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Berlin: Schwere Jungs machen Konjunktur

Weil Häftlingsmode gefragt ist, sucht die JVA Tegel Schneider

Dass Handwerk goldenen Boden hat, beweist sich jetzt auch in den grauen Fluren der JVA Tegel: Dort sind die Wände seit neuestem mit Stellenausschreibungen behängt. Gesucht werden Schuster, Schneider, Polsterer – und zwar händeringend.

Das liegt an einer so ungewöhnlichen wie erfolgreichen Drinnen-Draußen-Partnerschaft zwischen den Gefängniswerkstätten und der Werbeagentur Herr Ledesi. Die vermarktet per Internet Anstaltskleidung und Möbel, die in den Gefängnishallen von den Insassen gefertigt werden – und zwar unter dem schmucken Labelnamen „Haeftling“. Da gibt es gestreifte Hemden mit Stehkragen, dicke Stoffjacken, schwarze Turnschuhe mit blauen Streifen und robuste Taschen. Alles Klassiker, deren Schnittmuster aus dem Jahr 1989 stammen. Und das kommt an: „Wir haben Anfragen aus Los Angeles, Hongkong, Zürich, München und Buenos Aires“, sagt Stephan Bohle von Herr Ledesi. „Über 1000 Bestellungen sind eingegangen, rund 3000 Artikel wurden schon bestellt“. Auf so eine Nachfrage waren Gefängnis-Werkstätten nicht eingestellt. Wer heute „Haeftling“-Ware bestellt, wird informiert, dass die angepeilte Lieferfrist wegen der „enormen Zahl der Bestellungen“ auf acht bis zwölf Wochen ausgedehnt werden musste. Ein Grund ist das fehlende Personal. Daher die Stellenangebote. Wer sich an der Nähmaschine auskennt, kann in der JVA-Werkstatt zwischen 200 und 500 Euro pro Monat verdienen, je nach Qualifikation.

Ein weiterer Grund für die langen Fristen sind die Ferien in dem Betrieb, der den Stoff für die meerblauen Jacken färbt. Denn eine Färberei hat die JVA nicht unter ihren 15 eigenen Betrieben. Und nicht zuletzt sind es auch die besonderen Bedingungen, die in der Justizvollzugsanstalt für den Arbeitstag zwischen 7.02 und 15.36 Uhr gelten. „Wenn ein Strafgefangener plötzlich fehlt, müssen alle anderen in ihre Zellen“, sagt Andrea Boehnke, Sprecherin der Justizverwaltung. „Dann wird durchgezählt.“ Meist finde man den Vermissten - „aber bis dahin liegt die Arbeit zwei Stunden lang still“.

Bis die neuen Stellen besetzt sind – in der Schneiderei, Polsterei und Schuhmacherei werden die Arbeitsplätze von 17 auf 34 verdoppelt – dürfte es nicht lange dauern: Tegel ist zur Zeit mit 1700 Strafgefangenen überbelegt, rund 500 von ihnen sind ohne Arbeit. Die Stellen sollen in drei bis vier Wochen besetzt sein. Dann beginnt das zeitaufwendige Anlernen. „Während der Einarbeitungsphase sinkt die Produktion nochmal“, sagt Ulrich Fehlau, Geschäftsführer des Bereichs Arbeitswesen in der JVA Tegel. Die schweren Jungs an der Nähmaschine fertigen die Stücke nicht komplett, sondern nur einzelne Teile. Wenn einer langsam macht, stockt die ganze Produktion. Um den größeren Betrieb kontrollieren zu können, braucht die Gefängnis-Schneiderei auch noch einen zusätzlichen Meister.

Die Personalprobleme lassen sich gefängnisintern regeln, versichern alle Beteiligten. „Die Richter können jetzt ja nicht mehr Schneider verurteilen“, beruhigt Justizsprecherin Boehnke die Zunft.

Mehr im Internet unter:

www.haeftling.de

Till Schröder

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