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Schule: Überhol! Mich! Jetzt!

Die Vorderleute peilen in den Rückspiegel, halten sich hart rechts, manche blinken dabei. Das kann nur eins bedeuten: Die Brandenburger wollen den Wiesmann in ganzer Schönheit sehen

Das ist das Auto, für das Ihre Nachbarn Sie hassen werden. Der SPD-Ortsverein wird ein Parteiausschlussverfahren einleiten, der Kirchenchor einen neuen Tenor suchen, und die Verwandten werden Ihren Namen leugnen, noch bevor der Auspuff dreimal grollt. „Der Wonderbra für den Mann“ hat der Autovermieter Sixt mal über das große Benz-Coupé gescherzt. Bitte sehr: Das Ding hier hat doch eine ganz andere Körbchengröße. Allerdings könnte es sein, dass Sie das mit Ihrem Tankstellenbesitzer ganz allein feiern müssen.

So. Das war das notwendige Kapitel über die Risiken und Nebenwirkungen des Wiesmann GT. Wechseln wir hingegen den Blickpunkt und lassen uns tief nach unten in die knapp geschnittenen Lederschalen sinken, ist all das nur noch der ferne Neid jener, die es nicht besser wissen können. Der Schriftzug „Wiesmann Start“ ringelt sich um einen kleinen Stahlknopf, fast schon geschwätzig im Rahmen des sonst so wortkargen Armaturenbretts. Wir holen tief Luft und drücken. Eine kleine Millischaltsekunde geht vorüber, dann passiert etwas, für das wir hier besser eine Audio-CD beilegen sollten. Ein fauchendes Brummgrunzen? Ein donnerndes Flüstertosen? Wummerndes Heulbrüllen?

Fenster auf! Aha. Die Vögel sind von den Bäumen gefallen, die Mark Brandenburg schweigt wie die Savanne, wenn der Löwe frühstücken will, es kann also losgehen. Der BMW-Achtzylinder mit 4,8 Litern Hubraum und 367 PS, der selbst den schweren 750i vorwärts schubst wie Ronaldinho den Fußball – er spielt mit diesem Fliegengewicht hier Tischtennis. Vorn reißt irgendetwas, hinten donnert eine Art Wärmegewitter, das Differenzial heult wollüstig, man kuppelt und schaltet eher reflexhaft, weicht den Bäumen aus, die von allen Seiten heranfegen wie Harry Potters peitschende Weide, und ahnt: Wäre das ein Airbus, würde er gerade abheben.

Ein Wort der Beruhigung an unsere Verkehrserzieher: So schlimm ist das in Wirklichkeit nicht. Wer das Coupé der Dülmener Manufaktur bewegt, macht eine erstaunliche Entdeckung: Es verführt nicht zum Rasen. Der Motorsound und die fein herbe, streng auf Straßenkontakt gezüchtete Federung vermitteln einen besseren Eindruck der Geschwindigkeit als jede mittlere Familienkutsche. Wer sich in den Dörfern Brandenburgs auf das gefühlte Tempo verlässt statt auf den Tacho, der hat bald eine Karawane genervter Opel-Fahrer hinter sich. Ist der Ort aber zu Ende und die Straße frei, passiert etwas Merkwürdiges: Die Vorderleute peilen in den Rückspiegel, halten sich hart rechts, blinken womöglich. Das kann nur eins heißen: Überhol! Mich! Jetzt!

Bitte sehr. Der Gang fluppt rein, als hätte die Schaltung nur drauf gewartet, kreisch, vorbei, da kommt der polnische Grenzpfahl, oder war es schon Weißrussland? Besser jetzt die Maschinenpistolen ausfahren. . . Ach so, das ist ja nicht die James-Bond-Ausführung. Passen würde das Auto dazu nicht schlecht.

Als Friedmann und Martin Wiesmann vor zwölf Jahren beschlossen, sich selbst den puristischen Roadster zu bauen, den sie auf dem Markt nicht fanden, sah das wie die Spinnerei zweier Motorfreaks aus. Doch inzwischen fahren 500 Wiesmanns durch die Welt, und der erst auf der IAA vorgestellte geschlossene GT existiert ebenfalls schon in zehn Exemplaren. Entwicklungsziel in beiden Fällen: Eine perfekt gebaute zweisitzige Fahrmaschine, die nichts von all dem mit sich herumschleppt, was die üblichen Sportwagen dick und fett macht. Deshalb sind die Alurahmen nach Motorsportmuster konstruiert, deshalb muss der Eigner die Spiegel per Hand richten, und Airbags gibt es nicht; beim GT sind sie noch in der Entwicklung, in den Roadster passen sie sowieso nicht. Fensterheber und Klimaanlage im GT sind praktisch die einzigen Zugeständnisse an übliche Komforterwartungen, Sitzheizung gibt es auf Wunsch ebenfalls.

Das Becker-Radio bleibt mit seinem Plastikrahmen sogar ein Fremdkörper inmitten all der sorgsam polierten Chromringe – der ernsthafte Wiesmann-Pilot wird sich von solchen Geräten ohnehin nicht den Spaß am Motorhören verderben lassen, sondern allenfalls die Navigationsfunktion nutzen. Der firmeneigene Sattler – 64 Leute insgesamt arbeiten gegenwärtig bei Wiesmann – hat mächtig geschuftet, sogar die Bedienhebel am Lenkrad sind akkurat mit Leder überzogen und vermitteln das Landedelmanngefühl, das in den Plastikkabinetten der Serienautos einfach nicht mehr aufkommen mag.

Noch puristischer ist zweifellos der Roadster, ein Auto, das unweigerlich den Wunsch nach kalbsledernen Handschuhen, Tweedsakko und stramm sitzender Mütze provoziert. Unter der langen Motorhaube brummeln ebenfalls BMW-Motoren, zwei Sechszylinder mit 231 und 343 PS. Zumindest der stärkere der beiden, er stammt aus der M-Serie, weckt das Tier im Besitzer noch effektiver als der GT, weil er giftig nach Drehzahl giert, gern auch nach mehr Drehzahl. Irgendwo bei 8000 macht die Elektronik dicht, aber bis dahin ist Achterbahn angesagt, vorzugsweise über die sequenzielle Schaltung, die im Automatikmodus arbeiten kann, aber nach Formel-Eins-Vorbild gern Befehle über zwei Paddel am Lenker entgegennimmt. Wer sich mit diesem Auto nicht daneben benimmt, der sollte seine Reflexe prüfen lassen; besonders ungezogen sind die rülpsenden Gasstöße, die beim Herunterschalten die Passanten durchschütteln. „Ich war das nicht!“, ruft ihnen das soziale Gewissen des Fahrers zu, „das war die Automatik!“ Aber da ist das Urteil am Straßenrand längst gefällt. Scharfe Kiste! Sehr teuer?

Es fängt bei 91000 Euro für den Roadster an, der GT ist ab 111000 zu haben, und da ist noch viel Platz für Sonderausstattungen. Viel Geld für einen Zweitwagen – und Martin Sureck von Riller & Schnauck in Lichterfelde, dem Exklusivhändler für Ostdeutschland, zerstört jegliche Hoffnung auf Schnäppchenrabatte. Immerhin ist bei Lieferzeiten zwischen sechs und zwölf Monaten noch etwas Zeit zum Sparen. Und der Beitrag für Partei und Kirchenchor entfällt dann ja auch.

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