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Berlin: Schutzengel im Anflug

Claus Spies schnitzt und drechselt in seiner Kreuzberger Werkstatt: Flügel – oder auch Treppengeländer

Jesus hat eine neue linke Hand. Dafür hat Claus Spies gesorgt. Und dafür, dass ein Engel neue Flügel bekam. Die Erklärung für diese Weihnachtswunder ist einfach: Beides sind Holzfiguren und Spies ist Holzschnitzer. Woher die Figuren, die er wieder heil gemacht hat, ursprünglich stammen, hat er nie erfahren. Sie landeten irgendwann irgendwie in seiner Werkstatt. „Ich bin bei solchen Restaurierungen oft der vierte Subunternehmer“, sagt Spies. Inzwischen sind Jesus und der Engel längst aus seiner Werkstatt verschwunden. Doch der Holzbildhauer hat sie fotografiert und die Bilder in ein Album geklebt. Das ist voller Fotos von den Ergebnissen seiner Arbeit.

Für Claus Spies begann der Hang zur Schnitzkunst mit Michel aus Lönneberga. Der Lausbub aus den Geschichten von Astrid Lindgren wurde nach jedem Streich in den Schuppen gesperrt. Und weil das oft geschah, schnitzte er dort ganze Heerscharen von Holzfiguren. Als Kind hat Claus Spies die Bücher um den frechen Schweden förmlich verschlungen. Und dann wurde er Holzbildhauer. „Also, natürlich nicht nur deshalb. Aber die Geschichten haben eine Rolle gespielt“, sagt er lächelnd. Seine Ausbildung machte er ausgerechnet in Michelstadt im Odenwald.

Der 40-Jährige steht mitten in seiner großen, aufgeräumten Werkstatt in der Nähe des Hermannplatzes. Wenn er von der Arbeit an der Hobelbank aufsieht, blickt er über ein Meer von Schornsteinen und Dächern. Sorgfältig aufgereiht liegen seine Schnitzeisen direkt unterhalb des Fensters. Mit Michels Holzschuppen hat der Raum nichts gemeinsam – außer vielleicht die seltsamen Figuren aus Holz, die überall auf der Fabrik-Etage herumstehen. Ein lebensgroßes Krokodil grinst schief unter der Drechselbank hervor. Auf seinem dicken Schwanz liegen Späne. Die Giraffe daneben lässt sich vom Reptil nicht stören. Sie blickt stoisch zum Känguru hinüber und zu dem kunstvollen Kapitell einer korinthischen Säule. Außerdem stehen da auch viele gedrechselte Stäbe – Teile eines Treppengeländers. Mit einer besonderen Drechseltechnik verdient Spies den größten Teil des Lebensunterhalts für sich und seine Familie; seine Töchter sind zwei und vier. Fürs Kinderzimmer hat er einen Schutzengel geschnitzt.

Das Schnitzen läuft nebenher. Und doch ist die Kunst gefragt: Bilderrahmen für die Schlösser Charlottenburg und Rheinsberg sind in seinem Album zu sehen. In Hildsheim hat er geholfen, die Schnitzereien an einem Haus aus dem Mittelalter wieder herzustellen. Und für einen neugotischen Saal in Brandenburg Stadt hat er Flughunde mit herausgestreckter Zunge gearbeitet: kleine schwarzbraune Teufel. Kann nicht schaden, einen guten Draht zu beidem zu haben – zum Himmel und zur Hölle.

Claus Spies, Boppstraße 5, 3. Hof, Kreuzberg, Tel. 694 14 16

(www.bildhauer-spies.com)

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