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© promo

Schwedische Botschafterin: Eine wahre Europäerin

Schweden bedeutet für Botschafterin Ruth Jacoby Heimat. Doch auch in Berlin stößt sie immer wieder auf Spuren ihrer Familie. Die Stadt ist für sie so eine Art Puzzle, aus dem sich die Familiengeschichte zusammensetzt: "Jeder Schritt ist von Geschichte durchdrungen."

In Berlin schlägt das Herz Europas, sagte man, als vor zwanzig Jahren mit der Mauer auch der Eiserne Vorhang fiel. Für Schwedens Botschafterin Ruth Jacoby muss dieser Satz eine besondere Bedeutung haben. Denn in Berlin laufen viele Fäden ihrer Familiengeschichte zusammen. Im Jahr zehn nach der Eröffnung der Nordischen Botschaften kann sie von sich sagen: „Ich bin Europäerin. Und mit ganzem Herzen Schwedin.“

Bei einem Besuch im Centrum Judaicum im Gespräch mit dessen Leiter Hermann Simon stieß sie zufällig auf die Spur ihres Großvaters Max Moses Friediger. Der war in Budapest geboren und aufgewachsen. 1903 kam er nach Berlin, um am Rabbinerseminar zu studieren. Er promovierte und wurde 1908/09 zum Rabbiner ordiniert. Von hier aus ging er weiter nach Prag, leitete dort zunächst die Talmud-Thora-Schule. Bis 1919 arbeitete er in Tschechien als Rabbiner. Den Ersten Weltkrieg erlebte er als Feldrabbiner der österreichisch-ungarischen Armee.

Ruth Jacoby erzählt nicht gern über ihre Familie, das merkt man ihr an. „Das ist alles viel zu viel“, sagt sie. Viel europäisches Schicksal, das sich da offenbart. Ab 1920 war Max Friediger, der Vater ihrer Mutter, Königlich Dänischer Oberrabbiner in Kopenhagen. Vor den deutschen Nazis gab es für ihn irgendwann keinen Schutz mehr. 1943 wurde er ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Er überlebte und konnte vor seinem Tod 1947 in Kopenhagen noch ein Buch schreiben über das, was er im Konzentrationslager erlebt und gesehen hat. „Es ist sehr sachlich geschrieben“, sagt Ruth Jacoby. „Ich wünschte, es könnte ins Deutsche übersetzt werden.“ Max Moses Friediger hat viele Bücher geschrieben, keines davon ist bislang auf Deutsch erschienen. Eines handelt vom Bruderhass in deutschen Schauspielen des 18. Jahrhunderts.

In Kopenhagen lernte seine Tochter Lotte ihren späteren Mann Erich Jacoby kennen und lieben. Ruth Jacobys Vater hatte seine Heimatstadt Berlin kurz nach der Machtergreifung der Nazis 1933 verlassen. Unter der Naziherrschaft war der Jurist in gewisser Weise doppelt belastet, als Jude und als Syndikus der Eisenbahngewerkschaft. Seine Eltern waren Ostpreußen. Aus Dänemark floh das Paar nach Schweden und ließ sich in Stockholm trauen. Erich Jacoby, der zwischenzeitlich staatenlos war, wurde zusammen mit seiner Tochter 1956 schwedischer Staatsbürger. Zwischendurch hatte er unter anderem in Asien und den USA gelebt und war zum Agrarexperten geworden.

Kein Wunder, dass Schwedens Botschafterin fließend und praktisch akzentfrei deutsch spricht – und noch fünf andere Sprachen. Italienisch lernte sie in Rom. Dorthin zog die Familie 1952, als sie zwei Jahre alt war. Mutter Lotte, die in einem kleinen Dorf in Böhmen-Mähren geboren war, hatte es nie verwunden, dass sie 1940 wegen des Nazi-Terrors ihr Medizinstudium abbrechen musste. Sie arbeitete als Lehrerin und Übersetzerin, der Vater unter anderem als Agrarberater und Entwicklungsökonom bei der UNO.

Die Familie blieb unterwegs und flexibel. Nach dem Besuch zunächst der amerikanischen und dann der deutschen Schule in Rom ging Ruth Jacoby zum Studium nach Schweden. 1967 war das, in ganz Europa eine spannende Zeit des Aufbruchs, eine herrliche Zeit. Endlich war sie zu Hause angekommen.

Vielleicht ist das der Grund, warum Ruth Jacoby die Sommerferien in den schwedischen Schären so wichtig sind. Ihre Söhne, inzwischen 30 und 33 Jahre alt, sind dort aufgewachsen wie die Kinder von Saltkrokan. Mit ihrem schwedischen Ehemann, einem Literaturwissenschaftler, tanzte sie um den Mittsommernachtsbaum. Das ist ihre Kultur. „Da, wo die Familie lebt, wo die Freunde wohnen, ist man zu Hause.“ Schweden ist für sie Heimat, aber ihre persönliche Geschichte, ihre starken Wurzeln machen sie zu einer Vision der neuen Europäerin. Sie geben ihr eine Identität, die keine Bürokratie der Welt, auch die in Brüssel nicht, je schaffen kann.

Mit ihrem dichten dunklen Haar und ihrem temperamentvollen Auftreten könnte man der Botschafterin eine Ähnlichkeit mit der deutschstämmigen schwedischen Königin attestieren. Im Umgang ist die Karrierediplomatin verbindlich, aber auch durchsetzungsstark: „Ich bin der Sohn meines Vaters“, sagt sie mit feinem Lächeln.

Als sie noch jünger war, hat sie sich für Familiengeschichte gar nicht so interessiert, hat vor allem bei großen internationalen Organisationen gearbeitet, bei der OECD in Paris, bei der Weltbank in Washington, bei der UNO in New York.

Jetzt ist es für sie genau der richtige Zeitpunkt, in Berlin zu sein. 20 Jahre nach dem Fall der Mauer und 70 Jahre nach den Pogromen begegnet man der Geschichte immer noch auf Schritt und Tritt, aber sie schmerzt nicht mehr so. Bei ihren ausgiebigen Streifzügen durch alle Ecken der Stadt entdeckt sie immer wieder Spuren ihrer Familie. „Ludwig Borchert, der die Nofretete gefunden hat, war ein Vetter meiner Großmutter“, sagt sie stolz. „Und die Jacobystraße in Mitte ist nach einem Urgroßonkel meines Vaters benannt worden. Johann Georg Jacoby saß 1848 als Abgeordneter von Königsberg im Frankfurter Parlament.“

Die Stadt ist für sie auch so eine Art Puzzle, aus dem sich die Familiengeschichte zusammensetzt. Die Eltern erzogen sie jüdisch, aber nicht religiös. Dass Berlin sich so intensiv mit der Geschichte auseinandersetzt, gefällt ihr. „Jeder Schritt ist von Geschichte durchdrungen. Große Teile der europäischen Geschichte sind hier vereint.“ Die positive Kraft des Zusammenwachsens spürt sie überall. „Ich erlebe Berlin als stimulierend und spannend.“

Die jüngere Geschichte ist gut gelaufen. Vor zehn Jahren kamen die Nordischen Botschaften nach Berlin und haben sich mit dem Felleshus einen wunderbaren Ort der gemeinsamen Repräsentanz geschaffen, einen Ort, an dem Gäste sich willkommen fühlen.

Noch bis zum Ende des Jahres hat Schweden die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Und gerade jetzt hat das Land eine wahre Europäerin im Herzen Europas. Berlin kann auch eine Stadt der glücklichen Fügungen sein.

 Elisabeth Binder

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