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Berlin: Schwindel mit System

Das DDR-Ende begann mit der Wahlfälschung ’89

Von Matthias Schlegel

Gelegentlich hat man den Eindruck, die beiden Herren auf dem Podium sind verschworene Revolutionäre – der eine zuständig für den Umsturz draußen auf der Straße, der andere mit gleicher Mission drinnen im Führungszirkel. Dabei könnten die beiden gegensätzlicher nicht sein.

Das Mauermuseum hat zum Gespräch geladen: über den langen Weg vom 17. Juni 1953 zum 18. März 1990, den ersten freien Wahlen in der DDR. Der eine ist der einstige Bürgerrechtler Werner Schulz. Er erlebt 1968 in der Eröffnungsvorlesung seines Studiums an der Humboldt- Universität den Kulturschock schlechthin, als der von ihm so hoffnungsfroh erlebte Prager Frühling als konterrevolutionärer Akt gegeißelt wird. Der Keim des Opponierens ist gelegt. Schulz wird Mitbegründer des Pankower Friedenskreises, später des Neuen Forums. Heute sitzt er für die Grünen im Bundestag.

Der andere ist Günter Schabowski, Ex-Politbüromitglied und spät vom Glauben abgefallener Kommunist. Er erlebt seinen Kulturschock erst, als er die Schulzes zu Tausenden auf den Straßen demonstrieren sieht. Er zieht den Schluss: Den Sozialismus zu retten, das packt Honecker nicht mehr, also muss er weg. Bis zu diesem Zeitpunkt, so erinnert sich der 75-Jährige, habe für ihn als überzeugten Kommunisten jeder Widerstand gegen das System nur dessen Ideologie bestätigt: Dass es von Konterrevolutionären umzingelt sei, denen es sich überlegen zeigen müsse. Daran prallte jeder Zweifel ab.

Wahlen, so beschreibt Schabowski die zynische Denkart von damals, waren „doch nur Affentheater. Eine Inszenierung, um dem Ausland etwas vorzugaukeln.“ Die Ergebnisse standen schon vorher fest: Mindestens so gut wie die vorherigen sollten sie sein, Berlin ein bisschen besser als Leipzig, und so weiter.

Als sich im Mai 1989 Schulze und seine Gefährten erdreisten, nach der Kommunalwahl in den Berliner Wahlbüros die Stimmen nachzuzählen, fliegt der Schwindel, der System ist, auf. Schabowski will die SED-Kreissekretäre angesichts der zu erwartenden Kontrollen durch die Bürgerrechtler vorher noch ermahnt haben: „Macht keinen Scheiß, auf ein paar Prozente mehr oder weniger kommt es doch nicht an.“ Aber der vorauseilende Gehorsam der Auszähler ist nicht zu stoppen. So hat dieser Abend doch auch etwas Versöhnliches: Den Schulzes sei Dank, dass der Spuk vorbei ist.

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