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Von Schülern umringt. Anita Reimann (l.) und Charlotte Stephans.

© Sara Schurmann

Seniorinnen auf dem Campus Rütli: Der Besuch der alten Damen

Zwei Berliner Seniorinnen treffen Grundschüler auf dem Campus Rütli – und lassen sich ausfragen.

Seit 80 Jahren war Anita Reimann nicht mehr in einer Schule. Jetzt, an einem Dienstag im Oktober, sitzt die 95-Jährige in einem Klassenraum auf dem Campus Rütli in Neukölln. 20 Jungen und Mädchen zwischen zehn und 14 Jahren begrüßen sie und die 83-jährige Charlotte Stephans mit einem kräftigen „Guten Morgen“. Organisiert hat die Begegnung der Verein Freunde alter Menschen e.V. am ersten Oktober, dem „Internationalen Tag der älteren Menschen“, um auf das Thema Einsamkeit im Alter aufmerksam zu machen und für eine altenfreundlichere Gesellschaft zu werben. „Ihr habt es gut“, sagt Reimann. „Ihr geht zur Schule, eure Eltern gehen arbeiten – wir Alten sitzen allein zu Hause.“

Ob die beiden Frauen früher gute Noten hatten, will die 12-jährige Marwa wissen, und muss die Frage wiederholen. „Ihr müsst laut sprechen, sonst verstehe ich euch nicht“, erklärt Reimann. „Wie süß“, flüstert ein Mädchen. Ob sie einen Lieblingssport hatten, welche Technik es damals gab, ob sie in der Schule geärgert wurden – die Fragen prasseln nur so auf die Seniorinnen ein. Sie erzählen von ihren Eltern, Spielen mit Freunden und ihrer Schulzeit. Reimann ist waschechte Berlinerin und Einzelkind, Schläge hat es in ihrer Kindheit nie gegeben. Stephans ist in der Nähe von Chemnitz aufgewachsen, hat einen jüngeren Bruder und bekam schon mal eine Tracht Prügel.

"Stellt euch vor, ihr kommt aus der Schule und euer Haus ist weg"

Ob die Frauen mal etwas Schlimmes erlebt haben, will ein Junge wissen. „Ich habe den Krieg erlebt, das ist wohl das Schlimmste, was ein Mensch durchmachen kann“, sagt Reimann. Bei Kriegsbeginn war sie 20 Jahre alt, als ihre Tochter zwei ist, wird ihre Wohnung durch eine Bombe zerstört. „Wir hatten nichts mehr, nur noch das, was wir anhatten. Das müsst ihr euch mal vorstellen, ihr kommt aus der Schule und das Haus, in dem ihr wohnt, ist weg.“ Deswegen könne sie ablehnende Reaktionen gegenüber Flüchtlingen heute nicht verstehen. „Denen geht es so wie uns damals.“

„Hatten Sie jüdische Freunde, die gestorben sind wegen der Nazis?“, fragt Martin, 13. Reimann erinnert sich an eine Klassenkameradin, die nach England ausgewandert ist. Eine andere habe sie nach dem Krieg wiedergetroffen. „Sie hat im Reichsluftfahrtministerium gearbeitet, mittendrin, den ganzen Krieg über.“

Nun sind die Kinder mit dem Antworten dran: Wo leben eure Großeltern? Und habt ihr oft Kontakt zu ihnen, wollen die Rentnerinnen wissen. Viele Omas und Opas leben im Libanon, der Türkei, Syrien, Kosovo oder Marokko, die Kinder sehen sie nur ein paarmal im Jahr. Auch deswegen hat Lehrerin Katja Strauch die Begegnung organisiert. „Kontakt zu Älteren ist wichtig, er vermittelt den Kindern ein ganz anderes Bild und schafft Verständnis.“ Sara Schurmann

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