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Theater: Ganz schnell gealtert

Kreuzberger Elftklässler überzeugten im Maxim-Gorki-Theater mit einem Stück über Krankheit und Pflege.

Die Enkelin ist in Panik: Der Opa ist weg. Sie hatte ihn nur kurz vor H & M stehen lassen und ihm gesagt, er solle auf sie warten. Glücklicherweise spielte sich dieser Vorfall nicht in der Berliner Innenstadt, sondern auf der Bühne des Maxim-Gorki-Theaters ab.

Die Szene ist ein Teil des Theaterstücks „Ich habe noch nichts gegessen“, mit dem Elftklässler der Kreuzberger Carl-von-Ossietzky-Gesamtschule am Schülertheaterwettbewerb „Saison! Theater ums Alter“ teilnahmen. Die Schüler waren aufgerufen, sich in Form eines halbstündigen Theaterstücks mit dem Thema „Alter und Pflege“ auseinanderzusetzen: 46 Schulen aus dem ganzen Bundesgebiet sandten Beiträge ein, davon nur einer aus Berlin. Am Samstagabend wurden die sechs Stücke, die in die Endauswahl gelangten, im Maxim- Gorki-Theater uraufgeführt. Die Aufführung war gleichzeitig die Endausscheidung des vom Bundesgesundheitsministerium ausgeschriebenen Wettbewerbs, bei der eine Jury die drei Gewinner auswählen und küren wollte.

Die neun Kreuzberger Schüler, allesamt mit Migrationshintergrund, näherten sich dem Thema mit viel Humor. Sie spielten eine Szene, die sich so oder ähnlich wirklich abgespielt haben könnte: In einer Familie pflegt die Mutter den demenzkranken Großvater zu Hause. Der Ehemann kümmert sich hauptsächlich um seine Arbeit, die drei Kinder gehen ihrem eigenen Leben nach. Der eine Sohn ist ein fleißiger Schüler, dessen Hauptinteresse der Mathematik gilt, während seine Schwester an Shopping mit ihren Freundinnen denkt und der Bruder – Typ cooler Macho – mit seinen Freunden rumhängt. Das Leben der Familie gerät kurzzeitig durcheinander, als die Mutter eine Wochenendreise für zwei Personen nach Paris gewinnt. Die Freude über den unverhofften Gewinn weicht schnell der Frage, wer in der Zeit den Großvater pflegen soll. Die Reise droht zu scheitern, denn die Mutter will den alten Mann nicht alleine lassen. Doch dann kommen die Kinder mit einem Angebot: Sie übernehmen die Pflege des Großvaters.

Die Schüler aus Kreuzberg hätten sich das Stück selbst ausgedacht, erzählte die Leiterin des Kurses Darstellendes Spiel, Gabriele Kremkow. Die Grundidee sei gewesen, sich dem Thema humorvoll zu näher. Deshalb habe man auch mit Absicht eine deutsche Familie gewählt, um den Kontrast zum Migrationshintergrund der Schüler zu nutzen. Viel Hilfestellung habe sie nicht leisten müssen, sagte Kremkow, da bei den beteiligten Schülern schon großer Respekt für das Alter vorhanden gewesen sei – gerade durch den Migrationshintergrund, betonte sie. Nur zwei Schüler hätten schon länger Theater gespielt, die anderen hätten erst im vergangenen Herbst damit begonnen.

Bei der Vorführung am Samstag sagte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt, Ziel des Wettbewerbs sei gewesen zu sehen, wie junge Menschen zum Alter stehen. Zeykep Tapan, eine der Schülerinnen, erzählt, sie habe die Ministerin extra darauf hingewiesen, dass die Schule in Kreuzberg liege: „Damit mal klar wird, dass auch Gutes aus Kreuzberg kommt.“ Sonst würden nur negative Dinge auf die Jugendlichen aus der Gegend projiziert, sagte die 17-Jährige verärgert.

Die sechs Finalisten griffen die gestellte Thematik sehr unterschiedlich auf. Von episodisch gespielten Altersheimvisionen über eine Adaption der „Verwandlung“ von Kafka bis hin zu einer düsteren Zukunftsvision, die entfernt an „Schöne neue Welt“ von Aldous Huxley und Orwells „1984“ erinnerte.

Die Jury unter dem Vorsitz von Schauspieler Günter Lamprecht entschied erst nach der Vorstellung, welche Beiträge einen der drei Preise erhielten: Der erste Preis ging an die Schüler des Gymnasiums am Wall aus Verden an der Aller. Die Jury entschied sich überraschend, zwei zweite Preise zu vergeben: an das Ulmer Gymnasium St. Hildegard und das Immanuel-Kant-Gymnasium aus Leinfelden-Echterdingen bei Stuttgart. Die Kreuzberger durften den dritten Preis mit nach Hause nehmen. Deniz Max Habryka, der in dem Stück den Großvater spielte, war wie alle anderen beteiligten Schüler mit dem Ergebnis zufrieden. „Wir hatten nicht damit gerechnet, überhaupt was zu gewinnen.“ Der 17-Jährige hatte sich für seine Rolle im Internet über Alzheimer und Parkinson informiert. „Man kann das ja googeln.“

Der Großvater taucht am Ende wieder heil auf. Eine Frau hatte den hilflosen Mann vor dem Bekleidungsgeschäft gefunden, ihm in einem Lokal etwas zu essen gekauft und dann nach Hause gebracht. Die Enkelin hatte ihm zum Glück einen Zettel mit der Adresse um den Hals gehängt – für alle Fälle. Als die Eltern von ihrem Wochenendtrip nach Hause kommen, ist alles wieder in bester Ordnung.

Florian Ernst

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