zum Hauptinhalt
Kostenlose Arbeitshefte dank Lernmittelfreiheit? Darüber gehen die Meinungen an den Schulen auseinander.

© imago/Sven Simon

Welche Rechte Schüler haben: Nicht ohne meinen Anwalt

Von Smartphone wegnehmen bis Nachsitzen: Das Buch „Was Lehrer nicht dürfen“ klärt Schülerfragen.

Schulpflicht ist oberste Schülerpflicht und nicht die einzige. Aber Schüler haben auch Rechte. Das kann sich wohl jeder irgendwie denken, aber welche Rechte genau das sind, ist schon weniger klar. Wer einen Streit mit dem Lehrer oder gleich der ganzen Schule vor Gericht bringen will, hat in der Regel entweder eine Rechtsschutzversicherung oder viel Geld. Und was ist mit den anderen, die vielleicht sogar die Mehrheit sind, weil „wo Kinder sind, Geld meist knapp ist“, wie Rolf Tarneden sagt? Für die gibt es jetzt ein kleines Büchlein, in dem Tarneden, der in Hannover Anwalt für Schulrecht ist, auf Fragen antwortet, die ihm zwei Schüler gestellt haben.

In seinem Arbeitsalltag hat Tarneden es vor allem mit Notenanfechtungen, Beschwerden gegen die Beurteilung des Sozial- und Arbeitsverhaltens und Protesten gegen ausgebliebene Gymnasialempfehlungen zu tun. Die beiden Schüler hatten da ganz andere Fragen. Das Schwierigste an den Antworten sei gewesen, nicht in die Anwaltssprache zu verfallen, sagt Tarneden, sondern ganz unakademisch zu formulieren – und trotzdem juristisch korrekt zu bleiben.

Hier kommt ein Auszug aus dem schulischen Paragrafendschungel:

Ist ein allgemeines Handyverbot an Schulen rechtmäßig?

Nein. Erlaubt ist aber eine Regelung, wonach Handys im Unterricht oder auf dem Schulgelände ausgeschaltet sein müssen. Diese Regelung leuchtet ein, da Kinder während der Schulzeit telefonisch nicht erreichbar sein müssen. Zudem muss auch sichergestellt sein, dass in Klassenarbeiten das Handy nicht als Spickzettel benutzt wird.

Muss ein Lehrer mein Handy ersetzen, wenn er es kaputtmacht?

Beispiel: Der Lehrer nimmt einem Schüler, der im Unterricht telefoniert hat, das Handy weg. Anschließend fällt es ihm versehentlich vom Pult und geht kaputt.

In solchen Fällen muss entweder der Lehrer selbst oder sein Arbeitgeber (in der Regel das jeweilige Bundesland) den Schaden bezahlen. Im vorliegenden Fall wird der Lehrer freilich den Ersatz selbst leisten müssen.

Dahinter steht eine einfache Regel: Der Lehrer muss zahlen, wenn es um Gegenstände geht, die die Schüler aus eigenem Interesse mitbringen (wie zum Beispiel Smartphones). Der Arbeitgeber des Lehrers zahlt dagegen, wenn es um Gegenstände geht, die die Schüler mitbringen sollen (zum Beispiel Schulranzen und Schulbücher). Denn dann bestehen besondere Pflichten vonseiten der Schule.

Darf der Lehrer mein Smartphone länger als 24 Stunden einziehen?

Im Normalfall nicht. Smartphones und auch klassische Handys sind in der Schule generell zulässig. Ihre Benutzung im Unterricht ist in aller Regel aber untersagt. Wenn ein Schüler das Gerät den- noch im Unterricht nutzt, darf der Lehrer das Gerät einziehen. Der Lehrer muss das Smartphone aber zurückgeben, im Normalfall am Ende des Unterrichts oder Schultages. Die Schule darf das Gerät nicht mehrere Tage einbehalten.

Darf ein Lehrer mich ohne triftigen Grund nachsitzen lassen?

Nein. Grundlos nachsitzen lassen ist unzulässig. Nachsitzen anzuordnen ist aber möglich, wenn es dafür Gründe gibt. Als Faustformel gilt: Nachsitzen ist zulässig, wenn der Schüler gegen Pflichten verstoßen hat. Beispiel: Ein Schüler hat im Unterricht mit dem Smartphone gespielt und seine Aufgabe nicht bearbeitet. Im Nachsitzen kann angeordnet werden, dass er diese Aufgabe nacharbeitet. Nachsitzen ist unzulässig, wenn es als Strafe eingesetzt wird. Beispiel: Ein Schüler hat einen Mitschüler geschlagen, als Strafe soll er zwei Stunden nachsitzen.

