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In den Problembezirken war in den Vorjahren etwa jedem fünften Kind akuter Förderbedarf bescheinigt worden.

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Schule: Immer mehr Erstklässler müssen zum Psychiater

Der Ärztemangel im Gesundheitsdienst beeinträchtigt in diesem Jahr massiv den Schulbeginn einiger tausend Erstklässler. Die Berliner Amtsärzte warnen: Die unzureichende Förderung von Schulkindern führt zunehmend zu psychischen Auffälligkeiten.

Berlin - Die wenigsten Berliner Bezirke hätten die gesetzlich vorgeschriebenen Schuleingangsuntersuchungen so früh abgeschlossen, dass sie alle Problemkinder rechtzeitig erfassen und ihre Förderung veranlassen könnten. Darauf wiesen am Montag die Berliner Amtsärzte bei einer Anhörung im Abgeordnetenhaus hin. Die „unzureichenden Fördermöglichkeiten“ führten zunehmend zu psychischen Auffälligkeiten „bis hin zur stationären Aufnahme“.

Vor allem betroffen seien „Kinder der unteren sozialen Schicht“, die „besonders häufig entwicklungsverzögert“ und deshalb mit den schulischen Anforderungen ohnehin „weitgehend überfordert“ seien. Damit ihr Schulstart erfolgreich verlaufe, müssten sich die Schulen rechtzeitig auf diese besonderen Förderbedürfnisse einstellen können – mit zusätzlichem Personal und mit entsprechend zusammengesetzten Klassenverbänden. In diesem Jahr aber wüssten viele Schulen nicht, was auf sie zukomme. Zudem werde die Zeit knapp, um selbst so „simple Hilfen“ wie Brille und Hörgerät rechtzeitig vor dem ersten Schultag zu beschaffen, warnte Claudia Wein, die als Vertreterin der Berliner Amtsärzte dem Gesundheitsausschuss Auskunft gab.

Besonders angespannt ist die Lage in den Problembezirken, in denen die Hälfte der Kinder zur sozialen Unterschicht gerechnet werden. Ausgerechnet hier sind die Ärzte so knapp, dass sich die Einschulungsuntersuchungen zum Teil bis in den August ziehen. In den Vorjahren war hier etwa jedem fünften Kind akuter Förderbedarf bescheinigt worden.

„Rund 20 Prozent der Kinder sind gefährdet“, bestätigt Michael Aster, Chefarzt am DRK-Klinikum Westend. Wenn man sie nicht „massenhaft opfern“ wolle, müssten sich die Schulen genau auf ihre Bedürfnisse einstellen. Das aber gelinge offenbar nicht überall, und dann würden „die Kinder, die scheitern, schnell in die Kinder- und Jugendpsychiatrie überwiesen“. Wenn man die Kinder mit fünf Jahren einschule und gleichzeitig spezielle Förderklassen abschaffe, müsse man in den Grundschulen zu einer „anderen Kultur des Lernens kommen“, fordert Aster. Bedingung sei natürlich, dass die Schulen rechtzeitig über die Voraussetzungen der Kinder informiert seien.

Dass dies in diesem Jahr wegen der fehlenden Kinderärzte nicht gelinge, sei „skandalös“, kritisierte der bildungspolitische Sprecher der Berliner Grünen, Özcan Mutlu. Die SPD sprach von einem „unbefriedigenden Zustand“, die CDU von einer „dramatischen Lage“. Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linke) bestätigte, dass die Untersuchungen eine „zentrale Aufgabe“ seien. Die Impfkampagne im Zusammenhang mit der Schweinegrippe habe dazu beigetragen, dass die ärztlichen Kapazitäten nicht ausgereicht hätten. Zudem könnten viele Stellen nicht besetzt werden. Als Grund nannte Amtsärztin Wein die schlechte Bezahlung im öffentlichen Gesundheitsdienst. Die Konsequenzen hätten nun die Kinder zu tragen: „Sie tun mir leid“. Es könne passieren, dass Kinder erst nach der Einschulung erführen, dass sie zurückgestellt würden. Dann seien ihre Kitaplätze aber schon vergeben, mahnte Wein.

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