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Berlin: Schwere Vorwürfe nach Schulräumung in der Wallstraße Hintergründe des Holzschutzmittelskandals unklar Grüne: Senat handelt „verantwortungslos“

Großes Rätselraten im Bezirksamt Mitte: Nachdem vergangene Woche die Fanny-Hensel-Musikschule in der Wallstraße wegen ungeklärter Krankheitsfälle geräumt wurde, ist weiterhin unklar, warum Vorgaben des amtsärztlichen Dienstes sieben Jahre lang nicht umgesetzt wurden. Bereits 1998 hatte ein Gutachter gesundheitsgefährdende Holzschutzmittel am Dachstuhl festgestellt.

Großes Rätselraten im Bezirksamt Mitte: Nachdem vergangene Woche die Fanny-Hensel-Musikschule in der Wallstraße wegen ungeklärter Krankheitsfälle geräumt wurde, ist weiterhin unklar, warum Vorgaben des amtsärztlichen Dienstes sieben Jahre lang nicht umgesetzt wurden. Bereits 1998 hatte ein Gutachter gesundheitsgefährdende Holzschutzmittel am Dachstuhl festgestellt. Daraufhin wurden regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen der Lehrkräfte angeordnet, in den oberen Geschossen das Aufstellen von Polstermöbeln untersagt und Spezialreinigungen vorgeschrieben. Warum diese Vorgaben offenbar ignoriert wurden, konnte Bildungsstadträtin Dagmar Hänisch auch gestern nicht erklären: „Es gibt immer mehr Fragen, auf die es keine befriedigenden Antworten gibt.“ In einer Sitzung des Kulturausschusses seien gestern zunächst die Fakten gesammelt worden, erklärt Hänisch. Die Räumung des Gebäudes sei von allen Fraktionen gutgeheißen worden, nun wolle man „lückenlose Klarheit schaffen“.

Der Einsatz von Holzschutzmitteln, die die Stoffe PCP, DDT und Lindan enthalten, ist in Westdeutschland seit den frühen 80er Jahren untersagt, während sie in der DDR bis zur Wende eingesetzt wurden. Die Mittel dienen der Abwehr von Holzschädlingen, können beim Menschen jedoch Leberschäden und Hautreizungen auslösen und gelten als potenziell krebserregend. Gestern wurde ein Teil der Lehrkräfte der Fanny-Hensel-Schule einer Blut- und Urinprobe unterzogen, allerdings zum Ärger vieler Lehrer bislang nur auf den Wirkstoff PCP. Die Ergebnisse werden in 14 Tagen erwartet.

Die Berliner Abgeordnete Claudia Hämmerling (Bündnis 90/Die Grünen) wirft dem Senat „Verantwortungslosigkeit“ im Umgang mit der Holzschutzmittelproblematik vor. Die Gefahr sei seit Jahren bekannt, trotzdem sperre sich die Berliner Regierung gegen eine umfassende Aufklärung und habe bislang keine verbindlichen Grenzwerte für die Schadstoffkonzentration festgelegt. Das Ausmaß der Belastung sei immens: Noch 1983 sei im Ostteil der Stadt per Ministerratsbeschluss der gesamte kommunale Wohnbestand einer Behandlung mit giftstoffbelasteten Holzschutzmitteln unterzogen worden. Umfassende Zahlen liegen nicht vor, doch Claudia Hämmerling glaubt, dass allein im Prenzlauer Berg bis zu 30 000 Gebäude betroffen sind.

Bekannt wurde vor knapp zwei Jahren der Fall Schloss Schönhausen: Das Gebäude in Pankow war während der Sanierung von Schloss Bellevue als Zwischenquartier für Bundespräsident Johannes Rau vorgesehen. Als das Bundesbauamt dort PCP-haltige Holzschutzmittel feststellte, nahm Rau vom Umzug Abstand. Ist die Risikobewertung von Gebäuden also in erster Linie von der Prominenz der Bewohner abhängig? Die Senatsverwaltung für Gesundheit weist solche Vorwürfe zurück: Sprecherin Regina Kneiding versichert, man bemühe sich sehr wohl um Bürgerschutz und Aufklärung. So habe die Verwaltung vor einem Jahr sämtliche Berliner Wohnungsgesellschaften schriftlich angewiesen, ihre Mieter umfassend über die Gefahren schadstoffbelasteter Dachstühle hinzuweisen.

Auch Robert Rath vom Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit warnt vor Panikmache: Das Problem sei auf freiliegende Balken beschränkt, die gefährlichen Stoffe könnten nicht durch Wände in den Wohnraum vordringen. Gefährdet sei lediglich, wer in direkten Kontakt mit den Stoffen PCP, DDT oder Lindan komme: „Man sollte also weder Dachbalken anfassen noch beispielsweise Wäsche auf dem Dachboden trocknen.“

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