Darf ein Lehrer mir als Strafarbeit aufgeben, dass ich denselben Satz hundertmal abschreiben muss?

Nein. Grund: Diese Maßnahme bestraft. Sie erzieht nicht. Erlaubt ist es nur umgekehrt, das heißt, die Maßnahme darf erziehen, aber nicht bestrafen. Pädagogische Maßnahmen müssen das Ziel haben, das Verhalten des Schülers positiv zu beeinflussen.

Darf ich die Jacke im Unterricht anbehalten?

Darf ein Lehrer mich beleidigen, piesacken oder mobben?

Nein. Beleidigungen, Mobbing oder Piesacken sind in der Schule nicht erlaubt. Hintergrund: Seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind in der Schule nicht erlaubt (Paragraf 1631 BGB). Selbst wenn ein Schüler viel stört und der Lehrer davon genervt ist, darf der Lehrer den Schüler nicht beleidigen. Tut der Lehrer es doch, so hat er eine Straftat begangen. Nach dem Strafgesetz ist eine Beleidigung strafbar (Paragraf 185 StGB). Der Schüler kann bei der Polizei Strafanzeige erstatten. Bei einer Beleidigung droht nach dem Gesetz eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr. Einem Lehrer drohen dann aber auch berufliche Konsequenzen.

Darf mir der Lehrer die Teilnahme am Klassenausflug verweigern?

In aller Regel dürfen alle Schüler einer Klasse beim Ausflug dabei sein. Das ist auch wichtig. Denn solche Ausflüge stärken die Klassengemeinschaft. Zudem kann ein Schüler in eine Außenseiterrolle geraten, wenn er nicht teilnehmen darf. Der Lehrer muss sich aber sicher sein, dass die Schüler seine Anweisungen befolgen. Denn er ist dafür verantwortlich, dass alle Schüler wieder gesund zurückkommen. Daher darf der Lehrer einen Schüler vom Klassenausflug ausschließen, wenn er befürchtet, dass der Schüler Probleme bereiten wird. Es müssen aber von dem Schüler bereits schwere Verstöße begangen worden sein.

Beendet der Lehrer oder das Klingeln den Unterricht?

Grundsätzlich gilt: Der Lehrer, nicht der Schulgong beendet den Unterricht.

Muss der Lehrer nach einem Unfall im Sportunterricht Schmerzensgeld zahlen?

Beispiel: Im Sportunterricht der 8. Klasse lässt der Sportlehrer eine schwierige Übung am Reck turnen. Schüler Emil, der schwergewichtig und unsportlich ist, stürzt bei der Übung auf den Kopf. Emil meint anschließend, die Übung sei zu schwer für ihn gewesen. Er will wissen, ob der Sportlehrer ihm deswegen Schmerzensgeld zahlen muss.

Ja, Emil kann hier Schmerzensgeld verlangen. Der Sportlehrer musste damit rechnen, dass Emil sich verletzt, denn die Übung war schwer und der Schüler unsportlich. Die Übungen im Sportunterricht müssen so ausgeführt werden, dass die Gefahr für die Schüler so niedrig wie möglich gehalten wird. Dabei muss auf die Fähigkeiten der einzelnen Schüler Rücksicht genommen werden.

Darf mir der Lehrer verbieten, in der Pause das Schulgelände zu verlassen?

In den Schulordnungen und Schulgesetzen ist geregelt, dass Schüler in den Jahrgängen 1 bis 10 das Schulgelände in einem bestimmten Zeitrahmen nicht selbstständig verlassen dürfen, und zwar weder während des Unterrichts noch während der Pausen.

Darf ich im Unterricht meine Jacke anbehalten?

Ein Schüler sitzt im Unterricht mit einer langen auffälligen Jacke. Der Lehrer bittet ihn, die Jacke auszuziehen. Der Schüler will die Jacke aber anbehalten. Er meint, es gebe ja keine Schuluniform. Der Lehrer besteht jedoch darauf, dass draußen eine Garderobe sei und der Schüler die Jacke dort aufhängen könne.

