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Ist die Luft rein? Zum Lernen brauchen Schüler frischen Sauerstoff.

© dpa

Schulen in Berlin: CO2-Konzentration in Klassenzimmern oft zu hoch

Bei zu viel CO2 lernen Schüler schlechter. Das ist besonders bei sanierten Schulen oft ein Problem, zeigt eine Lageso-Studie. Wenn nur über die Fenster gelüftet wird, reicht das meist nicht. Doch moderne Lüftungsanlagen werden bisher selten eingebaut.

In der Redewendung von den rauchenden Köpfen steckt einige Wahrheit – leider. Wenn mehr als 20 Schüler mit ihrem Lehrer in einem Klassenraum sitzen, gibt das unvermeidlich dicke Luft. Das gilt umso mehr für sanierte und neu gebaute Schulgebäude, deren Fenster dicht schließen. Dort reichert sich ausgeatmetes Kohlendioxid (CO2) an – und zwar so stark, dass es selbst bei regelmäßig geöffneten Fenstern ungesunde Konzentrationen erreicht. Die Misere ist gut dokumentiert und wäre zu beheben. Wird sie aber nur in wenigen Fällen.

Gemeinsam mit dem Landeslabor Berlin-Brandenburg und dem Bayerischen Landesamt für Gesundheit hat das Berliner Lageso um das Jahr 2014 in der kalten Jahreszeit die Luftqualität in 22 energetisch sanierten Klassenräumen untersucht. Zwölf davon wurden auch nach der Sanierung nur über die Fenster belüftet, zehn maschinell. Ergebnis nach 445 ausgewerteten Unterrichtsstunden: In maschinell belüfteten Räumen war die Luft wesentlich besser. Im Mittel wurde dort eine Konzentration von 1000 ppm (parts per million, also CO2-Teile pro Million Luftteilchen) gemessen. Die gelten als Obergrenze für gesunde, hygienisch unbedenkliche Luft. In den fensterbelüfteten Räumen dagegen fanden 82 Prozent des Unterrichts oberhalb dieser Konzentration statt, sieben Prozent sogar im „hygienisch inakzeptablen“ Bereich von mehr als 2000 ppm – und das, obwohl während der Messtage besonders gewissenhaft in allen Pausen gelüftet wurde.

Kohlendioxid-Konzentration ein Indiz für andere Schadstoffe

Dabei gilt die CO2-Konzentration als Indiz auch für andere Luftschadstoffe: In der Lageso-Studie ist von „signifikanten Korrelationen“ zwischen CO2- und Feinstaubkonzentration die Rede. Im Gefolge des Staubs steigt wiederum die Konzentration von Schimmelpilzen und Krankheitserregern in der Luft. Außerdem sank in den fensterbelüfteten Räumen die Temperatur teils auf 18 Grad, während es in denen mit Technik nicht kälter als 21 Grad wurde. Als optimal zum Stillsitzen und Lernen gelten 23 Grad. Zugespitzt formuliert enthält die Luft in sanierten, schlecht belüfteten Klassenzimmern also Zutaten, die krank machen. Menschen mit robuster Gesundheit kommen mit Konzentrationsproblemen, Müdigkeit und Kopfschmerzen davon. In einer dänischen Studie wurde der Zusammenhang zwischen Luftqualität von Klassenzimmern und Leistungsfähigkeit klar nachgewiesen: Bei schlechter Luft lernen Schüler langsamer, insgesamt etwa 15 Prozent weniger, und Lehrer sind öfter krank.

