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Auf der Bühne sind die Kinder konzentriert - und sie haben sichtlich Spaß.

© Kai-Uwe Heinrich

Theatercamp: Den Worten eine Bühne

Im Jugendzentrum „Pumpe“ haben 24 Kinder mit Sprachschwierigkeiten zwei Wochen lang Theater gespielt – und viel gelernt. Im Mittelpunkt des Sprach- und Theatercamps stand Paul Maars Kinderbuchklassiker „Lippels Traum“.

Als das Publikum nicht aufhört zu rascheln und zu tuscheln, wird Ela ungeduldig. „Wir verlieren nur Zeit“, sagt die Neunjährige und schüttelt missbilligend den Kopf. Sie und ihre Mitspieler warten auf der Bühne, bis sich die Unruhe gelegt hat, dann geht die Probe weiter. Es ist die erste Szene, die die gesamte Gruppe des Feriencamps gemeinsam auf der Bühne probt. Acht Tage lang haben sie zuvor in Kleingruppen ihre Version von „Lippels Traum“ entwickelt, des Kinderbuchklassikers von Paul Maar. Und dabei neben dem Theaterspielen ihr Deutsch verbessert.

Ela und Reyhan hören den Erklärungen konzentriert zu.
Ela und Reyhan hören den Erklärungen konzentriert zu.

© Kai-Uwe Heinrich

Ela ist eine der 24 Teilnehmer des Sprach- und Theatercamps im Jugendzentrum „Pumpe“ in Tiergarten, das am Freitag mit der Aufführung des Stücks zu Ende gegangen ist und sich an Viert- und Fünftklässler vor allem aus Einwandererfamilien und andere Kinder mit Sprachschwierigkeiten gerichtet hat. Seit fünf Jahren gibt es in Berlin Sommercamps für Kinder, die Deutsch als Zweitsprache gelernt haben, finanziert von der Mercator-Stiftung und der Senatsbildungsverwaltung. Die Sommercamps, die sowohl in der „Pumpe“ stattfinden als auch in der Kreuzberger „Gelben Villa“, kombinieren Sprachunterricht mit Theater-, Musik- oder Tanzprojekten. Die Kinder kommen auf Vorschlag von Lehrern oder Eltern; für sie ist die Teilnahme gratis – bis auf zehn Euro für das tägliche Mittagessen während des Camps.

Wie die meisten Kinder hat auch Ela Deutsch als Zweitsprache gelernt. Während der Aufwärmübung am Morgen wirkt die Neunjährige noch schüchtern, verlegen lehnt sie an einem Tisch am Rand des Kreises, den die Gruppe gebildet hat, und macht nur halbherzig mit. Doch sobald die Probe beginnt, ist Ela eine derjenigen, die den Ton angeben. Ihren Text spricht sie fast fehlerlos. Wenn sie einen Witz macht, hat sie die Lacher auf ihrer Seite.

„Es ist toll, was man von den Kindern zurückbekommt“, sagt Birgit Oelschläger. Die 46-Jährige ist Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache und Theaterpädagogin, von ihr stammt das Konzept für das zehntägige Sprach- und Theatercamp. Oelschläger war im Sommer 2004 am Jacobs-Sommercamp in Bremen beteiligt, das unter Bildungsforschern als Muster gelungener Sommercamps gilt. Die Kinder erhielten damals drei Wochen lang Sprachunterricht nach dem Konzept der TU-Professorin Heidi Rösch, Theaterworkshops und Freizeitangebote, wissenschaftlich wurde das Camp vom Berliner Max-Planck-Institut begleitet. Das Ergebnis: Die Sprachkenntnisse der Kinder verbesserten sich deutlich – allerdings hatte Theaterspielen ohne Sprachunterricht nur einen geringen Effekt.

