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Schule: Vernunft-Pause

Yamahas neuer Sportcruiser lässt das Herz des Fahrers mitsamt seinem Körper hüpfen

Yamahas MT-01 wird die Medizinlandschaft verändern: Schönheitschirurgen werden noch mehr zu tun bekommen – irgendwie müssen die Fahrer dieses Motorrads anschließend doch das glückliche Grinsen wieder aus dem Gesicht bekommen. Knapp 1700 Kubik in zwei Zylindern, das verursacht schon bei Leerlaufdrehzahl einen Schmetterbums, der das Herz mitsamt dem restlichen Körper hüpfen lässt. Ja sicher, die MT ist ein „unvernünftiges“ Motorrad, aber eines, das dem dafür anfälligen Patienten zeigt, wie schön Unvernunft sein kann.

Hier setzt man sich nicht drauf, sondern hinein. Ziemlich maßgeschneidert für den leicht sportlichen Tourenfahrer fühlen sich Sitzbank (Höhe laut Herstellerangabe 825 Millimeter), Griffe und Fußrasten an. Keine Frage: Die MT ist ein Solomopped, mit der Lizenz zum Sozius. Der wird sich darauf allerdings fast verknoten müssen. Wie auch immer, selber fahren macht Spaß. Insofern spricht auch niemand von einem zulässigen Gesamtgewicht, leer bratfertig sind’s gut fünf Zentner, das reicht als Info.

Auf einen Gepäckträger am Heck wurde ehrlicherweise verzichtet, damit könnte man sich ohnehin nur die Frühstücksbrötchen aufwärmen: Die beiden fetten Auspufftöpfe zielen genau in die Richtung, in der ein solcher Halter Platz fände. Was dort fehlt, ist nur das Schild „Bitte fünf Meter Abstand halten“, denn die Abgasmenge (dank Elektronik, G-Kat und Doppelzündung sauber) wäre durchaus in der Lage, einen schwächlichen Fußgänger umzupusten.

150 Newtonmeter Durchzugskraft entwickelt der Motor bei 3750 Umdrehungen pro Minute, knapp über Standgas reicht’s quasi immer, sagt Bernard Velten, Steglitzer Yamaha-Händler, bei der Übergabe des Probefahrt-Moppeds. Und genau diese Gewissheit des Überflusses vermittelt eine Souveränität, die zum langsamen, genussvollen Fahren einlädt. Wer nach Geräusch statt nach Tacho dahin rollt, brummelt im dritten Gang bei 1600/min um die 50 km/h, bei 100 haben wir im Fünften gar nicht mehr auf den dicken Drehzahlmesser geguckt. Wozu auch? Bei 150 km/h waren es um die 3500/min, oder so.

Fahrtwindgekühlt ist der V-Twin, die Ventile werden per Stößelstangen und Kipphebel betätigt, wie anno dunnemals. Aber wer braucht schon all die Elemente des modernen Motorenbaus, wenn die rote Marke bereits bei 5500/min kommt? Und selbst dorthin gelangt man nie freiwillig.

PS? Höchstgeschwindigkeit? Ja, hat die MT auch. Sollen um die 90 Pferde sein, aus denen sich 210 km/h holen lassen. Das macht mit der unverkleideten Maschine aber niemand gern für längere Zeit. Erstaunlich ist allerdings, dass der schmale Plastikstreifen über dem Frontscheinwerfer den Fahrtwind so gut ableitet, dass 140 km/h durchaus noch erträglich zu fahren sind.

Aber sie ist für die Landstrasse gebaut, für die gute. Auf der Hoppelstrecke zwischen Potsdam und Caputh, am Templiner See entlang, versuchte sie sich als Känguru. Dabei wären nur ein paar Handgriffe nötig gewesen, die Dämpfung des unter dem Rahmen waagerecht liegenden Zentralfederbeins sowie der Upside-down-Gabelholme auch auf diese Aufgabe einzustellen. Nur wozu?

Na, vielleicht um die Handlichkeit des Bikes selbst in diesen Kurven zu genießen. Zwar trägt die MT am Heck eine 190er Breitschlappe (genauer: 190/50 – ZR 17, vorn: 120/70 – ZR 17), auch der Radstand ist mit 1525 Millimetern nicht gerade gering bemessen, dennoch bleibt sie agil genug für jeden Kurvenschwung.

Über den Motor ist wenig verbal zu vermitteln, den muss man einfach ausprobieren. Der Verbrauch liegt bei gut fünf Litern Normalbenzin auf 100 Kilometer, im Tank warten 15 Liter davon auf den zündenden Funken. Das Getriebe kommt mit fünf Gängen aus – drei hätten es wohl auch getan. Schalten ist kein Geheimnis, das entsprechende satte Klacken gehört einfach dazu. Ans Heck wird die Kraft mit Hilfe einer mächtigen Kette geleitet.

Die Bremsen sind gut dosierbar, zwei Vierkolben-Festsattelzangen vorn und eine Zweikolben-Schwimmsattelzange hinten schaffen beste Verzögerungswerte. Die Armaturen sind in Ordnung, nur die serienmäßigen Spiegel gehören wirklich auf den Schrott. Ein Rundinstrument reicht für alles, für den analogen Drehzahlmesser und den digitalen Tacho, der sehr gut ablesbar ist. Schade, dass sie nur über einen Seitenständer verfügt.

Über die Optik der MT-01 wird bestimmt gestritten werden, so futuristisch, wie sie aussieht. Das Wichtige aber ist der Motor, und der dürfte über alle Quengeleien erhaben sein. Insofern ist sie jeden ihrer 13 300 Euro wert. Man probiere es nur mal selber aus und stelle fest, wie viel Genuss möglich ist, wenn die Vernunft mal Pause macht.

Gideon Heimann

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