Vielleicht lag es am Veröffentlichungstermin in den Sommerferien 2016, dass die Lageso-Studie öffentlich kaum beachtet wurde. Denn in Verbindung mit ihrer Vorgeschichte hat sie das Zeug zum Skandal: Im September 2014 hatte die Stadtentwicklungsverwaltung einen „Leitfaden zur Raumluftkonditionierung in Schulen bei Neubau und Sanierung“ herausgegeben, der die Grenze von 1000 ppm fordert und die Notwendigkeit maschineller Lüftung klarstellt, da die Einhaltung mit Fensterlüftung allein „vor allem in der Heizperiode nicht sichergestellt werden kann“. Die Mehrkosten für Lüftungstechnik würden „allein aufgrund der möglichen Wärmerückgewinnung“ wieder hereingeholt – denn die Fenster in sanierten Gebäuden sollen ja dicht sein und nicht ständig geöffnet werden, damit die Wärme nicht zum Fenster herausgeblasen wird.

Die Baubehörde kassiert das Rundschreiben wieder ein

Im Februar 2015, also nach fünf Monaten, kassierte die Baubehörde das Rundschreiben wieder ein – in Abstimmung mit der Bildungsverwaltung, mit der „einfache und preiswerte Lösungen mit geringem technischen Aufwand“ geprüft werden sollten, sowie „aufgrund fehlender finanzieller Absicherung“, wie es in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen heißt.

„Wir haben damals dagegen protestiert“, sagt Detlef Kadler, im Lageso für umweltbezogenen Gesundheitsschutz zuständig. „Ich kann doch nicht mäßige Luft in Kauf nehmen, um Kosten zu sparen.“ Er betont, dass im Lageso keine Technikfanatiker säßen, sondern die Fakten klar für die Technik sprächen. „Das sind auch keine Keimschleudern mehr wie frühere Klimaanlagen.“ Notwendig sei nur ein solides Gesamtpaket aus Planung, Abnahme und Wartung, an dem es allzu oft hapere, zumal die Hausmeister knapp und oft nicht entsprechend geschult seien. Oft hänge es vom guten Willen des bezirklichen Hochbauamtes ab, ob sanierte Schulen eine zeitgemäße Lüftung bekämen. Einen stadtweiten Überblick hat auch die Senatsbauverwaltung nicht. Die antwortet auf eine Frage nach der Gültigkeit der Richtlinie ausweichend und teilt ansonsten mit, dass jedes Projekt einer individuellen Planung bedarf, bei der die Energieeinsparverordnung ebenso zu berücksichtigen sei wie Arbeitsschutzvorschriften.

Schülern bleibt oft nur der Blick auf die CO2-Ampel

Letztere könnten zumindest den Lehrern die Chance geben, ihr Recht auf einwandfreie Luft am Arbeitsplatz durchzusetzen „Wenn wir feststellen, dass etwas neu gebaut ist und nicht der Arbeitsstättenverordnung entspricht, könnten wir dagegen vorgehen“, sagt Dieter Haase vom Gesamtpersonalrat. Er hoffe, dass es künftig eine bessere Beteiligung gebe.

Nuri Kiefer von der Lehrergewerkschaft GEW bezeichnet die Luftproblematik als „leider ein Randthema, das vielfach von der Verwaltung und den Schulämtern heruntergespielt wird“. Zumal in manchen Schulen noch nicht mal Stoßlüftung möglich sei, weil sich die Fenster aus Sicherheitsgründen nur kippen lassen. Und alle Beteiligten sagen, dass die Schüler als Hauptbetroffene in diesem Fall überhaupt keine Lobby hätten. In den neuen Modulbauten bleibt ihnen oft nur der Blick auf die kleine CO2-Ampel an der Wand, die meistens rot leuchtet, was heißt: Fenster auf, Müffel-Alarm.

Sowohl die Personalvertreter als auch Lageso-Experte Kadler hoffen, dass mit dem absehbaren Schulneubau- und Sanierungsboom das Lüftungsproblem konsequent angegangen wird. Das hat laut Kadler auch mit Blick auf den Klimawandel Sinn. Denn in maschinell belüfteten Gebäuden wird es in Sommernächten deutlich kühler als in denen, in denen nachmittags der Letzte die Hitze einsperrt, wenn er geht.

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