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Schule: Sehnsucht nach dem Happy End

Das Theater Strahl spielt seit mehr als 20 Jahren für Jugendliche. Am Mittwoch hat ein neues interaktives Stück Premiere

Lea hat die Schule geschwänzt, und noch dazu wurde sie beim Klauen erwischt. Trotz Stubenarrests schleicht sie sich nachts aus der Wohnung. Matze, in den Lea verliebt ist, will nämlich mit ein paar Freunden einen S-Bahnzug besprühen – und Lea steht Schmiere. Plötzlich kommt die Polizei. Die Sprayer laufen weg, nur Lea wird mit auf die Wache genommen.

So weit ist die Geschichte klar. Wie es danach weitergeht, liegt allerdings ganz in den Händen von rund 120 Jugendlichen, die meisten zwischen 13 und 18 Jahren, die zu einer morgendlichen Vorstellung des Schöneberger Jugendtheaters Strahl gekommen sind. Das Stück um Lea heißt „Das zweite Mal“, es geht um Graffiti, Freundschaft, Verliebtheit und Vertrauen – und die Zuschauer sind aufgefordert, die Geschichte weiterzuentwickeln. „Vorgefertigte Lösungen liefern wir unserem Publikum hier nicht“, sagt Lilo Rössler vom Theater Strahl. Am Mittwoch hat neues interaktives Stück Premiere: Bei „Spaß“ geht es um Mobbing in der Schule.

Die Mittel, mit denen die Improvisationsstücke des Theaters Strahl arbeiten, sind einfach. Bei „Das zweite Mal“ markieren drei rote Holzklötze, je nachdem, wie sie aufgebaut sind, unterschiedliche Spielorte: Leas Zimmer etwa, die Küche in ihrem Elternhaus oder die Schule. Das Publikum sitzt nicht vor der Bühne, sondern in vier Blöcken um sie herum. So können die Hauptfiguren – Lea, ihre Eltern und Matze – immer wieder mit ihren Gruppen diskutieren, wie die Geschichte für die jeweilige Figur weitergehen soll. „Ich finde es gut, dass wir nicht nur zuschauen, sondern auch mitmachen können“, sagt die 13-jährige Linda vom Falkenberger Barnim-Gymnasium.

Als das Stück entwickelt wurde, „ gab es Befürchtungen, die Jugendlichen könnten nicht mitarbeiten“, sagt Lilo Rössler. Dass diese Bedenken unbegründet waren, zeigt sich während der Vorstellung schnell: Gleich zu Beginn wird Leas wütender Vater vom Publikum ausgebuht. Auch als sich die Schauspieler nach den ersten zwanzig Minuten des Stücks zur Beratung mit den Schülern zurückziehen, wird hitzig diskutiert: „Auf keinen Fall darfst du die anderen verraten!“, wird Lea aus dem Publikum ermahnt. Die Jugendlichen einigen sich darauf, dass Lea ihren Eltern erklären soll, warum sie in der Nacht beim Sprühen dabei war – die Namen der anderen aber nicht nennt.

Das Theater Strahl, das vor mehr als 20 Jahren gegründet wurde, ist eines von nur wenigen reinen Jugendtheatern der Stadt. Die Stücke sind insbesondere für Jugendliche ab 13 Jahren, jährlich werden rund 150 Vorstellungen vor etwa 20 000 jungen Zuschauern in Berlin gespielt. „Unsere Besucher sind häufig Erstbesucher“, sagt Lilo Rössler. „Unser Ziel ist also zunächst, dass sie Theater überhaupt einmal kennenlernen.“ Immer geht es dabei um Perspektiven, Ängste und Wünsche der jungen Generation – die Stoffe werden gemeinsam mit dem Publikum entwickelt. „Wir schauen in öffentlichen Proben, ob die Stücke funktionieren und ob sie mit der Lebenswelt der Jugendlichen zu tun haben“, sagt Lilo Rössler. Auch klassische Stücke wie etwa „Romeo und Julia“ werden in die Welt von heute übersetzt.

Einige Stücke sind dabei interaktiv, für andere kommt das Ensemble auch mal in die Klasse: Für den „Essotiger“ etwa, in dem es um Übergewicht und Magersucht geht. Auch theaterpädagogische Begleitangebote fehlen nicht: Beim Stück „Akte R“ etwa, das in der Stasiopfer-Gedenkstätte in Hohenschönhausen gespielt wird, können anschließend Führungen mit Zeitzeugen gebucht werden. Im Anschluss an die Stücke können die Jugendlichen oft mit den Schauspielern über ihre Arbeit sprechen.

Dazu müssen sie das Stück aber manchmal erst zu Ende bringen – wie bei „Das zweite Mal“. „Die Jugendlichen merken schnell, dass es nicht so einfach ist, alle Vorstellungen der Figuren unter einen Hut zu bringen“, sagt Lilo Rössler. So gab es schon die unterschiedlichsten Lösungsvorschläge für die Probleme Leas und ihrer Eltern: Mal sollte Lea der Polizei erzählen, wer sonst noch dabei war, mal sollten Lea und Matze von zu Hause weglaufen. „Den meisten Jugendlichen ist ein Happy End wichtig“, sagt Lilo Rössler. Auch heute einigen sich die Schüler: Lea fährt mit ihrer Familie in Urlaub, um sich auszusprechen und mal wieder etwas zusammen zu unternehmen. Und einen Kuss für Matze gibt es auch, den das Publikum mit einem langen „Ooooohhh!“ begleitet.

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