersystem – von BMW vor über zehn Jahren in großem Stil eingeführt – erreicht nun sogar die Mittelklasse: Suzukis 650er Bandit soll von April an mit diesem Extra zu kaufen sein. BMWs fahren jetzt mit einem Bus, genauer: mit dem CAN-Bus (Controller Area Network). Diese Technik hielt Mitte der 80er Jahre im Autobau Einzug, anfangs nur fürs Motormanagement. Sie vernetzt Sensoren und Schalter so, dass im Prinzip übers ganze Fahrzeug nur eine Strom-Versorgungsleitung und eine Datenleitung verlegt werden müssen. Über die allen gemeinsame Datenleitung vermittelt jeder Sensor und jeder Schalter dem zentralen Rechner seine Informationen. Jedes der „Telegramme“ erhält einen speziellen Code gleich zu Beginn. Die Nachricht kann also nicht nur einem spezifischen Zustand an einer bestimmten Stelle zugeordnet werden, der Bordcomputer erkennt daran auch die Wichtigkeit der Information.

Da der Kabelbaum nun entsprechend schlanker ausfällt, konnten ein paar Kilo Gewicht und Material gespart werden. Für den Besitzer eines solchen Moppeds ändert sich am Fahrverhalten nichts, solange alles intakt bleibt. Gibt es jedoch Probleme mit dem Fahrzeug, soll der Fehler in der Werkstatt per Analysecomputer schneller zu finden sein. Bastler hingegen haben damit keine Chance mehr.

Gideon Heimann

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