„Ich wollte den Sprachunterricht enger mit der Theaterarbeit verbinden“, sagt Oelschläger. Sie sei überzeugt, dass die Kinder dabei noch mehr lernen können. So haben die Theaterpädagogen und Mercator-Sprachförderlehrerinnen im Camp eng kooperiert. Der Tagesablauf war klar strukturiert. Vormittags fand die kreative Arbeit statt – unter Leitung der Theaterpädagogen, unterstützt von den Mercator-Lehrerinnen: Ein Kapitel aus „Lippels Traum“ wurde vorgelesen oder erzählt, die Kinder bastelten und malten dazu, hörten die CD zum Buch und entwickelten Szenen zur Geschichte. „Die Kinder hingen uns an den Lippen, wenn wir vorgelesen oder erzählt haben“, sagt Aniko Klostermann, eine der drei Mercator-Förderlehrerinnen. „Ich glaube, das macht den Kindern richtig Lust aufs Lesen.“ Kaum ein Kind im Camp habe vorher das Buch gekannt, sagt Birgit Oelschläger. „Die Motivation zum Lesen, die Beschäftigung mit dem Buch – das ist unser größter Erfolg.“ Am Ende des Camps bekam jedes Kind ein Buch geschenkt.

Theaterpädagoge Florian Oberle erklärt eine Szene.
Theaterpädagoge Florian Oberle erklärt eine Szene.

© Kai-Uwe Heinrich

„Lippels Traum“ erzählt vom zehnjährigen Lippel, der von seinen Eltern wegen einer Geschäftsreise allein gelassen wird. Als Trost schenken ihm die Eltern die Märchen aus Tausendundeiner Nacht – aber das böse neue Kindermädchen nimmt ihm das Buch schon am ersten Abend weg. Also träumt sich Lippel die Märchen herbei, Nacht für Nacht.

Über die Geschichte ließen sich die Kinder auch nachmittags motivieren: zum sogenannten Stationenlernen, bei dem jedes Kind das Pensum in seinem eigenen Tempo lernen kann. Es lief unter der Leitung der Sprachförderlehrerinnen ab, die Theaterpädagogen halfen währenddessen bei der Betreuung der Kinder. Es gab eine Vielzahl von Aufgaben, welche die Kinder bearbeiteten: zum Beispiel einen Text schreiben, eine CD anhören und Fragen zum Gehörten beantworten sowie Aufgaben zum Textverständnis. Alle Aufgaben bezogen sich auf „Lippels Traum“. Zu allem hätten sich die Kinder leicht motivieren lassen, sagt Birgit Oelschläger. „Denn wir haben ja alles für das Stück gebraucht.“ An den letzten beiden Tagen wurde es spannend: Es wurde geprobt, zunächst in zwei Gruppen, dann kamen alle auf der Bühne zusammen.

„Schafft ihr es, 15 Minuten konzentriert zu arbeiten?“, fragt Theaterpädagoge Florian Oberle. Es wird mucksmäuschenstill, zaghafte Ja-Stimmen sind zu hören. Jetzt gibt jeder alles. Die neunjährige Julia spielt Lippel, sie liegt auf einer Decke – sie schläft und träumt. Bis sie erwacht von den Fragen, die, gerufen von ihren Mitspielern, auf sie einprasseln: „Wie heißt die Prinzessin?“ „Warum magst Du keine Tomatensoße?“ „Wohin hat der König Asslam verbannt?“ Julia alias Lippel räkelt sich, schaut verdutzt – und schreit, so laut, dass sich die Zuschauer die Ohren zuhalten müssen.

Hinter dem Vorhang warten Kitty (links) und Reyhan auf ihren Einsatz.
Hinter dem Vorhang warten Kitty (links) und Reyhan auf ihren Einsatz.

© Kai-Uwe Heinrich

Nach der Pause werden die Requisiten gebracht, für die erste Kostümprobe. Ela soll eine dicke schwarze Hornbrille aufsetzen – so eine, die Erwachsene schick finden. Ela schaut skeptisch, schiebt die Brille auf die Nase, grinst in die Runde, deutet mit beiden Zeigefingern auf ihr Gesicht. „Und das soll gut aussehen?“ fragt sie lachend. Und alle lachen mit.

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