Das Tragen von Jacken im Unterricht ist immer wieder ein Streitpunkt. Als Grundregel gilt: Der Lehrer kann Anordnungen treffen, wenn der Unterricht gestört wird. Aber wird der Unterricht gestört, wenn der Schüler seine Jacke anbehält? Manche Lehrer meinen ja, denn die Arbeitsatmosphäre sei dadurch gestört.

Wenn aber die Jacke angeblich die Arbeitsatmosphäre stört, ist dem entgegenzuhalten, dass es in Deutschland keine Schuluniform gibt. Wenn man in auffälliger Kleidung eine Störung des Unterrichts sieht, hätte man eine Schuluniform einführen können. Dann würden alle Schüler die gleiche Kleidung tragen und eine Jacke würde nicht stören, weil sie nicht auffällt. Deutschland hat sich aber (anders als zum Beispiel England) gegen eine Schuluniform entschieden.

Fazit: Es gibt hier kein Richtig oder Falsch. Für beide Sichtweisen gibt es gute Gründe. Die Schule sollte die Frage in der Schulordnung regeln.

Darf ein Lehrer mir verbieten, auf die Toilette zu gehen, wenn ich muss?

Schüler dürfen bei einem dringenden menschlichen Bedürfnis die Toilette aufsuchen. Rechtlicher Hintergrund: Artikel 1 des Grundgesetzes (GG) garantiert die Menschenwürde. Gemeint ist damit, dass alle Menschen menschenwürdig behandelt werden. Zu einer menschenwürdigen Behandlung zählt es, einen Toilettengang zu ermöglichen, wenn es nötig ist. Wenn ein Lehrer einen Toilettengang verweigert, kann dies strafrechtliche Konsequenzen haben. Zu denken ist dabei an Körperverletzung im Amt (Paragraf 340 StGB) und Misshandlung von Schutzbefohlenen (Paragraf 171 StG B). Körperverletzung (Paragraf 223 StG B) ist jede üble Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden mehr als nur unerheblich beeinträchtigt.

Habe ich das Recht, Auskunft über meinen aktuellen Notenstand zu bekommen?

Ja. Ein Schüler muss wissen, wie seine Leistung bewertet wird.

Darf ich mit einem roten Stift schreiben?

Nur dann, wenn es der Lehrer erlaubt. Rot ist meist die Korrekturfarbe.

Weitere Artikel zum Thema Schule finden Sie unter www.tagesspiegel.de/berlin/schule.

Mehr über das Buch

Die Idee zu dem Buch stammt aus dem Jahr 2015, als die beiden Schüler Dallan Sam und Fernando Rode aus Celle und St. Augustin via Facebook andere Schüler aufriefen, ihnen die Fragen zum Thema Schülerrechte zu mailen. Tausende gingen in kürzester Zeit ein, aus denen die beiden Jungs die wichtigsten herausfilterten und sich auf die Suche nach Antworten machten.

Rolf Tarneden haben sie auch gefragt, und der hat gerade mal einen halben Tag darüber nachgedacht, dann sagte er zu.

Zunächst veröffentlichten die drei das Büchlein im Selbstverlag, und die beiden Schüler promoteten es via Internet, was bereits zu zwei Auflagen führte. Dann wurde der Ullstein-Verlag auf das Projekt aufmerksam.

Schulrecht ist zwar Ländersache, aber Tarneden sagt, er habe darauf geachtet, Fragen auszuwählen, die in allen Bundesländern gleich behandelt werden. Der 42-Jährige ist Vater von vier Kindern, die alle bereits zur Schule gehen. Deshalb überlegte er zunächst kurz, ob er sich ein Pseudonym zulegen sollte. Nicht, dass seine Kinder von ihren Lehrern schräge Blicke ernten. Andererseits sagt er, dass das Buch ja nicht gemacht wurde, um Lehrer zu ärgern. Vielmehr stelle es etwas Waffengleichheit her, denn Lehrer hätten mehr Möglichkeiten als Schüler, sich qualifiziert beraten zu lassen. ari

„Was Lehrer nicht dürfen – Antworten auf die 50 wichtigsten Fragen inklusive der dazugehörigen Paragraphen“, 112 S., Ullstein-TB-Verlag, 9,99 Euro

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false