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Berlin: Schwieriger Abschied von der Parallelgesellschaft

Der 11. September hat etliche muslimische Vereine wachgerüttelt. Sie suchen die Öffentlichkeit und sprechen offener über Probleme

Treffen sich zwei Hodschas vor der Moschee. Fragt der eine: „Haste schon deine tägliche ,Ich habe mich vom Terror distanziert’-Stellungnahme abgegeben?“ Sagt der andere: „Brauch ich nicht. Hab ein Monats-Abo beim Herrn.“

Der Witz, den sich Türken und Araber in Berlin dieser Tage erzählen, ist eine Folge des 11. September 2001. Vorher haben sich Muslime selten öffentlich vom Terror abgegrenzt, vorher wurden sie auch selten nach ihrem Verhältnis zu Gewalt und Terror gefragt. Seit den Anschlägen in New York ist das Misstrauen muslimischen Vereinen, Moscheen und einzelnen Personen gegenüber jedoch groß. Der Druck, sich zu rechtfertigen und zu klären, wer man ist, hat in den vergangenen fünf Jahren viel in Bewegung gebracht.

Direkt nach dem 11. September haben sich viele Muslime erstmal zurückgezogen, sagen Vorsteher von türkischen und arabischen Vereinen und Moscheen. „Fast alle Türken wurden als Terroristen angesehen, da wollte sich niemand öffentlich äußern, es wurde einem sowieso nicht geglaubt“, meint etwa Tacittin Yatkin, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Berlin. Zu dem Dachverband gehören zwölf Moscheegemeinden. „Dann aber haben viele gesagt: Wir müssen rausgehen und zeigen, dass wir keine Terroristen sind.“ Viele Moscheen seien daraufhin von den Hinterhöfen in die Öffentlichkeit gezogen.

„Der 11. September hat uns wachgerüttelt“, sagt Raed Zaloum vom Islamischen Kultur- und Erziehungszentrum in Neukölln. „Man kann nicht neben der Gesellschaft leben, in der man lebt. Man muss sich mit ihr identifizieren.“ Die erste Generation habe ihr eigenes Süppchen gekocht, weil sie wieder zurück in die Heimatländer wollte. „Aber wir, die zweite und dritte Generation, wir sind hier aufgewachsen, sprechen Deutsch, wollen hier eine Arbeit. Wir brauchen den Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft.“

Viele begannen, Nachbarn, Pfarrer, Polizisten und Politiker in die Gemeindezentren einzuladen, Journalisten und Fotografen Einblick zu gewähren und öffentlich Fragen des Islam zu diskutieren. Immer wieder geht es seitdem um sogenannte Ehrenmorde, Zwangsehen, Gewalt in der Familie. Neue Internetforen wollen nach eigenem Bekunden „die Vielfalt des Islam“ demonstrieren. In der Sehitlik-Moschee am Columbiadamm kann man vier- bis fünfmal täglich an Führungen teilnehmen.

Viele haben auch gemerkt, dass mit der Konzentration nur auf das Religiöse die zahlreichen sozialen Probleme der eigenen Klientel nicht zu lösen sind. Das Islamische Zentrum für Dialog und Bildung (IZDB) in Wedding bietet deshalb zusammen mit der Volkshochschule in den Gemeinderäumen Deutschkurse an, andere versuchen, Jugendliche von der Straße zu holen. Andy Abbas Schulz vom Neuköllner „Verein für Jugend und Integrationshilfe“ hat festgestellt, dass das Interesse der Jugendlichen am Islam in den vergangenen Jahren zugenommen hat. „Gleichzeitig fragen sie sehr viel mehr, sind irgendwie bewusster Muslime.“

Der 11. September hat in vielen Zentren auch einen Generationswechsel in der Führungsebene beschleunigt. An zahlreichen Orten haben inzwischen Dreißigjährige das Sagen, die Deutsch können und sehr viel geschulter im Umgang mit der Öffentlichkeit sind als ihre Väter. Ein erster Höhepunkt der Öffnung der Vereine war wohl vergangenen Herbst die Gründung des Berliner Islamforums, in dem sich die wichtigsten islamischen Dachverbände, Moscheen und Vereine der Stadt regelmäßig mit Kirchenvertretern, dem Innensenator, dem Migrationsbeauftragten, der Polizei und dem Verfassungsschutz an einen Tisch setzen. Zum fünften Jahrestag der New Yorker Anschläge am kommenden Montag haben das Islamforum und über 40 der schätzungsweise 100 Berliner Moscheen zum gemeinsamen Freitagsgebet heute sogar Nicht-Muslime eingeladen.

Dennoch beklagen Quartiersmanager, dass es nach wie vor schwierig ist, mit Moscheen gemeinsame Projekte zu entwickeln. Immer noch fehlten Ansprechpartner oder jemand, der etwas von Buchhaltung versteht. Besonders die schiitischen Moscheen hätten keinen Kontakt zur Umwelt. Zu ihnen gehören auch die Moscheen, die regelmäßig zum „Al-Quds-Tag“ aufrufen. Ayatollah Chomeini hatte den Tag 1979 ausgerufen, um an die „Besetzung“ Israels zu erinnern.

Eine Öffnung ist meist mit großen internen Diskussionen in den Gemeinden und auch Verwerfungen verbunden. Oft kommt der Vorwurf, man biedere sich an den Westen an, verrate die eigenen Werte, sagen Vereinsvorsitzende. „Wir haben auch vereinzelt Hausverbote ausgesprochen“, sagt Raed Zaloum vom IKEZ. Im Berliner Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2005 steht über das IKEZ allerdings wieder, wie auch in den Jahren zuvor, dass es Treffpunkt von Anhängern der Hamas und der Muslimbrüder ist. Man nehme zur Kenntnis, dass sich die Moschee geöffnet habe, man begrüße auch, dass sie im Islamforum mitarbeite, heißt es beim Verfassungsschutz. Dennoch müsse man ein wachsames Auge haben.

Danach gefragt, was sich in den muslimischen Gemeinden verändert hat, sagt Gilles Duhem, Quartiersmanager in Neukölln: „Es dauert sehr lange, bis sich die Mentalität ändert.“ Im Rollbergviertel, wo er sein Büro hat, würden sich die ethnischen Gemeinschaften immer noch abschotten und die Dorf- und Clan-Strukturen aus ihrer Heimat reproduzieren. „Aber das Denken der Menschen verändert sich, jeden Tag ein bisschen mehr.“

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