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Schulbildung: „Es wird zu viel Druck gemacht“

Nina Hagen, Botschafterin der Arche-Grundschule, spricht mit uns über Freiheiten und Zwänge in der Erziehung.

Nina Hagen, 56, Punk-Rock-Röhre und Gospelsängerin („Personal Jesus“) steckt mitten in der heißen Produktionsphase für ihr neues Album. Für einen Auftritt verließ sie allerdings das Studio, denn seit kurzem ist sie Botschafterin der Arche-Grundschule in Hellersdorf: Zur Eröffnung des neuen Standorts Anfang September gab sie ein Konzert vor Kindern und Eltern. Bevor Nina Hagen in die Saiten griff, rief sie: „Ich freu’ mich so, wieder in die Schule gehen zu dürfen!“ Die Freude ist echt. Und Zeit für ein Schulhof-Gespräch hatte sie auch.

Frau Hagen, lassen Sie uns über Freiheiten und Zwänge in der Erziehung sprechen ...
Ich bin ja ein gebranntes Kind aus einem Regime, das sich Deutsche Demokratische Republik nannte. Und bei uns hatte der Staat eine Monopolmacht über die Bildung. Aber Bildung muss frei sein, das ist das Wichtigste.

Was bedeutet denn freie Bildung für Sie?
Na ja, dass es viele Formen der Erziehung geben darf. Dass es zum Bespiel Schulen in freier Trägerschaft gibt. Oder dass Eltern, die sich für Homeschooling entschieden haben, also ihre Kinder zu Hause unterrichten wollen, das dürfen – ohne gleich kriminalisiert zu werden. Natürlich müssten diese Eltern Zeugnis darüber ablegen, ob sie überhaupt in der Lage sind zu lehren. Das könnte ja der Staat überprüfen. Hören Sie mal, ich bin nicht umsonst aus der DDR abgehauen! Um mich wieder in einer unfreiheitlichen Hölle wiederzufinden, dafür bin ich nicht am Leben.

Für was setzen Sie sich als Schul-Botschafterin ein?
Es gibt viel zu viele Schulen auf der Welt und auch in Deutschland, wo Mobbing und Hass an der Tagesordnung sind, eine Tragödie! Wo zu viel Druck auf die Kinder ausgeübt wird und sie ihre Persönlichkeit gar nicht entwickeln können, weil sie zum Beispiel Angst vor schlechten Zensuren haben. Und ich habe mir auch sagen lassen, dass viele Schüler am Ende ihrer Schulzeit nicht gut lesen und schreiben können!

Ich bin nicht nur Schul-Botschafterin, ich bin auch Botschafterin für die Europäische Kulturhauptstadt Umea in Schweden 2014 geworden. Ich darf helfen, Künstler, Vordenker und Bildungsexperten aus aller Welt dorthin einzuladen. Als Botschafterin der Arche-Schule hole ich dann einfach ein paar Schweden hierher nach Berlin, damit es einen Austausch gibt. Ein Licht zündet das nächste an, Menschen inspirieren sich gegenseitig. Und außerdem habe ich mich schon mit der Chorleiterin der Schule angefreundet, und wir werden zusammenarbeiten.

Gibt es denn auch Zwänge, denen Lehrer und Eltern in der Erziehung ausgesetzt sind?
Es gibt viele Sachen im Imperialismus! Zum Beispiel haben Lobbyisten unsere Ernährungsindustrie vereinnahmt, so dass gar kein Durchblick mehr möglich ist. Wie gestrandete Paddelbootfahrer kämpfen wir dagegen an. Und Kinder müssen wir vor diesen Monopolisten schützen.

Der einzige Schutz davor ist Bildung?

Ich habe als Elfjährige jeden Abend für 55 Pfennig im zweiten Rang gesessen und habe mir den gesamten Bertolt Brecht angeguckt. Ach, von diesem Humanisten habe ich so viel gelernt! Auch für meine künstlerische Laufbahn als Liedermacherin.

Ist das ein Rezept: Sollten Eltern mit ihren Kindern mehr ins Theater gehen?
Ja, natürlich! Volle Kanne! Nicht immer nur diese unpolitischen Witzereißer im Fernsehen anschauen. Es gab natürlich schon auch gute, Loriot zum Beispiel. Aber diese Sexisten wie Mario Barth, die haben zu wenig Bildung gehabt und nutzen nicht ihr volles Hirnpotenzial, deshalb sind deren Witze ja so unter der Gürtellinie und wiederholen sich immer.

Was war Ihnen bei Ihren eigenen Kindern wichtig?
Meine Tochter und mein Sohn waren auf freien Schulen, auch auf privaten Schulen, auf Ibiza und in Los Angeles. Mein Sohn hat auch mal eine Waldorfschule in Berlin besucht. Dass es keinen Notendruck gab, hat ihm gefallen. Ich habe immer mit meinen Kindern gemeinsam überlegt, was gut für sie ist. Und man hört sich ja um und beratschlagt mit anderen Eltern: Was gibt es für Schulen in meiner Stadt?

Das Interview führte Anna Pataczek.

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