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Seelenheil und Staatsräson: Bischof Woelki schwört den Treueeid auf Berlin

Der Geist einer anderen Zeit weht durch das Rote Rathaus: Rainer Maria Woelki, designierter Erzbischof, legt einen Eid auf die Verfassung ab. Seit dem Krieg hat es so etwas nicht gegeben.

So nah wie an diesem Dienstag im Wappensaal im Roten Rathaus kommen sich Staat und Kirche selten. An diesem Nachmittag stehen hier nicht nur wie üblich die beiden Fahnen von Berlin und Bundesrepublik. Sondern auch die nagelneue Fahne mit dem Wappen von Rainer Maria Woelki, dem designierten katholischen Erzbischof. Vor den Fahnen stehen sich der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und Erzbischof Woelki gegenüber. Und was jetzt, um 14.30 Uhr passiert, ist es etwas Neues. Sowas gab es seit dem Krieg nicht mehr. Woelki, in der linken Hand eine Bibel, spricht: „Ich schwöre und verspreche, die verfassungsmäßig gebildete Regierung zu achten und von meinem Klerus achten zu lassen. In der pflichtgemäßen Sorge um das Wohl und das Interesse des deutschen Staatswesens werde ich in der Ausübung des mir übertragenen geistlichen Amtes jeden Schaden zu verhüten trachten, der es bedrohen könnte.“

Der Eid ist eine alte Tradition und geltendes Recht: begründet durch das Reichskonkordat im Juli 1933 zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich. Ausgehandelt wurde es in der Weimarer Republik, unterschrieben von der Regierung Hitler. So weht der Geist einer anderen Zeit an diesem Nachmittag durchs Rathaus. Er berührt Wowereit und Woelki, den Weihbischof, den Generalvikar und den Dompropst und streift die versammelten Senatoren Harald Wolf (Linke), Jürgen Zöllner und Ingeborg Junge-Reyer (beide SPD). Es ist der Geist des Kulturkampfes zwischen Preußen und Papst, das Misstrauen gegenüber den Katholiken, sie würden sich in einer staatsfeindlichen Parallelgesellschaft einrichten und man müsse sie durch Verträge aus dem Abseits herauszwingen.

Nach dem Krieg wurde das Konkordat in bundesdeutsches Recht übertragen und schreibt unter anderem fest, dass die katholische Religion öffentlich und frei ausgeübt werden darf, dass die Kirche Kirchensteuer erheben darf und eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist. Es enthält Klauseln über den Religionsunterricht und eben auch die, wonach katholische Bischöfe einen Eid auf die Verfassung schwören müssen. In Berlin wurde der Eid allerdings nach dem Krieg nie angewendet. Woelkis Vorgänger, auch Georg Sterzinsky, wurden im geteilten Berlin ernannt, wo der Viermächtestatus galt. Auf welche Verfassung hätten sie schwören sollen? „Es mag ungewohnt sein, aber es ist eine Rückkehr in die Normalität“, sagt Woelki. Er und Wowereit wollen an diesem Dienstag mehr, als ein altes Ritual aufleben zu lassen. Sie wollen eine neue Tradition begründen, eine „neue Partnerschaft zwischen Senat und Kirche“. Neben gelben Gerbera und weißen Lilien – gelb-weiß sind die Farben des Vatikans – dankt Wowereit der katholischen Kirche für ihre Verdienste um den Zusammenhalt in der Stadt und für ihr soziales Engagement. „Ich wünsche uns ein gutes Miteinander – bei aller Unterschiedlichkeit, die da ist.“

Woelki, Bischofssoutane, Kreuz über der Brust, bekräftigt, dass die katholische Kirche „nicht nur Teil dieser Gesellschaft ist, sondern sich auch als Kirche für diese Gesellschaft betrachtet – nicht um diese zu dominieren, sondern um sie mitzugestalten“. Mit dem Eid biete er dem „lieben Regierenden Bürgermeister“ seine Zusammenarbeit an. Manchmal werde er wohl auch Kritik äußern müssen, um aus seiner Sicht „Schaden zu verhüten“, wie er geschworen habe. Wowereit könne sich darauf verlassen, dass er dabei auf dem Fundament des geleisteten Eides bleiben werde. Zum Schluss schenkt Woelki dem Regierenden Bürgermeister und dem Senat die Bibel, die er bei dem Schwur in der Hand gehalten hatte.

Einige Bundesländer, darunter Brandenburg und Sachsen-Anhalt, haben die Geltung des Konkordats durch neue Staatskirchenverträge abgelöst – und den Treueschwur weggelassen. Auf dem Weg zum Festakt in den Wappensaal sollen sich Woelki und Wowereit darauf verständigt haben, dass auch sie prüfen wollen, ob es auch für Berlin an der Zeit wäre, einen neuen Staatsvertrag abzuschließen.

„Dieser Treueeid gehört historisch gesehen ins Mittelalter“, sagte der evangelische Kirchenexperte Christoph Markschies der Nachrichtenagentur dapd. Damals seien die Kirchenoberhäupter in den Staat eingebunden gewesen. Im 2007 geschlossenen Staatskirchenvertrag zwischen der evangelischen Landeskirche und Berlin steht nichts über einen Eid. Vielleicht war ja der erste Treueschwur eines katholischen Berliner Bischofs seit 1945 zugleich der letzte. Claudia Keller

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