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Berlin: Sehen Sie sie oder sie Sie?

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Mit der schriftlichen Anrede ist es ein Kreuz, seit es die neue Rechtschreibung gibt. Es ist verwirrend, was man da alles lesen kann. Das hat wohl damit zu tun, dass viele meinen, die Großschreibung in der Anrede sei komplett abgeschafft worden, aber das ist ein Irrtum.

Die Kleinschreibung gilt ja nur für alle Duz-Formen. Man muss nicht mehr Du, Dein, Ihr, Euch, Eure und Euer schreiben. In privaten Briefen kann es natürlich jeder halten, wie er will, also beim respektvollen großen Du bleiben oder die kleinen Anfangsbuchstaben wählen. Dagegen ist die Kleinschreibung beim Siezen in allen Formen tabu. Es ist ja ein Unterschied, ob Sie sich geirrt haben oder sie sich geirrt haben. Doch da haben wir es, das reinste Durcheinander, als sei niemandem die Verwechselungsgefahr bewusst. Zum Glück hört man die falsche Klein- oder Großschreibung nicht, aber man liest sie häufig, zum Beispiel in Redemanuskripten von Politikern.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Nicolas Zimmer meinte vor dem Abgeordnetenhaus, indem er sich mit scharfer Kritik direkt an den Regierenden Bürgermeister wandte, erst wenn es zu spät sei, „versuchen sie durch schnellen Aktionismus die Dinge noch irgendwie hinzubiegen“. Und weiter: „Wenn ihr bayerischer Genosse Stiegler sie als ’Dampfplauderer’ bezeichnet, hat er recht.“ Mit dem Wort vom Dampfplauderer Wowereit hat Stiegler aber nicht recht, sondern höchstens Recht, jedenfalls nach der neuen Schreibweise, das nur nebenbei. „Übrigens passt ihr ökonomischer Geisterfahrer Herr Wolf zu ihnen und ihrem Senat“, sagte Zimmer. Wieder meinte er nicht irgendeine Frau oder irgendwelche Personen, sondern Klaus Wowereit (und mit Herrn Wolf den Wirtschaftssenator). Andererseits fragte Zimmer den Regierenden Bürgermeister orthografisch korrekt: „Was haben Sie denn... vereinbart? Auch Stefan Liebich, der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei/PDS, wandte sich zwar an „Sie, liebe Kollegen von der CDU“, beklagte sich dann aber über „ihre“ statt Ihre Haltung. Ach, beim Siezen geht es unbekümmert durcheinander, mal groß, mal klein.

In einem FDP-Antrag wurde Bundeskanzler Gerhard Schröder mit den Worten zitiert: „Die Angehörigen der Bundeswehr... leisten alle einen wichtigen – und wie wir alle wissen – oftmals sehr gefährlichen Dienst. (...) Ich denke, dass Ihnen dafür jegliche Anerkennung und Hochachtung gebührt“. Wieso Ihnen? Der Dank galt doch ihnen, denn der Kanzler sprach lobend über die Soldaten; er sprach sie aber nicht direkt an.

Man sieht: Die Großschreibung aller Siez-Formen in der Anrede ist eine weise Regel, weil sie der Klarheit dient.

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